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Buchcover

Der Schattenkönig

Maaza Mengistes Roman Der Schattenkönig (ins Deutsche übersetzt von Brigitte Jakobeit und Patricia Klobusiczky) habe ich eine Zeit lang ständig auf Social Media gesehen und dann stand er 2020 auch noch auf der Booker Prize Shortlist. Das nahm ich als Zeichen dafür, dass es sich um ein lesenswertes Buch handeln musste. Ich möchte euch Der Schattenkönig auch tatsächlich sehr ans Herz legen, aber vielleicht nicht als Urlaubslektüre, denn seid gewarnt: Es ist ein Buch über die italienische Militärinvasion in Äthiopien im Jahr 1935, es gibt durchweg schreckliche Morde und Vergewaltigungen.

Vielleicht habt ihr wie ich schon Francesca Melandris Roman Alle, außer mir gelesen, in dem eine italienische Protagonistin erfährt, dass ihr Vater Faschist und Kolonialist war und in Äthiopien gelebt hat. Sie erkennt, wie Italiens politisches Wirken und vieles im Leben ihres Vaters an ihr vorbeigegangen war. Der Schattenkönig erzählt weniger die italienische, sondern mehr die äthiopische Perspektive. Es geht um antikolonialen Widerstand und die Rolle von äthiopischen Frauen, von denen einige Soldatinnen wurden. So erzählt der Roman von Lücken in der europäischen und afrikanischen Geschichte und wie eine Ausnahmesituation starre Grenzen zwischen Geschlechterrollen in Äthiopien temporär aufweichte.

Gegen jede Erwartung an einen Kriegsroman, beginnt der Roman mit einer häuslichen Szene: Hirut, eine verwaiste junge Frau oder eher Jugendliche, hat vor Kurzem begonnen für Aster und Kidane als Dienstmädchen zu arbeiten. Meine Sympathien tendierten zunächst zu der verletzlichen jungen Hirut und zu Kidane, der sie vor der Eifersucht und den Ausrastern von Aster zu schützen schien. Doch als die italienischen Truppen anrücken, müssen häusliche Konflikte zunächst zurückgestellt werden. Kidane versammelt Männer um sich, um schlecht ausgestattet in den Krieg zu ziehen. Aster mobilisiert die zurückgebliebenen Frauen und sie folgen den Männern, um sie zu unterstützen. Während die italienischen Truppen ein Katze und Maus Spiel mit den Äthiopier:innen beginnen, blitzen die vorherigen Konflikte im äthiopischen Lager wieder auf. Als wäre die Gewalt der Kolonialisten nicht schlimm genug, gibt es brutale Vorfälle von Machtdemonstrationen zwischen Kidane, Hirut, Aster und andern und die Sympathien verschieben sich.

Weitere Fragmente unterbrechen die Kriegsszenen: Der jüdische Soldat aus Venedig, Ettore, der zu einem Kriegsfotografen geworden ist, sieht sein Leben und das seiner Eltern in Gefahr, als Mussolinis Politik sich gegen Jüdinnen:Juden wendet. Haile Selassis kritischen Selbstgespräche zeigen einen Staatsmann, der in die Enge getrieben wurde, so dass er sich entscheidet, sich nach England abzusetzen. Doch Äthiopien bleibt er – ohne sein Wissen – als Schattenkönig erhalten. Ein Chor ordnet Ereignisse zwischendurch ein. Imaginäre Fotos von Ettore dienen als weitere Grundlage für das stückweise voranschreitende Zusammentragen historischer Ausschnitte des Kriegsgeschehens und menschlicher Schicksale.

Mengiste schafft es, eine komplexe Kollage anzufertigen, die sich mit den Worten, die sie Haile Selassie in den Mund legt, am besten erklären lässt: „Alles, was zu leben verdient, ist der Erinnerung wert. Vergiss nichts.“ (191). Ihr Roman ist ein Buch gegen das Vergessen. So scheut sie sich nicht vor einem kurzen Kapitel, das Album der Toten heißt und all diejenigen, unschuldigen und namenlosen Äthiopier:innen mit einer Kurzbeschreibung auflistet, die der bösartige italienische Colonello Carlo Fucelli von einer Klippe in den Abgrund – in den Tod – schubsen ließ. Mengiste schreibt über Grausamkeit und Menschlichkeit.

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