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Die Nickel Boys

Auf den grünen Feldern an der Nordseite des ehemaligen Campus der Nickel Academy für Jungen stößt eine Archäologiestudentin der University of Florida auf Knochen: Zahlreiche, unmarkierte Gräber. Sie und ihre Kommiliton:innen sind dort, um den offiziellen Friedhof der Schule auszugraben, bevor das Gelände zu einem Büropark umgewandelt wird. Die kleinen Knochen auf dem bekannten Friedhof sind schon verdächtig oft gebrochen, was auf ernsthafte Verletzungen vor dem Tod hindeutet: Von welcher Geschichte des Missbrauchs zeugt das unmarkierte Feld auf dem es weitere Knochen gibt? So beginnt Colson Whiteheads preisgekrönter Roman Die Nickel Boys (ins Deutsche übersetzt von Henning Ahrens). Verheerend ist, dass er von wahren Ereignissen inspiriert ist, die 2014 über die Dozier School for Boys in Marianna, Florida, ans Licht kamen.

Das Buch erzählt die Geschichte von Elwood Curtis, der von einer strengen Großmutter in Tallahassee großgezogen wird: Ein fleißiger, intelligenter Junge, der als erster in seiner Familie an einer Universität studieren soll. Ein Lehrer, der sein Potenzial erkennt, ermutigt Elwood, sich noch während der High School für einige College-Kurse einzuschreiben, und der Junge ist auf dem Weg zu seiner ersten Stunde, als das Schicksal ihm einen bösen Schlag versetzt: Elwood wird ohne eigenes Verschulden Opfer von sehr viel Pech und dem systemischen Rassismus des Jim-Crow-Südens. Er wird eines Verbrechens für schuldig befunden, mit dem er nichts zu tun hatte, und zu einem Semester an der Nickel Academy verurteilt. Der Roman erzählt von seiner Zeit dort, in der er und seine Mitgefangenen unsägliche Misshandlungen erleiden.

Whiteheads Roman ist ein Pageturner und seine Art zu schreiben, wirkt völlig mühelos. Die Erzählung ist absolut fesselnd, da die Geschichte mit Sensibilität und großer Rücksicht auf die Würde der Opfer erzählt wird. Elwood schöpft Energie und Inspiration aus den Worten seines langjährigen Helden Martin Luther King Jr.: „Werft uns ins Gefängnis und wir werden euch trotzdem lieben… Aber seid versichert, dass wir euch mit unserer Leidensfähigkeit zermürben werden…“ (“Throw us in jail and we will still love you… But be assured that we will wear you down by our capacity to suffer…”). Elwood beschäftigt sich lange mit der Bedeutung dieser „Leidensfähigkeit“ und mir schien es, als würde der Roman genau damit den Leidenden ihre Würde zugestehen, eine Würde, die die Täter, niemals erreichen könnten.

Die Nickel Boys hatte etwas von dem Rhythmus einer Jungen-Abenteuergeschichte oder der Art von Erzählung, die man aus Büchern wie Harry Potter kennt – nur dass die Erlebnisse der Nickel-Jungen sehr nahe an der Realität sind: Sie sind unendlich viel dunklerer Natur und haben viel zu viel von der realen Welt in sich. Das hatte für mich eine unangenehme Wirkung, und ich denke, dass der Roman auf diese Weise den Spagat schafft, die Leser:innen in seinen Bann zu ziehen und gleichzeitig Unbehagen in ihnen hervorzurufen, weil es hier um mehr geht als um eine bloße Geschichte von Jungen, die Herausforderungen im Internat meistern. Ich hätte gerne eine weibliche Figur gesehen, die mehr ist als ein Nebencharakter in Form einer bestärkenden Großmutter, eine mögliche Liebschaft, eine langweilige Ehefrau oder eine grausame Krankenschwester – aber letztendlich ist es eben eine Geschichte einer Schule für Jungen, die von Männern geführt wird. Unabhängig davon empfehle ich dieses Buch von ganzem Herzen.

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