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Praiseworthy

alexis wright praiseworthy

Praiseworthy

Bei den über 700 Seiten ist es eine sehr bewusste Entscheidung, den neuen Roman von Alexis Wright, Praiseworthy, zu lesen. Wright schreibt keine Geschichte, die von der Stadt Praiseworthy – einer Aboriginal Community – handelt, sondern schafft einen in Gänze Indigenen Roman, den sie zum Klang von sanftem, zeremoniellem Gesang und klassischer indischer und chinesischer Musik verfasst hat, wie sie in einem Gespräch auf dem Melbourne Writers Festival verrät. Auf die Frage nach der fehlenden zeitlichen Linearität im Buch antwortet Wright, dass sie das Gefühl hatte, „dass das Buch auf einen anderen Beat geschrieben werden musste, […] mit einer Indigenen Vielstimmigkeit.“

Praiseworthy ist gleichzeitig der Titel des Romans und der Name einer kleinen Stadt einer Aboriginal Community in Nordaustralien. Diese wird eines Tages mit einer Dunstschicht belegt, die die Bewohner:innen hilflos und vergessen von der, wie sie es nennen, „Australian Government for Aboriginal People“ zurücklässt. Derweil tritt der Protagonist Cause Man Steel, auch Widespread oder Planet genannt, eine Reihe von Reisen durch Australien an, um das erste (und einzige) klimaresiliente Transportsystem der Welt zu begründen. Es besteht ausschließlich aus Eseln, nachdem Cause Man Steel lange den perfekten Esel ersonnen hat, einen, dessen Grau das Grau der Industrialisierung spiegelt. Durch diese Reisen und die Spannungen, die die Anwesenheit von Hunderten von Eseln in einer sonst peinlich sauberen Stadt unter konstantem Assimilationsdruck hervorruft, lernen wir andere Figuren wie Widespreads Söhne Aboriginal Sovereignty und Tommyhawk kennen.

Tommyhawk führt den Leser:innen die am stärksten internalisierten, intimsten und schmerzhaftesten Aspekte des globalen Kapitalismus und der „postkolonialen“ Gegenwart vor Augen: Mit nur acht Jahren hat er die Narrative der weißen australischen Massenmedien über sexuellen Missbrauch von Kindern in Aboriginal Communitys bereits verinnerlicht. Er lebt in ständiger Angst, fürchtet die dämonisierten Männer seiner eigenen Stadt und wünscht sich nichts sehnlicher, als von einer weißen Familie adoptiert zu werden. Mittels dieser Figur reflektiert Wright über die sogenannte „Intervention“ der australischen Regierung in den Northern Territories im Jahr 2007 und die Erfahrungen von Kindern in dämonisierten Communitys, die mit stereotypisierenden Narrativen über ihre eigenen Altersgenoss:innen und Älteren aufwachsen und sich diese zu eigen machen.

Praiseworthy, das fast komplett ohne Dialoge auskommt, liest sich, als hätte Wright die mündlich weitergegebene Geschichte einer semi-spekulativen und semi-historischen Zukunft zu Papier gebracht. Wrights Stil steht für einen Entschluss, der meiner Meinung nach längst überfällig ist. Es genügt nicht mehr, auf theoretischer Ebene Indigenes Storytelling anzupreisen. Vielmehr ist es an der Zeit, sich auf unzensierte Versionen dieser Geschichten einzulassen, die sich nicht notwendigerweise mit den Erwartungen westlicher Leser:innen decken. Wir müssen den Charakteren, die auf erschreckend realistische und absurde Art dargestellt werden, auf Augenhöhe begegnen und sorgfältig mit ihnen umgehen, sie in ihrem Unbehagen und mit ihren Träumen wahrnehmen. Es ist deren tief menschliche und widersprüchliche Natur, die die eher langsame Entfaltung der Geschichte ausbalanciert und die Leser:innen in ihre Welt hineinzieht.

Auch wenn Praiseworthy beträchtliches Lob und zahlreiche Preise erhalten hat, sollte nicht das allein der Grund sein, zu diesem Buch zu greifen. Es sollte deshalb auch nicht zum „Buch des Jahrhunderts“ auserkoren werden, wie manche Rezensent:innen vorschlagen. Vielmehr kann Praiseworthy, wenn wir es erlauben, die Tür zu einem Jahrhundert neuer und alter Literatur öffnen, das alternative Narrative und neue Stimmen zulässt.

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