
Dispersals
Nach Mein Jahr im Wasser und Zwei Bäume machen einen Wald ist nun Jessica J. Lees drittes Buch erschienen: Dispersals, On Plants, Borders and Belonging besteht aus 14 persönlichen Essays über Pflanzen, die Grenzen überschreiten und an anderen Orten Wurzeln schlagen. Lee wählt Bäume, Sträucher oder Algen, die in ihrem eigenen Leben eine Bedeutung haben, setzt sich mit ihrer Geschichte und ihrer Reise in andere Regionen der Welt auseinander und hinterfragt, wann Spezies als kosmopolitisch oder invasiv verstanden werden. Gleich im Vorwort erklärt Lee, dass sie Dispersals in einer Phase geschrieben hat, in der sie selbst unvorhergesehen häufig umgezogen ist – von Berlin nach London nach Cambridge nach Berlin – und sich ihr Leben stark veränderte: Es war die Zeit der Corona-Pandemie und sie wurde Mutter.
In Dipersals erzählt Lee, wie ihre Mutter nach ihrer Migration nach Kanada dort ein Stückchen Taiwan nachbildet, indem sie in ihrem Garten einen Koiteich mit Schwertlilien und Papyrus anlegt. Pflanzen oder Landschaften können ein Gefühl von zu Hause in Menschen auslösen, obwohl es in gewisser Weise eine Illusion ist, dass sie zu einem bestimmten Ort gehören. Das verdeutlicht Lee unter anderem in ihrem Kapitel „Words for Tea“. Sie erinnert sich an die verschiedenen Teetraditionen, mit denen sie aufgewachsen ist, die jeweils zu den walisischen und taiwanesischen Teilen ihrer Familie gehören. Das Aufeinandertreffen dieser Teetraditionen in ihrer Familie erlaubt ihr, die Reise der Teepflanze in verschiedene Weltregionen nachzuzeichnen und dabei koloniale Machtdynamiken zu kritisieren. Im Kontext von poco.lit. sind gerade die kolonialen Verbindungen, die Lee aufzeigt, relevant. Sie erklärt, dass zur Zeit der kolonialen Expansion nicht nur Kartoffeln, Tomaten und Tabak ihren Weg nach Europa fanden, sondern europäische Flora in neu erschlossenen kolonialen Territorien gepflanzt wurde. Sie wirft einen kritischen Blick auf die Praxis, die Natur nach europäischen Konzepten zu ordnen und zu benennen, und auf die Rolle von Pflanzenjägern, die lokales Wissen überdeckten und unsichtbar machten. “Knowledges and histories shift depending on who’s doing the storytelling,” schreibt Lee.
Klar ist, dass Pflanzen – genau wie Menschen – in Bewegung sind. Das erfordert einiges an Anpassung. Lee widmet sich eigenen Unsicherheiten in einer Welt im Wandel und großen Fragen kolonialer Zusammenhänge in einer wohltuend ruhigen Art und Weise: Wie in ihren ersten beiden Büchern schreibt Lee selbstreflektiert, informiert und genau beobachtend. Aus ihren wohlüberlegten Worten spricht auch in der Kritik eine gewisse Fürsorge für die Welt, ihre Pflanzen und Menschen. Diese Haltung zeigt sich besonders deutlich in ihrem letzten und vielleicht persönlichsten Essay, „Synonyms for ‚Mauve‘“, der ein melancholischer Brief an ihre Tochter ist, ein Versuch, das Schöne zu finden und hoffnungsvoll zu bleiben.
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