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statue of Ludwig Leichardt

Stadtführung in Cottbus: Postkolonialismus trifft Postsozialismus

Cottbus weckt nicht als erstes Assoziationen mit dem (Post-)Kolonialismus. Doch eine kleine Gruppe, die an die örtliche Universität angebunden ist, hat sich die Auseinandersetzung mit genau diesen Aspekten der Stadtgeschichte zur Aufgabe gemacht. Stadtführungen dieser Art finden sich in immer mehr deutschen Städten (z.B. Potsdam) und werden meist von kleinen Gruppen oder Einzelpersonen angestoßen, die ein politisches Interesse daran haben, Gespräche über die koloniale Vergangenheit und Gegenwart Deutschlands zu führen. Die Gruppe aus Cottbus bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Ende August, an einem heißen Spätsommertag, hatte ich das Glück, an einer Tour in Cottbus teilnehmen zu dürfen, die sich nicht nur als postkolonial, sondern auch als postsozialistisch bezeichnet.

Die erste Station der Tour ist eine Statue von Ludwig Leichhardt, einem „Entdecker“ und Naturforscher des 19. Jahrhunderts, den die Stadt scheinbar mit einigem Stolz als einen ihrer Söhne bezeichnet. Um ihn zu ehren, gibt es beispielsweise eine Statue von ihm und eine Schule, die seinen Namen trägt. Leichhardt ist vor allem für seine Arbeit in Australien bekannt, wo er ein wichtiges Rädchen in der größeren imperialen Maschinerie der kolonialen Wissensproduktion war. Auf dem Oberkirchplatz zeigt der Rundgang noch weitere Verbindungen auf: Die Leichhardt-Statue steht dort direkt vor der St.-Nikolai-Kirche, dem Schauplatz der sogenannten Montagsdemonstrationen, der friedlichen Proteste gegen die Regierung der DDR von 1989 bis 1991, der heute aber rechtsradikalen Versammlungen dient. Auf diese Weise gelingt es dem Rundgang, die faszinierenden Schichten der Geschichte herauszuarbeiten, die an diesem Ort zusammenlaufen.

Der nächste Halt ist in der Kirche selbst, wo eine Gedenktafel an die gefallenen Angehörigen der Schutztruppen erinnert, also der deutschen Kolonialsoldaten, die beim Herero-Nama-Aufstand 1904-1908 im heutigen Namibia – damals Deutsch-Südwestafrika – ums Leben kamen. Das Vorgehen der deutschen Truppen wurde mittlerweile von der deutschen Regierung als Völkermord anerkannt. Die Gedenktafel erinnert – ohne jegliche Kontextualisierung – an einige der Soldaten, die an den Morden beteiligt waren.

Die dritte Station ist ein Kunstwerk, das Fürst Pückler darstellt, einen weiteren Sohn der Stadt, an den in der Stadtlandschaft erinnert wird. Hermann Pückler war zu seiner Zeit (er lebte von 1785-1871) als produktiver Reiseschriftsteller bekannt. Seine Werke und seine Selbstdarstellung sind Beispiele des Orientalismus, also der Exotisierung und Fetischisierung durch einen weißen, männlichen, europäischen Blick. Sich selbst stellte Pückler als Held dar. Es gibt noch schlimmere Aspekte dieser Geschichte, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte.

Die letzte Station ist im Wesentlichen eine Brache: der Standort der ehemaligen Stadtpromenade. In der DDR war dies ein sehr beliebter Ort für Freizeitaktivitäten, an dem man sich am Wochenende traf, um am Brunnen zu sitzen oder in der Mokka-Milch-Eisbar, einem Café voller Raumfahrtbilder im sowjetischen Stil, Kaffee zu trinken. Mit der Wiedervereinigung wurde das gesamte Areal kurzerhand zerstört, um Platz für die Entwicklung eines Einkaufszentrums zu schaffen. Heutzutage wächst Grün über den verbleibenden Trümmern, und die Frage, was mit der Fläche geschehen soll, ist immer noch Stoff für lokale politische Kampagnen.

An jeder Station sind die Geschichten natürlich komplexer als ich sie hier wiedergebe. Ich empfehle allen, diesen Stadtrundgang bei der nächsten Gelegenheit einmal selbst mitzumachen. Wie Kolonialismus und Sozialismus auf der Tour zusammengebracht werden, wofür ihr „post-“ steht, ist absolut eindrücklich und ein Beweis dafür, wie aufschlussreich es sein kann, diese Dinge zusammen zu denken.

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