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In einem alten Land

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In einem alten Land

Dies ist ein wunderbar seltsames Buch und der offensichtlichste Grund dafür ist wohl, dass es mit verschiedenen Genres spielt. Amitav Ghoshs Buch In einem alten Land (übersetzt von Matthias Müller) präsentiert seinen Leser:innen sowohl die Ergebnisse jahrelanger Forschung als auch die Geschichte ebendieser Forschungsarbeit. Wie er gleich zu Beginn erzählt, hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte von Bomma, dem „Sklaven von MS H.6“, so gut wie möglich zu recherchieren – es ist die Mikrogeschichte eines Mannes, der in der Korrespondenz eines gewissen Ben Yijû erwähnt wird, in Dokumenten, die in Fragmenten in der Kairoer Geniza gefunden wurden. Das Buch beinhaltet auch Ghoshs eigene Geschichte – oder eben die des erzählenden Ghosh, der sich möglicherweise selbst erfindet – und zeigt, wie er sich das Wissen angeeignet hat, das er für das Schreiben des Buches brauchte. So ist es auch die Geschichte seiner Zeit in Laṭâifa und Nashâwy, kleinen Dörfern außerhalb von Kairo, sowie seiner Reise nach Mangalore und Umgebung in Südindien.

Im Verlauf des Buches erteilt Ghosh mehrere wunderschöne Geschichtslektionen. Das wahnsinnig reiche Archiv der Geniza – und dessen eigene faszinierende Geschichte, die durch koloniale Aneignung und koloniale Wissensproduktion geprägt ist – führt die Geschichten von Kommen und Gehen, von vielfältigen Begegnungen in verschiedensten Epochen zusammen. Ghosh erzählt die Geschichte von Ben Yijû und seinem „Sklaven“ (auch wenn das Verständnis von „Sklave“ zu jener Zeit wahrscheinlich ein anderes war); berichtet über Handelsnetzwerke im Indischen Ozean, die vor der Einmischung von Europäer:innen gepflegt wurden, und über verschiedene koloniale Projekte und ihre Auswirkungen. Das Buch erzählt außerdem die Geschichte des stillen, fleißigen Forschers und seiner oft komischen, manchmal aber auch zutiefst tragischen Erfahrungen mit den Leuten der Dorfgemeinschaften, mit denen er während seiner Forschung lebt.

Vielleicht ist das Buch insgesamt ein bisschen „Meta“ im akademischen Sinne: Der Wissenschaftler berichtet von seiner Forschung und erzählt zusätzlich über seine Auseinandersetzung mit dem Archiv, in dem er arbeitet, von dessen lebendigen Spuren und über die Geschichte der Subjekte seiner Forschung. Als Wissenschaftler ist der Erzähler akribisch, fast pedantisch – aber gerade seine Präzision und die Tiefe seiner Forschung haben mich fasziniert, auch wenn so vieles in der Geschichte von Ben Yijû und Bomma auf (wirklich sehr) gut begründete Vermutungen hinausläuft – selbst der Name „Bomma“ ist das Produkt informationsbasierter Spekulation. Letztendlich ist Ghosh auch noch ein hervorragender Schriftsteller – er kann Landschaften genauso gut beschreiben wie die Ironie der Geschichte, und ich gestehe, dass ich ein wenig traurig war, als ich das Buch zu Ende gelesen hatte.

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