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Nach Norden

Nach Norden

Nach Norden (2022 in deutscher Übersetzung von Hannes Meyer) ist der zweite Roman des sri-lankischen Autors Anuk Arudpragasam. Der Erzähler, Krishan, ist ein in diasporischer Tamile, der nach dem Ende des Bürgerkriegs in sein Heimatland Sri Lanka zurückgekehrt ist. Dieser Konflikt dauerte über drei Jahrzehnte bis 2009.  

Krishan erhält einen Anruf, in dem er über Ranis Tod und ihre Beerdigung informiert wird. Sie war die Haushälterin seiner Großmutter. Danach reist er mit dem Zug von seinem derzeitigen Wohnort in der Hauptstadt Colombo im Süden Sri Lankas zu Ranis Dorf im kriegszerstörten Nordosten der Insel, wo er an ihrer Beerdigung teilnimmt.  

Diese Zugfahrt, die er alleine unternimmt, bildet die Grundlage für eine mäandernde Erzählung. Während Krishan seinen Gedanken nachhängt, schweift die Erzählung in verschiedene Richtungen ab, dennoch greift die Geschichte immer wieder auf die zentralen Themen Trauma und Krieg zurück.   

Zum Beispiel als Krishan eine große Werbetafel der australischen Regierung bemerkt, die Flüchtende davon abhalten soll, in Australien Zuflucht zu suchen. Die Werbung regt Krishan dazu an, über die Umstände und das Trauma derjenigen nachzudenken, die Sri Lanka verlassen, und über sein eigenes Privileg, von der Gewalt des Krieges verschont geblieben zu sein.  

Obwohl – oder gerade weil – er von den Gräueltaten verschont geblieben ist, kann Krishan dem Trauma der Kriegsgewalt nicht entkommen. Stattdessen wird er immer wieder auf die Tatsache zurückgeworfen, dass er die Katastrophe überlebt hat, die so viele seiner Leute getötet und Rani nicht nur ihre beiden Söhne, sondern auch ihren Verstand genommen hat. 

Nicht nur Krishans Gedanken wandern (und damit auch die Erzählung). Krishan ist auch ein Erzähler auf Reisen im wörtlichen Sinne. Die langen Spaziergänge, die er in seiner Heimatstadt unternimmt, und die Zugfahrt durch Sri Lanka, ermöglichen eine Reflexion, die im Kontext seines Zuhauses nicht möglich gewesen wäre. Indem er seine Gedanken beim Anblick der wechselnden Landschaft aus dem Zugfenster abschweifen lässt, legt Krishan auf seiner Reise nicht nur eine geografische Strecke zurück. Die Reise markiert einen bedeutenden Wandel in seinem Verständnis des tamilischen Traumas im Allgemeinen und des Traumas von Rani im Besonderen sowie Krishans diasporischer Beziehung dazu. 

Was mir an Nach Norden besonders gefällt, ist die Verwendung der Erzählung als Mittel, um ein Trauma zu betrachten und gleichzeitig anzudeuten, dass es nicht vollständig erfasst werden kann.  Krishan (und Lesenden wird es ähnlich gehen) kann Ranis Trauma erkennen, aber die unüberbrückbare Distanz zwischen ihnen hindert ihn daran, das Ausmaß des Traumas zu begreifen, obwohl er es gerne verstehen würde. Nach Norden ist ein melancholischer und aufschlussreicher Roman, der von einer abstrakten und unerfüllbaren Sehnsucht nach einer Welt vor dem Krieg geprägt ist. Ich empfehle diesen Roman allen, die durch eine nachdenkliche und einfühlsame Erzählung mehr über den sri-lankischen Bürgerkrieg und seine Folgen erfahren möchten

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