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Buchcover von Max Czolleks Versöhnungstheater

Versöhnungstheater

Nach Desintegriert euch! (2018) und Gegenwartsbewältigung (2020) legt Max Czollek nun einen dritten Band nach, Versöhnungstheater, der eine ebenso selbstbewusste und lebhafte Intervention in aktuelle Debatten ist. Czollek kritisiert in seinem jüngsten Essay die deutsche Erinnerungskultur – also das sich wandelnde Verhältnis zur eigenen nationalsozialistischen Geschichte – als Inszenierung der wiedergutgewordenen Deutschen. „Im Versöhnungstheater ist das Aussöhnen mit der deutschen Vergangenheit und ihren Opfern bereits als vollendete Tatsache vorausgesetzt“ (27). Und das ist ein Problem, da so die geschehene Gewalt und Zerstörung nicht anerkannt und der Blick auf die jüdische Gegenwart verstellt wird.

Es gäbe viel zu Czolleks Buch zu sagen, im Rahmen von poco.lit. scheinen mir die Aspekte besonders interessant, die trotz des spezifischen Fokus auf postnationalsozialistische Kontinuitäten Ähnlichkeiten mit postkolonialen Bestrebungen haben. So wie Eve Tuck und K. Wayne Yang für den Kontext der Siedlungskolonien fordern, dass Dekolonisierung nicht als Metapher verstanden werden sollte, erklärt Czollek, dass im deutschen Kontext eine tatsächliche und keine symbolische Wiedergutmachung wünschenswert wäre. Er kritisiert im Kapitel „Wiedergutwerdung ohne Wiedergutmachung“, dass auf symbolische Gesten wie öffentliche Entschuldigungen für den Holocaust oft keine Taten folgen würden. Dabei zieht er selbst Parallelen zum Siedlungskolonialismus, der zentral für Tucks und Yangs Argument ist, indem er von einer Erfahrung bei einer digitalen Konferenz der University of British Columbia berichtet: Die Veranstaltenden bedankten sich zu Beginn symbolisch dafür, die Konferenz auf dem Land der First Nations ausführen zu dürfen. Solche unverbindlichen Höflichkeiten haben selten tatsächliche Entschädigungen oder strukturelle Veränderungen zur Folge – weder im deutschen noch im kanadischen Kontext.

Czollek setzt sich kritisch mit der Rolle von Erinnerungsorten und Denkmälern auseinander. Aus postkolonialer Perspektive wurde das Berliner Humboldt Forum besonders für die Objekte kritisiert, die dort ausgestellt werden – teilweise koloniale Raubkunst. Czollek erweitert die Kritik, indem er darauf verweist, dass der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses u.a. von rechtsradikalen Antisemit*innen gefördert wurde. Das Berliner Stadtschloss drücke außerdem den Wunsch nach einer positiven Nationalgeschichte aus und dabei würden problematische historische Verwicklungen ignoriert. Stattdessen applaudiert Czollek denjenigen, „die Farbbeutel auf Denkmäler werfen, welche gefallene Wehrmachtssoldat*innen als Opfer des deutschen Volkes verklären“ und nennt sie „Vertreter*innen einer lebendigen Erinnerungskultur“ (146). Das erinnert stark an den Umsturz der Edward Colston Statue in Bristol oder an die #RhodesMustFall-Bewegung, die an der Universität Kapstadt ihren Ursprung nahm, als Kritik am strukturellen Rassismus.

Verschiedene Formen von Diskriminierung und ihre Geschichte sind spezifisch, aber es gibt Verbindungs- und Verbündungsmöglichkeiten. So spricht sich Czollek auch für ein „gemeinsames Handeln in Anerkennung unserer Unterschiede“ (80) aus. Sein Essay Versöhnungstheater lädt ein, kritisch zu bleiben und es sich nicht zu bequem zu machen. Der flotte und manchmal schnippische Ton gibt den Argumenten eine lesenswerte Leichtfüßigkeit.

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