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Poūkahangatus

Poūkahangatus

Tayi Tibbles Poūkahangatus ist eine eindringliche, an vielen Stellen spielerische Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte, dem Erwachsenwerden und den Spannungen der Lebensrealität einer jungen Māori. Poūkahangatus ist nicht nur Tibbles Lyrik-Debüt, sondern auch ein wichtiges Stück junger, postkolonialer Gegenwartsliteratur. Doch vor allem: Es bewegt und macht Spaß zu lesen.

Jetzt kommt die Gen Z zu Wort. Allein das Vokabular einiger Texte könnte einen Verfechter des weißen, alten Literaturkanons in Ohnmacht versetzen (kein generisches Maskulinum). Durch das geschickte Zusammenspiel von Tradition und Popkultur gelingt es Tayi Tibble, Nähe und Nostalgie zu vermitteln. So ist das Herzstück des Gedichtbandes eine Erinnerung an Stephenie Meyers Twilight-Serie, in der der Konflikt zwischen kalkweißen Vampiren und den Werwölfen des Quileute-Reservats eine zentrale Rolle spielt – eine Metapher, die sich von selbst versteht, aber keinesfalls verflacht. Ebenso rechnet sie wiederholt mit der ‚Nicht wie all die anderen Mädchen‘-Erzählung ab, indem sie oft stereotypisierte Eigenschaften selbstbewusst für sich beansprucht ohne deren negativen Konnotationen aufzugreifen. Tayi Tibble ist ein ‚girl’s girl‘ und das ist erfrischend zu lesen.

Durch den ständigen Wechsel zwischen humorvoller Leichtigkeit und bedachter Direktheit lässt sich die Sammlung geradezu in einem Atemzug lesen. Dabei lohnt es sich, zwischendurch zu pausieren, um tatsächlich mitzufühlen. Auch thematisch werden scheinbare Gegensätze spielerisch in Einklang gebracht und der westliche Blick auf die Welt karikiert. Tibbles vielseitige Betrachtung ihrer Māori-Herkunft bietet dabei einen Gegenpol zu häufig überpolitisierten und verflachten Darstellungen in westlichen Narrativen. Außerdem werden die Auswirkungen kolonialer Gewalt klar benannt und ihre Verwicklung mit patriarchaler Unterdrückung immer wieder thematisiert. Doch neben diesem Schmerz wird auch Raum für Trost geschaffen, etwa durch gemeinschaftlichen Zusammenhalt oder Sinnieren über das Hawaiki, dem spirituellen Herkunftsland in der polynesischen Mythologie. An anderer Stelle wird wiederum in sarkastischem Ton festgestellt: „I’m a modern city woman. I practise mindfulness. I’m trying to reach nirvana.“ Trotz dieses häufigen Tonwechsels wirken die Gedichte insgesamt nicht zerstückelt, sondern stellen gemeinsam eine, wenn auch von Konflikten geprägte, schlüssige Lebensrealität dar. So finden alle, die sich im Alltag nicht zwischen Frantz-Fanon-Lektüre und einem ausgiebigen Kardashians-Rewatch entscheiden können, in Tayi Tibbles Lyrik einen einzigartigen Kompromiss.

Immer wieder wird Tayi Tibble in Rezensionen oder Artikeln als mutig und gewagt beschrieben. Dabei wirkt sie kaum ehrlicher oder experimentierfreudiger als andere zeitgenössische Lyriker:innen. Tayi Tibble ist zwar alles andere als unoriginell, doch scheint es, als resultierten diese Zuschreibungen aus fehlender Repräsentation und des ‚Othering‘ der Perspektive einer Māori-Frau. Genau gegen diese Überpolitisierung schreibt Tayi Tibble durch ihren spielerischen Stil und große Themenvielfalt an. Es erscheinen eindeutig nicht genügend Gedichtsammlungen wie Poūkahangatus. Dass es die Stimmen gibt, ist dabei keine Frage – doch sie müssen publiziert werden.

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