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Grand Union

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Grand Union

Wann immer ich Zadie Smith lese, denke ich, dass man sie unmöglich nicht mögen kann. Ihre Prosa ist elegant, witzig und so verdammt klug. Ähnlich wie die Erzählerstimme in „Für den König“ in ihrem Kurzgeschichtenband Grand Union wirkt sie, als wäre sie eine lustige Gesprächspartnerin bei einem Abendessen und einer Flasche Wein. Diese Geschichte war in der Tat eine meiner Lieblingsgeschichten, obwohl alle überaus starke Kandidaten sind. „Für den König“ plätschert in einem wunderbaren, denk-ähnlichen Tempo vor sich hin, während sich ein Gesprächsabend zwischen zwei alten Freund*innen mit gleicher Anmut um intersektionale Perspektiven auf Gender, Sex und Race über Generationsgrenzen hinweg und die Attraktivität des Kellners dreht.

Mutterschaft und die daraus resultierenden komplexen Beziehungen sind ein wiederkehrendes Motif. „Das Kleinkind trug eine riesige, durchnässte Windel, die hinter ihm hing und sich wie Ton verhärtete. Das war eine Überlegung wert“ – aus den ersten Zeilen von „Éducation sentimentale“ ist mir im Gedächtnis geblieben und bringt mich jedes Mal zum Lächeln, wenn ich ein Kind in einer Windel betrachte. Eine wunderbar feinfühlige Verhandlung der Mutter-Tochter-Chemie wird in der letzten und titelgebenden Geschichte „Grand Union“ geboten, die ein Gespräch zwischen der Erzählerin und ihrer Mutter inszeniert, „die tot und im Himmel war, aber der Einfachheit halber trafen wir uns vor dem Chicken Spot am oberen Ende von Ladbroke Grove.“ Im Jenseits ist ihre Mutter zur Nanny der Maroons geworden, die ihrer Tochter versichert, sie sei Asante und im gleichen Atemzug ihren Gebrauch von Amerikanismen kritisiert.

„Kelsos Dekonstruktion“ ist ebenfalls eine herausragende Geschichte: eine fiktionalisierte Rekonstruktion der wahren Geschichte von Kelso Cochrane, einem Schreiner aus Antigua, der sich in London niederließ. Cochrane wurde 1959 bei einer rassistisch motivierten Messerstecherei getötet. Keiner der weißen Männer, die für seine Ermordung verantwortlich waren, wurde jemals vor Gericht gestellt. Seine Ermordung macht in zugespitzter Weise einen systemischen Rassismus sichtbar, was so relevant und dringlich wie eh und je erscheint – vielleicht sogar noch dringlicher, seit Smith ihn 2019 heraufbeschworen hat. Diese Geschichte ist auf der Metaebene eine Reflexion darüber, was es bedeutet, so etwas überhaupt zu erzählen, solche Quellen als „Material“ für eine Erzählung zu verwenden.  Vielleicht könnte „Kelsos Dekonstruktion“ (mit seiner U-Bahn-Haltestelle namens Tolstoi und seinen Toni-Morrison-Zitaten) als verkopft kritisiert werden, aber mich hat die Geschichte mitgenommen.

Smith bahnt sich als Autorin gekonnt ihren Weg durch heikles Terrain, und man kann sich darauf verlassen, dass sie ihre Leser*innen mit geschickter Hand, Humor und Scharfsinnigkeit durch die verschiedenen Schauplätze, Szenarien und zu den eigenwilligen Figuren von Grand Union führt.

(Deutsche Übersetzung von Tanja Handels)

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