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Der Palmweintrinker

Amos Tutuolas Der Palmweintrinker (übersetzt von Walter Hilsbecher) beginnt mir der Erklärung des Protagonisten, er sei seit seinem zehnten Lebensjahr nichts anderes als ein Palmweintrinker. Seine Aufgabe bestehe schlicht aus Palmweintrinken. Das Buch erschien 1952 und gilt als der erste westafrikanische Roman in englischer Sprache, der erfolgreich international vermarktet wurde. Die abenteuerliche Geschichte wird in der ersten Person aus der Perspektive des Protagonisten erzählt, der in verschiedene Dörfer und vielleicht sogar verschiedene Welten reist, die von  lebenden und toten Kreaturen bewohnt werden. Er sucht einen verstorbenen Palmweinzapfer. Auf dem Weg erlebt der Held wunderbare, bizarre, schreckliche und – das sollte die Einführung in die Geschichte schon verdeutlicht haben – lustige Abenteuer.

Der episodische Handlungsablauf baut auf Yoruba-Volksmärchen auf und die englische Sprache wird auf unkonventionelle Weise verwendet mit einem Rhythmus, der eher wie gesprochen wirkt. Bei vielen Begegnungen wird gesungen und getanzt, was den Eindruck eines mitreißenden Bühnenstücks vermittelt. Es gibt so viel über dieses Buch zu sagen! Abgesehen von den fantastischen Abenteuern und den Kreaturen, denen der Held unterwegs begegnet (einschließlich eines vornehmen Herrn, der seine Gliedmaßen von verschiedenen Waldbewohner*innen ausgeliehen hat und in Wirklichkeit nur ein Schädel ist), ist der Roman auch formal faszinierend. In einer Episode erzählt der Erzähler von zwei Gerichtsverhandlungen, in denen er das Urteil sprechen sollte, was er aber ratlos auf später verschob. Wenn Leser*innen eine Idee haben, sollen sie sich bitte bei ihm melden, denn die Menschen im Dorf warten immer noch auf sein Urteil.

Das Buch war von Anfang an umstritten: Zunächst wurde es in der anglophonen Welt außerhalb des afrikanischen Kontinents und Nigerias – dem Heimatland von Tutuola – sehr positiv aufgenommen und löste unter Leser*innen und Intellektuellen auf dem Kontinent weniger begeisterte Debatten aus. Nicht-afrikanische Rezensent*innen lobten zwar Tutuolas Originalität, waren dabei aber häufig unangenehm gönnerhaft. Einige Kritiker*innen auf dem Kontinent wiederum bemängelten das Englisch, das der Autor verwendete (das manch andere als ein neu gestaltetes afrikanisches Englisch positiv bewerteten), da es nicht der tatsächlichen Sprechweise der Menschen auf dem Kontinent entspreche. Darüber hinaus wurde die Befürchtung geäußert, dass das Buch aufgrund seiner weiten Verbreitung – es war einer der ersten, wenn nicht sogar der erste afrikanische Roman in englischer Sprache, der so bekannt wurde – bei westlichen Leser*innen bestehende Vorurteile über ungebildete, faule oder primitive Menschen aus Afrika bestätigen würde. Da Tutuola sich an Yoruba-Geschichten bediente, gab es außerdem Plagiatsvorwürfe. Heute steht der kanonische Status von Der Palmweintrinker nicht mehr wirklich zur Debatte und viele halten den Roman für einen Grundlagentext der Postcolonial Studies.

Tutuolas Geschichte hat mich immer wieder überrascht und sich den Kategorien und Erwartungen widersetzt, die ich bewusst oder unbewusst mitgebracht habe. Der Palmweintrinker hat mich zum Lachen gebracht und verwirrt und mich von Anfang an in seinen Bann gezogen. Ich werde sicher noch lange über dieses Buch nachdenken.

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