Anita and Me
Meena schreibt die Welt
Ich entschuldige mich, falls ich jetzt einen Schwall wütender Kommentare auslöse, aber es ist zwecklos, sich darüber zu streiten, ob das Buch oder der Film besser ist. Wir haben natürliche Instinkte, wenn es ums Geschichtenerzählen geht und diese reagieren auf jedes Medium anders – und du kannst nicht den Film dafür verantwortlich machen, dass er nicht mit den Bildern in deinem Kopf übereinstimmt. Ich bin ebenso unparteiisch, wenn es um Netflix-Serien geht. Ohne dass ich mich dafür auf irgendwelche Beweise stützen könnte, bin ich überzeugt, dass es Anita and Me (Anita und Ich; ohne deutsche Übersetzung) irgendwann adaptiert als Mini-Serie geben wird. Und dann werden mehr Menschen das Buch lesen oder den Film schauen wollen (natürlich nicht unbedingt in dieser spezifischen Reihenfolge).
Meera Syals halb autobiographischer Roman dreht sich um Meena Kumar, das einzige indische Mädchen im ehemaligen britischen Bergwerksdorf Tollington. Während ihre Eltern vergeblich auf die plötzliche und endgültige Metamorphose ihrer Tochter in ein indisches Vorzeigemädchen warten, möchte Meena nichts anderes sein als ein gewöhnliches Tollingtoner Mädchen – gemeinsam mit der 14-jährigen Anita Rutter, der blonden Göttin, für die Meena beinahe ihre Seele verkauft, um Anitas Erlaubnis, ihre Drecksarbeit zu verrichten, also ihre Freundschaft, zu erlangen.
Weit weg von Indien können im Hause die Kumars, ihre Eltern, und deren erweiterte Community ihre Fassade der Vorzeige-Migrant*innen abwerfen wie die Decken, mit denen sich Shalia Aunty gegen das miserable englische Wetter schützt. Das zusätzliche Ensemble großmäuliger, liebenswerter Tanten und Onkels, die gleichzeitig mit der einen Hand urteilen und mit der anderen Essen aufzwingen können, wirkt nie eindimensional oder abgedroschen. Das Thema der indischen Teilung zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte, und es braucht nur ein paar Whiskeys, um die Bewohner*innen und Gäst*innen des Hauses Kumar dazu zu bringen, ihre brutalen Erfahrungen zu vergleichen.
Parallel dazu erlebt Meena die Art von Rassismus, die in ländlichen (d.h. verlassenen) Gebieten, bedroht von der fortschreitenden Entwicklung, aufkeimt. In weniger als einem Jahrzehnt wird er sich zu den schrecklichen Zeiten des „Paki-Bashing“ und dem Aufstieg der National Front ausweiten. Unter einer solchen Last wirken Szenen, in denen die Tanten verwirrt und entsetzt über englische Bade- und Abwaschpraktiken sind, erfrischend.
Einer meiner liebsten Filmszenen ist, als Shaila Aunty Meena wegen ihres stark vom Birminghamer Akzent durchsetztem Punjabi aufzieht. Als Meenas Mutter darauf besteht, dass sie „ihre eigenen Lieder lernen“ müsse, gibt Meena, in Begleitung von ihrem Vater auf dem Harmonium, ihre Version von „Gimme Dat Thing“ zum Besten. (Sie macht ihren Erfolg rasch kaputt, indem sie unschuldig in britischem Slang gesteht, dass ihr bei diesem Lied einer abgeht.)
Ich habe eine Schwäche für die Film-Meena und ich liebe Syals ursprüngliche Meena. Als angehende Autorin, die davon träumt, fürs Jackie-Magazin schreiben zu können, ist es selbstverständlich, dass sie daran glaubt, dass der britische Teil ihrer Identität ihr die Freiheit ermöglichen wird, nach der sie sich so sehnt. Aber ihr eigentlicher Kampf ist der Versuch, ihre Dualität zu akzeptieren, wenn sie weder für die eine noch die andere Welt „genug“ ist.
Syal bevormundet Meena nicht. Vielmehr feiert sie sie dafür, dass sie eine vorlaute kleine Göre ist, die mit vollster Überzeugung dumme Entscheidungen trifft. Sie ist mehr als zwei Kulturen in einem sich verändernden Körper. Trotz des bevorstehenden Erwachsenwerden behält Meena die kindliche Fähigkeit, in der Welt sowohl das Schöne als auch das Schreckliche zu sehen, auch wenn ihre ausschweifende Fantasie ihr dabei hilft, sich einen Reim auf alles zu machen. Wenn sich die Welt so instabil anfühlt wie jetzt gerade, ist Anita and Me das Buch, das ich zur Hand nehme.
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