„Frauen haben schon immer geschrieben“: Ein Interview mit Magda Birkmann
Im Rowohlt Verlag gibt es eine neue Reihe, die rororo Entdeckungen. Magda Birkmann und Nicole Seifert wählen für diese Reihe Romane bemerkenswerter, aber bereits vergessener Autorinnen aus dem zwanzigsten Jahrhundert aus, die im Taschenbuchformat neuveröffentlicht werden. Letzte Woche durften wir mit Magda Birkmann über diese Reihe und den darin erschienenen Roman Eine Tochter Harlems von Louise Meriwether sprechen.
Magda Birkmann ist Buchhändlerin im Ocelot in Berlin. Die Autorin und Bloggerin Nicole Seifert lernte sie über Twitter kennen. Beide verbindet ein Interesse an Literatur von Frauen. Aus dem privaten Austausch über ihre Antiquariats-Funde entwickelte sich die Idee, einige davon neu auflegen zu lassen und einem größeren Publikum zur Verfügung zu stellen. Birkmann sagt: „Wir dachten, dass wir unsere Expertise bündeln und mehr daraus machen müssten.“ Inspirieren ließen sie sich von feministischen Reihen aus dem englischsprachigen Raum z.B. Virago Press, Feminist Books oder Persephone Books und kamen mit dem Rowohlt Verlag ins Gespräch. Die ersten drei Bücher der rororo Entdeckungen sind diesen Herbst erschienen und für das nächste Jahr sind bereits sechs weitere geplant.
Bei der Auswahl der Romane sind es manchmal die Themen, die Birkmann und Seifert spannend und immer noch aktuell finden. In anderen Fällen sind es ungewöhnliche Perspektiven oder sympathische Erzählstimmen, die sie begeistern. Insgesamt geht es aber immer um das Leseerlebnis. Louise Meriwethers Roman hat Birkmann für die Reihe vorgeschlagen: „Die Protagonistin, Francie, hat mich von der ersten Seite an gepackt und für sich eingenommen.“ Bei der Auswahl der Romane müssen natürlich kommerzielle Aspekte mitgedacht werden, so wie es auch bei dem Titel der Reihe der Fall war. Entdeckt wird in den rororo Entdeckungen nichts völlig Unbekanntes, sondern Literatur, die in die Unsichtbarkeit verdrängt wurde: „Oft spielt der Zufall eine Rolle und das Entdecken hat etwas von einer Schatzsuche in Antiquariaten und Bibliotheken. Aber es ist auch ein ironischer Titel, da Frauen schon immer geschrieben haben und nur in Vergessenheit geraten sind.“ Jetzt sollen einem breiten Lesepublikum Bücher von Frauen nähergebracht werden, die gesellschaftspolitisch interessant sind und Spaß machen. Louise Meriwethers Roman ist ein gutes Beispiel dafür.
Meriwether war eine Weggefährtin von Toni Morrison und Alice Walker, hat aber nie die gleiche Berühmtheit erlangt. Ihr Roman Daddy Was a Number Runner erschien 1970 in den USA und wurde nun von Andrea O’Brien für Birkmanns und Seiferts Reihe ins Deutsche übersetzt. Die Übersetzung trägt den Titel Eine Tochter Harlems, da es die Geschichte einer 12-jährigen Ich-Erzählerin ist, die in Harlem aufwächst, und Number Runners wie ihr Vater, der Wetteinsätze verwalten, hier eher unbekannt sind. Der Roman spielt in den 1930er-Jahren während der Weltwirtschaftskrise. Harlem zählte damals zu den ärmsten Bezirken von New York City und wurde überwiegend von Schwarzen Menschen bewohnt. Francie wächst in einem rauen Umfeld auf: Ihre Familie ist bitterarm, Rassismus und sexualisierte Gewalt sind an der Tagesordnung. Doch Birkmann fasziniert dieser Roman, weil „es ein sehr düsterer Text ist, der trotz der schweren Umstände immer hoffnungsvoll bleibt, weil Gemeinschaft und Solidarität für die Familien so eine wichtige Rolle spielen.“ Auch wenn der Kontext vielleicht auf den ersten Blick weit entfernt von deutschen Lebensrealitäten wirkt, wird er durch Francies Perspektive gut zugänglich gemacht: „Dadurch, dass es eine Coming-of-Age Geschichte ist und wir diese sehr junge Ich-Erzählerin haben, die selbst erst beginnt, die Gesellschaft, in der sie lebt, zu durchschauen, funktioniert dieses Buch sehr gut für ein breites Lesepublikum.“
Birkmann und Seifert kümmern sich hauptsächlich um die Schatzsuche und die Kuration der Reihe, alles andere – von den Rechten über die Übersetzung bis hin zur Vermarktung – übernimmt der Verlag. Im Fall von Meriwethers Roman waren die Herausgeberinnen aber in die Diskussionen involviert, wie in der Übersetzung mit rassistischen Begriffen oder mit dem African American Vernacular English, für das es keine deutsche Entsprechung gibt, umgegangen werden sollte. Birkmann liest selbst gerne auf Englisch und hat hohe Ansprüche an Übersetzungen: „Ich finde, dass Andrea O’Brien gute Lösungen gefunden hat, z.B. belässt sie manche Begriffe auch in der Übersetzung auf Englisch.“ Und Francies Sprache ist mit Markern versehen, die darauf verweisen, dass es sich nicht um eine standardisierte Variante handelt.
Um die Vielfalt der Literatur von Frauen abzubilden, die vergessen und verdrängt wurde, wollen Birkmann und Seifert nicht nur deutsche oder aus dem Englischen übersetzte Texte veröffentlichen. In Zukunft soll es auch Texte aus anderen Sprachräumen geben, wofür die beiden mehr Zeit brauchen und weitere Verbündete, die sich in anderen Bereichen auskennen. Es klingt auf jeden Fall so, als würde es sich lohnen, die rororo Entdeckungen im Auge zu behalten.