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Humboldt Forum von der Seite, davor die Spree mit einem Touri Boot und im Hintergrund der Berliner Dom

Ein Besuch im Humboldt Forum – Gedanken über das „wie“ der Ausstellungsgestaltung

Das Humboldt Forum in Berlin wird seit einer gefühlten Ewigkeit kontrovers diskutiert. In der Debatte um diesen Neuzugang in der Berliner Stadt- und Kulturlandschaft geht es etwa um die Geschichte des Ortes, die Kosten des Projekts und auch um die Objekte, die im Humboldt Forum ausgestellt werden sollen. Gerade der letzte Punkt ist für poco.lit. von besonderem Interesse, da Berlins „außereuropäischen“ Sammlungen im Humboldt Forum ein neues zu Hause finden sollen. Wer mehr über die Hintergründe der Kontroverse erfahren möchte, kann hier einen Bericht anschauen, der von Hadnet Tesfai moderiert wird, und sogar einen Eindruck von bisher noch nicht öffentlich zugänglichen Ausstellungsstücken erhalten. Außerdem hat die Initiative No Humboldt 21, die von Berlin Postkolonial, der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) und andern ins Leben gerufen wurde, viele überzeugende Argumente gegen das Humboldt Forum gesammelt – die Resolution der Initiative gibt es hier.

Einer der grundsätzlichen Streitpunkte ist also, dass das Forum einen Großteil der Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst beherbergen soll. Im Ausstellungsflyer heißt es: „Rund 20.000 archäologische, ethnologische und kunstgeschichtliche Exponate erzählen von unterschiedlichen Perspektiven auf universale Menschheitsthemen.“ Diese Bemerkung scheint mit ihrem Anspruch auf „Universalität“ die Tatsache zu überspielen, dass viele der Objekte, die in diesen Sammlungen gelandet sind, nur mithilfe von kolonialer Gewalt und Zwang erworben wurden. Doch angesichts der verstärkten Aufmerksamkeit der letzten Jahre für Themen rund um koloniale Vermächtnisse, haben sich die Kurator:innen und Forscher:innen des Humboldt Forums sicherlich auch mit der kolonialen Geschichte dieser Objekte beschäftigt – tatsächlich nennt das Museum „Diskurse über Kolonialismus und Kolonialität“ als eines seiner Kernthemen. Ich war neugierig darauf, wie das Museum diese komplizierten Fragen in den Ausstellungen angeht. Aber vor meinem Besuch zögerte ich zunächst – ich hatte Bedenken, dass diese Objekte überhaupt in einem Museum zu sehen sein sollten und die Institution mit meinem Eintrittsgeld finanziell zu unterstützen. Wie sich jedoch herausstellte, ist der Eintritt in den ersten 100 Tagen kostenlos (diese 100 Tage enden am 13. November).

Mit rund 30.000 Quadratmetern ist das Humboldt Forum kolossal – und es ist seine Größe, die tatsächlich als erstes ins Auge sticht. Ob das Nebeneinander von moderner Architektur und der Rekonstruktion einiger Teile des alten Berliner Schlosses gefällt, ist vielleicht Geschmackssache, eigentlich dient es aber der Verherrlichung einer Vergangenheit, die es nicht nötig hat, verherrlicht zu werden. Klar ist, dass das Humboldt Forum beeindrucken will. Es ist riesig – seine Präsenz regelrecht imposant – und ich frage mich, ob so der richtige Ton für das getroffen wird, was dort ausgestellt werden soll. Priya Basil und Teresa Koloma Beck deuten in einem Artikel über eine Werbekampagne für die Ausstellungen im Humboldt Forum bereits an, dass Bescheidenheit wohl angemessener wäre. Die Pracht dieses Stils mag zwar einer gewissen (europäischen) Museumstradition entsprechen, aber die Zeit, in der europäische Metropolen einen Koloss in ihrer Mitte errichteten, um ihre gestohlene Beute zu präsentieren, ist doch wohl vorbei?

Ich habe zwei Ausstellungen im Humboldt Forum besucht: Schrecklich Schön/Terrible Beauty und die Ausstellung des Museums für Asiatische Kunst. (Die Ausstellungen des Ethnologischen Museums sollen im Sommer 2022 eröffnet werden). Bei beiden Ausstellungen muss ich gestehen, dass ich mich von Anfang an mehr für das „Wie“ als für das „Was“ interessiert habe. Schrecklich Schön/Terrible Beauty trägt den Untertitel „Elefant – Mensch – Elfenbein“ und setzt sich mit der Frage auseinander, wie der Elefant und sein Elfenbein eine Verbindung zwischen Kunst und Gewalt darstellen. Das erste Objekt, mit dem Besucher:innen konfrontiert werden, wenn sie den schwach beleuchteten Raum im Erdgeschoss betreten, ist die aus Mammutelfenbein geschnitzte Figur eines Mammuts, das auf der Schwäbischen Alb in Deutschland gefunden wurde. Da so viele der anderen Objekte in dieser Ausstellung aus dem globalen Süden stammen – oder hier vielleicht treffender: aus der ehemals kolonisierten Welt – und auf höchstwahrscheinlich zweifelhaften Wegen in europäische Hände gelangt sind, ist es eine bemerkenswerte Wahl, dass das erste ausgestellte Objekt aus Deutschland kommt. Soll dieses Mammut auf eine gemeinsame planetarische Vergangenheit aller Menschen hindeuten? Heißt das, dass alles in Europa begann? Ist es ein Versuch, die Ausstellung mit etwas zu eröffnen, das nicht gestohlen wurde?

