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Im Norden der Dämmerung

Im Norden der Dämmerung

Nuruddin Farah wurde 1945 im Süden von Somalia geboren, was damals Italienisch-Somaliland war. Er studierte in Indien und lebt heute teilweise in Kapstadt in Südafrika und in Annandale-on-Hudson in den USA. Neben der Schriftstellerei ist Farah als Literaturprofessor am Bard College tätig. Sein neuster Roman Im Norden der Dämmerung, der 2020 in der deutschen Übersetzung von Wolfgang Müller erschien, spielt in Oslo.

Im Norden der Dämmerung erzählt anhand einer somalischen Familie von Migration und verschiedenen Umgangsweisen mit der Position als Neuankömmling. Es wird deutlich, dass dabei der Bildungshintergrund, Religion und Weltanschauung eine zentrale Rolle spielen. Der Roman vermittelt, wie herausfordernd das oftmals unfreiwillige Umsiedeln ist, dass aber die eigene Haltung zentral ist, dennoch ein zufriedenes Leben führen zu können.

Die bereits älteren somalischen Eheleute Gacalo und Mugdi leben ein ruhiges, zurückgezogenes und komfortables, mittelständisches Leben in Oslo. Sie stehen dem Staat Norwegen voller Dankbarkeit dafür gegenüber, dass sie dort eine neue Heimat finden konnten. Doch ihr in Norwegen aufgewachsener Sohn entwickelt in der Jugend eine tiefgreifende Unzufriedenheit mit seiner Lebenssituation im hohen Norden. Auf der Suche nach seinem Platz in der Welt, reist er nach Somalia und schließt sich dort radikalen Islamist*innen an, was fatale Folgen für ihn und seine Familie hat. Er sprengt sich selbst und viele unschuldige Menschen in die Luft. Schon die Frage, wie man damit umgeht, einen Selbstmordattentäter in der Familie zu haben, ist eine Zerreißprobe für Gacalo und Mugdi, die nach der todbringenden Tat ihres Sohnes durch die Verantwortung für dessen streng gläubige, möglicherweise ebenfalls islamistische Witwe Waliya noch herausfordernder wird.

Die Charaktere des Romans sind spannend konstruiert: Sie vertreten ganz unterschiedliche Positionen in Bezug auf Weltanschauung und Religion, auf Einwanderung und Integration, sowie nationale Identität. Mugdi trauert nicht für seinen Sohn und will nichts mit der Witwe dieses Mörders zu tun haben. Gacalo jedoch besteht darauf Waliya und ihre beiden Kinder nach Norwegen zu holen. Waliya sieht die Rolle der Frau darin, eine gute muslimische Ehefrau zu sein. Sie weigert sich norwegisch zu lernen, zu arbeiten oder auch nur das Haus zu verlassen. In der Wohnung, die Gacalo für sie zahlt, läuft rund um die Uhr eine Kassette mit Koranrezitationen. Damit steht Waliya in starkem Kontrast zu ihrer Schwägerin – Mugdi und Gacalos Tochter – die beruflich erfolgreich in der Schweiz lebt und während sie schwanger ist, die Scheidung von ihrem untreuen Ehemann anstrebt. Es treten immer wieder Konflikte auf und der Spannungsbogen wird kontinuierlich von der Frage aufrechterhalten, ob Waliya eine radikale Islamistin ist. Zusätzlich geschehen in Norwegen tragische, rechtsradikale Übergriffe auf Schwarze und muslimische Einwander*innen.

Ich habe das Buch gerne gelesen, da es relevante Fragen unserer Zeit aufgreift und mich zum Nachdenken angeregt hat. Ich war getrieben davon, herauszufinden, wie sich die verworrene Familiengeschichte auflösen wird – ob etwas Schlimmes passiert? Oder sich alle versöhnen und sie sich von dem gewalttätigen, sogar mörderischen Radikalismus distanzieren? Jedoch war ich hin und wieder irritiert davon, wie stark das Buch Assimilation zu vertreten schien: Mugdi, der alte, besonnene Familienvater, ehemaliger somalischer Diplomat, der in seiner Freizeit große norwegische Werke ins Somalische übersetzt, erscheint immer wieder als die brave, angepasste Stimme der Vernunft. Im Angesicht der verschiedene Extreme scheint dies zunächst sinnvoll, aber nach dem Lesen blieb mir die Frage: Sollte Assimilation das Ziel sein?

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