Von dieser Welt
„Von dieser Welt ist das Buch, das ich schreiben musste, wenn ich überhaupt noch jemals etwas anderes schreiben wollte. Ich musste mich mit dem auseinandersetzen, was am meisten schmerzte. Mit meinem Vater“, sagt James Baldwin über seinen autobiografischen Debütroman, der 1953 erschien.
Der 14-jährige John ist der Sohn des Predigers Gabriel Grimes. Früher ein Frauenheld, nun eine moralische Instanz im Harlem der 1930-Jahre. Baldwin beschreibt ein schwieriges Verhältnis, das zudem aufgeladen ist durch die Religion. Die Familie Grimes kommt aus dem Süden in den Norden wie Millionen andere, die nicht unter den Jim-Crow-Gesetzen leben wollen. Johns Vater, seine Mutter Elisabeth, seine Tante Florence – alle versprechen sich eine bessere Zukunft. Vor allem die Frauen. Sie verlangen nach Bildung und suchen ein Leben, freier von den Regeln, in das ein patriarchales Religionsverständnis sie zusätzlich einzwängt.
Beim Lesen dachte ich viel über das komplexe Verhältnis zwischen Glauben, Kirche, Religion, Gesellschaft und Gemeinschaft nach. Der englische Originaltitel des Romans, Go Tell it on the Mountain, verweist auf ein Spiritual. Dem Roman selbst stellt Baldwin einen Bibelvers aus dem Buch Jesaja voran. Für John Grimes ist all das Verankerung und doch zugleich nie ganz Versicherung und Trost.
Der Roman beginnt am Tag von Johns 14. Geburtstag. Er besucht die Welt der Weißen, eigentlich nur ein paar Straßen weiter, steht am Treppenabsatz der New York Public Library und obwohl er einen Harlemer Bibliotheksausweis besitzt, der ihn zum Einlass berechtigen würde, betritt er das Gebäude nicht. Man würde sehen, dass er dort nicht hingehört, nicht nur seiner Hautfarbe wegen, sondern der ganze Habitus ist es. Das weiß der 14-Jährige schon jetzt. Er gibt sich das Versprechen, hineinzugehen, wenn er alle Bücher in der Harlemer Zweigstelle gelesen habe. Ein großes Versprechen, das sich ein Heranwachsender gibt, in dem viel von der Unmöglichkeit steckt, ganz in der Gesellschaft partizipieren zu können.
Von dieser Welt ist ein Roman, der nichts von seiner Aktualität verloren hat. Wie wirkmächtig das System von Macht, Rassismus und Diskriminierung in der US-amerikanischen Gesellschaft noch immer ist, zeigt heute etwa der Historiker Ibram X. Kendi. In New York ist das Leben inzwischen unbezahlbar geworden und prekäre Arbeits-, Wohn- und Einkommensverhältnisse sind noch immer Realität besonders Schwarzer Menschen.
Für Baldwins Wirken ist der Roman ein Schlüsseltext, was er als Schriftsteller und Vordenker der US-afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung in Bewegung setzen sollte. Ohne diesen Text hätte es womöglich keine weiteren gegeben, wie auch in dem obigen Zitat anklingt. Seine Werke zählen heute zu Klassikern der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts wie Patricia Highsmith, Ursula Le Guin, J.D. Salinger oder John Steinbeck.
Wer sich außerdem für die Stimme einer weniger bekannten Autorin interessiert, möchte ich Daddy Was a Number Runner / Eine Tochter Harlems von Louise Meriwether empfehlen. Der Roman spielt ebenfalls im Harlem der 1930-Jahre, doch in diesem Fall erzählt ein junges Mädchen. Baldwin schrieb dazu das Vorwort. Er hob darin hervor, welche besondere Härte es bedeutet, als Schwarzes Mädchen und Frau in den USA zu leben, damals etwas, das er noch nie gelesen habe.
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