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Dschinns

Buchcover von Dschinns von Fatma Aydemir

Dschinns

Ich sage es gleich zu Anfang: Dschinns ist ein hervorragendes Buch! Ich bin mir sicher, dass es eins meiner 2022 Highlights bleiben und viele Preise gewinnen wird. Fatma Aydemir zeigt in ihrem zweiten Roman anhand einer Familiengeschichte herausragendes kompositorisches und erzählerisches Geschick.

Die Geschichte ist um den Tod eines Familienvaters aufgebaut.  Hüseyin hat 30 Jahre als sogenannter „Gastarbeiter“ in Deutschland geschuftet. In den 1990ern zu Beginn seiner Rente stirbt er, als er gerade geschafft hat, sich einen Traum zu erfüllen – er hat eine Wohnung in Istanbul gekauft. Seine Frau Emine und ihre vier sehr unterschiedlichen Kinder, die alle ihren Ballast mit sich tragen, reisen zur Beerdigung nach Istanbul. Es ist das erste Mal seit langer Zeit, dass sich alle wiedersehen und es stellt sich die Frage, ob die Begegnung zur Lösung von Konflikten, zu Verzeihung und Annäherung führen wird. Zunächst erinnert diese Geschichte an Taiye Selasis gefeierten Roman Diese Dinge geschehen nicht einfach so. Aber Dschinns hat weniger Glamour: Die Sprache ist schlichter, die Charaktere sind keine Überflieger*innen und Queerness ist ein zentrales Element.

Dschinns lebt von den hervorragend entwickelten Charaktere, die jeweils eine ganz eigene Stimme und Sicht auf die Welt haben. In je einem Teil des Buches lernen Leser*innen ihre Perspektive kennen. Fatma Aydemir sagte bei einer vorab Lesung für den Buchhandel und Blogger*innen, die der Hanser Verlag organisiert hat, ihr sei es darum gegangen, Hüseyin besser kennen zu lernen. Doch außer in Emines Leben tritt Hüseyin in den Hintergrund. Er ist zwar der Patriarch, aber auch ein graues, erschöpftes Männchen. Was diese Familie ausmacht, sind Geheimnisse. Ihnen fehlt die Sprache sich einander anzuvertrauen, was neben einem Generationenunterschied auch eine Folge von Migration und Unterdrückung ist. Hüseyins und Emines erste Sprache war Kurdisch, die sie aus Angst vor Verfolgung ablegten. Sie verschweigen ihren Kindern, die größtenteils mit Türkisch und später mit Deutsch aufwachsen, einen Teil ihrer Identität. Ümit, der jüngste Sohn, verschweigt, dass er schwul ist und von seinem Fußballtrainer zu einer Konversionstherapie gezwungen wird. Peri verschweigt ihre tragische Beziehung und Details über ihr Leben als Studentin, das nicht ferner von dem Leben ihrer Eltern sein könnte. Hakan verschweigt seine krummen Geschäfte. Peri unterstellt Sevda zu assimiliert zu sein, während sie sich aus einer aufgezwungenen Ehe befreit und es als Analphabetin schafft, erfolgreich eine Pizzeria zu führen. Die Spannung wird aufrecht gehalten, indem ständig das Gefühl vermittelt wird, in Istanbul müsse etwas passieren und tatsächlich wird am Ende noch ein weiteres Geheimnis gelüftet.

Neben den Geheimnissen gibt es Vorwürfe an die Eltern und Rassismuserfahrungen in Deutschland. Es gibt Angst und Scham. Es gibt Brüche und Momente der Annäherung. Die Komplexität, die Migration, Familie, Beziehungen und Lebensentscheidungen ausmacht, steht im Zentrum von Dschinns. Das Buch lädt ein, Empathie für alle Charaktere zu entwickeln. Wer sich auf ihre Perspektiven einlässt, erkennt wie selten etwas einfach gut oder schlecht, schwarz oder weiß ist. Dschinns ist ein kluges Buch und ein Page Turner.

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