Provenienz-Notfallstation im Humboldt Forum

Um bewusst mit der oft problematischen Aneignung der ausgestellten Objekte umzugehen, gibt es in der Ausstellung Schrecklich Schön/Terrible Beauty eine Art Provenienz-Notfallstationen. Rot-weiß gestreift, als würden sie vor einem Verkehrsunfall warnen, finden sich überall in der Ausstellung solche Stationen, an denen Besucher:innen Tafeln aus der Wand ziehen können, die Auskunft über den Stand der Provenienzforschung zu bestimmten Objekten geben. Dies ist zum Beispiel bei zwei geschnitzten menschlichen Figuren aus Kamarun der Fall, die „zum Nachlass von Hans Casper Gans Edler Herr zu Putlitz, einem in Kamarun stationierten Kolonialoffizier, gehörten.“ Weiter heißt es: „Angesichts der systematischen Gewalt und Unterdrückung durch die deutschen Kolonialherren erscheinen selbst ‚legal‘ erworbene oder geschenkte Gegenstände in der Sammlung moralisch fragwürdig.“ Die Gegenüberstellung dieser Erkenntnis mit den dennoch ausgestellten Objekten in diesem rekonstruierten preußischen Schloss ist schlichtweg seltsam.

Die Ausstellung des Museums für Asiatische Kunst im dritten Stock ist wesentlich umfangreicher – und viel zu groß, um hier im Detail darauf einzugehen. Beim Hinterfragen, wie das Humboldt Forum die Ausstellung der Objekte gestaltet, fällt an dieser Stelle auf, dass die Exponate von Anmerkungen zur Museumspraxis begleitet werden. Die erste dieser Tafeln trägt die Überschrift „Themen und Fragen der Ausstellungen“ und dient als Rahmen für den Teil, der sich mit der Darstellung verschiedener Religionen und dem „menschliche Wunsch nach Schutz, Orientierung und spirituellem Halt“ beschäftigt. Im Folgenden wird betont, dass die Erforschung der Objekte in Zusammenarbeit mit Vertreter:innen der Herkunftsgemeinschaften erfolgt. Wie sehen wohl die Bedingungen für eine solche Zusammenarbeit aus?

Bei meinem Rundgang durch die verschiedenen Ausstellungsräume, die mit unzähligen Objekten bestückt sind, fiel mir auf, dass es für jedes der ausgestellten Objekte eine kleine Erläuterungstafel gibt, die folgende Information enthält: „Gekauft von…, gestiftet von…, erworben von…“. Ich fragte mich, wie dieses „Erwerben“ ausgesehen haben mag, was die Geschichte der Käufe war. Gelegenheitsbesucher:innen werden wahrscheinlich keine weiteren Nachforschungen zu den einzelnen Objekten und ihrem Erwerb anstellen, so dass es bei diesen knappen Hinweisen auf den Erläuterungstafeln bleibt.

Die Abschlussbemerkungen zur Ausstellung im letzten Raum stehen unter der Überschrift: „Wann wurden diese Objekte nach Berlin gebracht und wohin kamen sie?“ Diese Tafel stellt in Bezug auf die ausgestellten Objekte den Kolonialismus in den Mittelpunkt. Die deutschen Kolonialbestrebungen in China werden thematisiert ebenso wie die oft gewaltvolle „Aneignung“ von Objekten. Es heißt über die Objekte: „Dass sie ihren Platz in einem Berliner Museum fanden, verdeutlicht die komplexen Verbindungen musealer Interessenpolitik und kolonialer Machtverhältnisse. Zugleich bezeugen sie die große Wertschätzung asiatischer Kunst und Kultur in Deutschland.“ Vor allem der letzte Satz schlägt wieder einmal einen völlig falschen Ton an.

Ich finde das Forum in seiner Gesamtheit nach wie vor problematisch. Es gibt einige grundsätzliche Schwierigkeiten, die es nahezu unmöglich machen, das Projekt als Ganzes als vertretbar zu betrachten. Dazu gehört laut No Humboldt 21, dass das Eigentum der Berliner Museen an den ausgestellten Objekten nicht legitim ist; dass das Humboldt Forum wie ein Versuch wirkt, die koloniale Vergangenheit der Stadt zu rehabilitieren; dass außereuropäische Kulturen in diesen Museumsbeständen implizit als „anders“ („other“) markiert werden; dass die Forschung an den Objekten sich in die lange Geschichte einreihen kann, in der Europäer:innen den globalen Süden zum wissenschaftlichen „Objekt“  mach(t)en; und dass die Ausstellungen nur für diejenigen zugänglich sind, die das Privileg haben, in den globalen Norden reisen zu können. Dennoch kann die Sichtbarkeit des Humboldt Forums vielleicht dazu beitragen, ein größeres öffentliches Bewusstsein für einige der ihm zugrundeliegenden Probleme zu schaffen, die systemisch sind und sich nicht auf das Humboldt Forum beschränken.

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