Lifting the Veil
Namenlose Erzählerinnen
Lifting the Veil – Den Schleier lüften – ist ein Titel, dessen Bedeutung sich über westliche und östliche Traditionen erstreckt. Man denke an das Bild der verschleierten Braut, einer Frauenfigur, verdammt zu einem Leben als Besitztum eines Mannes. Der Schleier wird gelüftet, um die Braut zu enthüllen, zum Vergnügen des männlichen Blicks. Doch in dieser Kurzgeschichtensammlung stellt Ismat Chughtai dieses Schema auf den Kopf.
Es ist der Schleier über unseren Augen, der gelüftet wird und tiefgründige, komplizierte Lebensrealitäten offenbart. Mit diesen ursprünglich in Urdu verfassten Geschichten stürzt Ismat Chughtai sich und ihre Leser*innen kopfüber in eine unbeholfene Welt im Spagat zwischen kolonialer Besatzung und dem plötzlichen Erwachen eines von tiefen Wunden geteilten Subkontinents mit neuen, unabhängigen Nationalstaaten. Ismat Chughtai, die vielleicht als bescheidene Feministin beschrieben werden kann, greift mit zwei starken Frauenhänden, die von den Geschichtenerzähler*innen um sie herum geformt wurden, nach dem Schönen und dem Hässlichen – nach dem, was das Leben in rauen Mengen liefert.
Frauen und der weibliche Blick stehen in diesen Geschichten im Mittelpunkt, aber nichts wirkt aufgesetzt. Chughtai lädt Leser*innen einfach dazu ein, diese vielschichtigen Mikrokosmen des Lebens zu erleben, die trotz ihres kleinen Raums die inneren und äußeren Kämpfe ihres historischen Kontextes so deutlich widerspiegeln.
Die Frauen in ihren Geschichten schockieren auf herrliche Weise, indem sie Geld verdienen, Fluchen oder Sex haben. Manchmal wirken die Figuren wie übertriebene Archetypen – wie das alte Weib oder die Hure –, dass die erschütternden Umstände wie Slapstick wirken.
In „The Homemaker“ genießt das Hausmädchen Lajo ihre Promiskuität, auch wenn ihr lüsterner Arbeitgeber Mirza versucht, sie zu zähmen. Als er endlich schafft, sie gefügig zu machen, behandelt er sie auf eine Weise, die in Bezug auf Ehefrauen gesellschaftlich akzeptiert ist – er lässt sie allein zu Hause und schlägt sie, wenn sie ihm nicht gehorcht. Es ist schwer, so einer toxischen Spirale etwas Komisches zu geben, aber am Ende legt Lajo die Haut der reinen, anständigen Ehefrau ab.
„The Quilt“ ist eine der bekanntesten Geschichten von Chughtai, weil sie vor dem Obersten Gericht in Lahore als obszön angeklagt wurde – wegen einer lesbischen Sexszene. Wie sie diese Erfahrung reflektiert, können wir in der Geschichte „In the Name of those Married Women…“ lesen, mit der der Band endet. Sie hat nicht die Absicht, Buße zu tun, sondern freut sich eher auf die Reise nach Lahore. Aber die Leute flehen sie an, sich zu entschuldigen und ihre männlichen Zeitgenossen reagieren größtenteils wutentbrannt. Wie konnte sie nur so schamlos sein? Es ist okay, wenn sie selbst über Sex schreiben, aber sie ist doch eine Frau!
Ismat Chughtai schrieb, was sie für die Wahrheit hielt, und schämte sich deshalb nicht für „The Quilt“. Scham ist ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch alle Geschichten zieht, und mir hat ihre Herangehensweise an dieses Thema in „Vocation“ besonders gut gefallen.
Eine namenlose Erzählerin verschwendet viel Energie darauf, ihre Nachbarinnen zu verurteilen, überzeugt davon, sie seien Sexarbeiterinnen – auch Kurtisanen genannt. Es ist klar, dass die Erzählerin unzufrieden mit ihrem Leben ist und vermutlich, zu Anständigkeit und Keuschheit erzogen, Angst vor der weiblichen Sexualität hat.
Es ist also witzig und schmerzlich nachvollziehbar – für jede Frau, die schon einmal von anderen bewertet wurde… –, ihr dabei zuzusehen, wie sie mit ihrer Verwirrung ringt und gleichzeitig versucht, ein Gefühl der Überlegenheit aufrechtzuerhalten, eine bessere Art Frau zu sein. Nach ihrer Schlussfolgerung müssen die anderen zu faul sein, um einer anderen Arbeit nachzugehen, oder sie wurden von Männern vergewaltigt und fühlten sich deshalb zu besudelt, um einen respektablen Beruf auszuüben.
Die meisten dieser Geschichten wurden in den 1940er-Jahren geschrieben, aber für alle, die sich für südasiatische Literatur interessieren, sollten sie zur Pflichtlektüre gehören. Ismat Chughtai wurde als eine der wichtigsten Stimmen der Urdu-Literatur bezeichnet, aber ihre Furchtlosigkeit beim Erzählen von Geschichten ist kulturübergreifend. Ich bin dankbar für die Existenz eines so kraftvollen Buches wie Lifting the Veil.