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Vertraulichkeiten

„Mein Sohn, du misst gerade die Tiefe des Flusses mit deinem Finger. Was du verstehen musst, ist, dass du diesen Dingen da, die du wissen willst, bei weitem nicht gewachsen bist. Das ist zu gefährlich für dich. Warum versuchen etwas auszugraben, was alle, sogar die Opfer, die du stören wirst, vergessen wollen.“ (245)

In Max Lobes Roman Vertraulichkeiten reist ein namenloser Ich-Erzähler, der in der Schweiz lebt, nach Kamerun, wo er aufgewachsen ist, und lässt sich von einer alten Frau in einem Dorf irgendwo auf dem Weg zwischen Duala und Jaunde vom kamerunischen Unabhängigkeitskampf erzählen. Der Großteil des Buches wird von ihr erzählt, von Ma Maliga. Sie hat eine einzigartige, humorvolle Stimme und fordert ihren Gast immer wieder auf, mehr von ihrem guten Palmwein mit ihr zu trinken. Zunächst berichtet sie lange und ausführlich über ihre Familie, die Dorfstrukturen, ihre Hochzeit und die weißen Kolonialist*innen tauchen nur am Rande auf. Erst später wird klar, dass sie den Wein und den Vorspann braucht, um sich langsam an die schlimmen Erfahrungen, die sie während des Unabhängigkeitskampfes mitmachen musste, heranzutasten. Sie hat die Zeit miterlebt, in der die französische Kolonialpolizei Um Nyobé, eine zentrale Figur des antikolonialen Widerstands, ermordete, genau wie zahlreiche andere Menschen aus der Region um Boumnyebel. Maliga selbst musste hochschwanger in einem Internierungslager hungern und unvergessliche Misshandlungen überstehen.

Als Lesende dürfen wir Maligas Bericht lauschen, genau wie der Ich-Erzähler. Da er in Europa lebt, versichert sie sich immer wieder, ob er ihr noch folgen kann, was für Lesende mit wenig Vorwissen über die kamerunische Geschichte nützlich ist. Sie liefert Erklärungen, macht allerhand Witze und nutzt Wortwiederholungen zur Betonung oder eigensinnige Formulierungen wie Langer-Bleistift-Intellektuelle zur Veranschaulichung. Am Ende beweint sie ihre Toten. Sie bietet einen Einblick in eine gewaltvolle Vergangenheit, über die sie lieber nicht mehr sprechen würde. Der Ich-Erzähler hört hauptsächlich zu, lässt kurze Momentaufnahmen seiner Erfahrung der kamerunischen Gegenwart einfließen und bleibt mit der offenen Frage zurück, was er mit dem Wissen über die gewaltvolle Geschichte machen soll. Diese Frage ist universell und eine Antwort, die Max Lobes Vertraulichkeiten nahelegt, ist, zunächst einmal zuzuhören.

(Aus dem Französischen Übersetzt von Katharina Triebner-Cabald.)

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