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Buchcover von Damon Galguts Roman Das Versprechen

Das Versprechen

Formell ist dies das interessanteste und überraschendste Buch, das ich seit langem gelesen habe – und die Jury des Booker-Preises lobte genau diese formelle Innovation als sie Damon Galguts Das Versprechen 2021 zum Gewinner des Preises ernannte. Der Roman rankt sich um die vier Beerdigungen verschiedener Mitglieder der Familie Swart, einer weißen südafrikanischen Farmerfamilie. Das Buch umfasst verschiedene Epochen der Geschichte Südafrikas: von den Anti-Apartheid-Unruhen der 1980er Jahre über die Wende zur Demokratie in den 1990er Jahren, die AIDS-Leugnung des ehemaligen Präsidenten Thabo Mbeki und die ätzende Korruption unter Präsident Jacob Zuma bis hin zur Wasserkrise in Kapstadt Ende der 2010er Jahre. Galgut bindet seine Erzählung gekonnt in diesen Hintergrund ein, bleibt dabei aber immer nah – manchmal unangenehm nah und doch eine gewisse Distanz wahrend – an den schmerzlichen Besonderheiten der Charaktere, aus denen die Familie besteht.

Im Mittelpunkt des Romans steht ein Versprechen, das der Vater seiner sterbenden Frau gibt. Er verspricht Salome, der Hausangestellten, die die Mutter während ihrer totbringenden Krankheit pflegt, das Haus auf der Farm zu vermachen, in dem sie lebt. Amor, das jüngste der Swart-Kinder, hört wie er dieses Versprechen gibt. Doch nach dem Tod der Mutter – wer hätte es geahnt? – hält der Mann sein Versprechen nicht ein. Er behauptet sogar, sich nicht daran erinnern zu können, es gegeben zu haben. So kommt es, dass ein Familienmitglied nach dem anderen stirbt, ohne dass das Versprechen eingelöst wird. Die Allegorie ist fast zu offensichtlich, um sie auszuformulieren: Eine weiße Familie versagt, einer Schwarzen Frau zu geben, was ihr zusteht. Galguts Erzählung widerspricht bis zu einem gewissen Grad auch der unzulänglichen Vereinfachung, dass das Schenken des Hauses überhaupt die „richtige“ Art zu handeln oder eine „Lösung“ sei. Lukas, Salomes Sohn, stellt zum einen die Vorstellung in Frage, die Swarts hätten überhaupt das Recht, „Besitz“ zu verschenken. Zusätzlich wird eine Forderung auf Landrückgabe erwähnt, die von einer Gruppe ausgeht, die auf den Ländereien der Farm lebte, bevor die Swarts unter der Schirmherrschaft kolonialer und/oder apartheidbedingter Strukturen den „Besitz“ übernahmen. Kurzum, es ist kompliziert, und Galguts Roman versucht nicht, irgendetwas davon unkompliziert zu machen.

Die Erzählung fließt frei vor sich hin: Sie bewegt sich von Figur zu Figur, manchmal sogar innerhalb eines einzigen Satzes. Das „Ich“ übernimmt den Blick und die Ausdrucksweise der verschiedenen Charaktere – manchmal folgt die Erzählung ihnen wie aus einer Laune heraus für einen kurzen Ausflug und schimpft dann mit sich selbst, weil sie abgelenkt wurde. Es ist eine erzählende Stimme, die sowohl eine als auch viele ist, intim, aber immer mit genügend Abstand, um sich selbst und ihren Gegenstand zu beurteilen, meist sardonisch. Sie hat einen dunklen Sinn für Humor. Sie ist bissig im Umgang mit allen Glaubensvertreter*innen, ebenso wie mit den verschiedenen „Typen“ weißer Südafrikaner*innen, die in Figuren wie der schrecklichen Tannie Marina (explizit rassistisch und eine Sadistin) oder der unerträglichen Desirée (privilegierte Tochter eines Apartheid-Bonzen, die vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission Verbrechen gestanden hat) karikiert werden.

Mit Das Versprechen wurde zum dritten Mal ein*e südafrikanische*r Schriftsteller*in mit dem Booker Preis ausgezeichnet: Galgut folgt Nadine Gordimer und JM Coetzee. Das Buch ist mit echtem handwerklichem Geschick geschrieben und der Umgang des Autors mit seinem Medium verdient Respekt. Gleichzeitig scheinen der Roman und die Verleihung dieses Preises eine Vermutung zu bestätigen, die ich schon lange hege, dass es eine bestimmte Art von Geschichte oder eine bestimmte Art Buch über Südafrika gibt, die ein internationales Publikum und internationale Preisjurys besonders anzusprechen scheint. Es ist aus einem bestimmten Blickwinkel geschrieben und es geht mit diesem Blickwinkel geschickt um. Nichtsdestotrotz warte ich ungeduldig darauf, dass solche öffentlichkeitswirksamen Preise auch mal an Schwarze Autor*innen oder Autor*innen of Color aus Südafrika vergeben werden.

Ins Deutsche übersetzt wurde der Roman von Thomas Mohr.

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