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Lose Your Mother: A Journey Along the Atlantic Slave Route

In ihrem Buch Lose Your Mother: A Journey Along the Atlantic Slave Route, das noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde, präsentiert Saidiya Hartman eine sorgfältige Mediation der Geschichte der Sklaverei und der Kompliz:innenschaft innerhalb dieser Geschichte. Beim Lesen merkte ich deutlich, dass sich hier eine wirklich intelligente Persönlichkeit der Aufgabe stellt, unbequemen Verbindungen und Zerwürfnissen direkt zu begegnen und dabei keine einfachen Auswege zu akzeptieren. Hartmans Erzählstimme zeugt von Entschlossenheit, die Ergebnisse ihrer Reise vollständig aufzuarbeiten, egal wie verwirrend, unauflösbar und mintunter unbefriedigend sie am Ende sind.

Teilweise ist das Buch ein Bericht über einen knapp einjährigen Forschungsaufenthalt in Ghana, bei dem Hartman die Sklavenroute nachzeichnet, auf der viele Menschen zu Waren gemacht wurden. Ihr Ziel ist es, die Menschlichkeit dieser Personen wieder in die Geschichte hinein zu schreiben. Außerdem ist das Buch Teil einer nuancierten Reflexion über ihre eigene Positionierung und ihre familiäre Verstrickung mit den Geschichten, denen sie sich bewusst aussetzt. Hartman beschreibt sich selbst als Afroamerikanerin, ringt aber immer wieder mit dem ‚Afrikanisch‘ in der Formulierung sowie dessen Rezeption und Wahrnehmung durch die Afrikaner:innen, denen sie während ihrer Zeit auf dem Kontinent begegnet. Hartman beruft sich auf namhafte Denker:innen der antikolonialen und antirassistischen Kämpfe, die die Solidarität zwischen allen Schwarzen Menschen als erstrebenswertes Ideal formulieren – findet aber wegen der Disharmonien, die ihr in der Realität begegnen, dass dieses Ideal sein Potential nicht erfüllen kann. In Ghana sieht sie sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, als Ausländerin und Außenseiterin angesehen zu werden, als reiche Amerikanerin, die Privilegien und Ressourcen genießt, um die sie viele der Einheimischen zutiefst beneiden. In ihrem Bestreben, an eine wahrheitsgetreuere Geschichte der Sklaverei heran zu kommen, empfindet Hartman oft Zurückweisung (aber manchmal auch fast ein wenig Entzücken), wenn sie auf unterschiedliche Weise wie eine außenstehende Touristin behandelt wird. Das zeigt sich zum Beispiel bei ihren Ausflügen zum Elmina Castle an der ghanaischen Küste: In diesem Fort können die tatsächlichen Verliese besichtigt werden, in denen die Menschen, die zu Sklav:innen gemacht werden sollten, zunächst eingekerkert wurden. Sie wurden manchmal monatelang dort an die Wände gekettet, ohne die Möglichkeit sich zu waschen oder eine Toilette zu benutzen, bevor sie gezwungen wurden, die Schiffe zu besteigen, die sie zu einem Leben in der „Neuen Welt“ bringen sollten, in dem sie als Eigentum behandelt werden würden. (Als ich über diese Kerker las, konnte ich nicht anders, als an Teile von Yaa Gyasis Roman Heimkehren zu denken). Hartman hofft, an diesen unvergesslichen Orten tiefe Erfahrungen zu machen, wird aber irgendwie immer enttäuscht. Die Dinge, nach denen sie sucht, bleiben schwer fassbar.

Eine andere Sache, mit der Hartman enorm zu kämpfen hat, ist das Narrativ der Sklaverei, wie es auf dem afrikanischen Kontinent erzählt wird. Dieses Narrativ schiebt die Schuld der Übel der Sklaverei oft ausschließlich den Europäern zu. Hartman möchte die Europäer keinesfalls entlasten, aber sie weist immer auch auf die Rolle der afrikanischen Völker im Sklavenhandel hin, ungeachtet dessen, dass ihre Haltung viele ihrer Begegnungen unangenehm macht. Hartman besteht darauf, den Erzählrahmen zu kritisieren, der diejenigen stigmatisiert, die von Versklavten abstammen – so wie sie selbst. Hier besteht also ein grundlegender Unterschied zwischen der Positionierung ihrer Erzählstimme und den Afrikaner:innen, die ihr auf ihrer Reise begegnen: Sie sehen Hartman als wohlhabende Amerikanerin und betrachten die Tatsache, dass sie von Sklav:innen abstammt, oft als etwas, das besser unter den Teppich gekehrt werden sollte (auch um den Folgegenerationen keine Schande zu zufügen). Hartman hingegen möchte der Geschichte der Sklaverei direkt ins Auge sehen, sie ist u.a. in der Hoffnung auf den afrikanischen Kontinent gereist, um dort eine Art von Verbindung zu finden.

Genauso wenig wie die Reise, von der das Buch erzählt, eine leichte ist, ist es keine leichte Lektüre. Aber das Buch regt zum Nachdenken an, ist fesselnd geschrieben und bewundernswert in seiner Weigerung, einfache Lösungen oder beschwichtigende Schlussfolgerungen anzubieten. Lose your mother ist ein beeindruckendes, wenn auch etwas melancholisches Buch, in dem sich die Talente einer akribischen Gelehrten, Forscherin und Denkerin mit denen einer begabten und einfühlsamen Erzählerin verbinden.

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