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Kulturelle Verpackungen IV: Puja im Kleiderschrank 

Priya Singhs Essay „Culture Wrappings IV: Closeted Puja “ veröffentlichen wir in seiner gesamten Länge in der Originalsprache Englisch. Ins Deutsche wurden Auszüge des Essays übersetzt.

Als eine Person, die wohl nie in ihrem Leben ein Haus besitzen wird, wird mir plötzlich an komplett zufälligen Momenten des Tages bewusst, dass ich in einem Haus mit zwei begehbaren Kleiderschränken aufgewachsen bin. Einer war im Zimmer meiner Eltern und der andere diente meiner Schwester und mir als Arbeits- und Spielzimmer und die sich immer verändernden Computern auf dem Schreibtisch bildeten eine eigene Art des Zeitstrahls. 

Der begehbare Kleiderschrank in diesem Zimmer wurde zu unserem Mandir, dem Ort, an dem wir zu Hause beteten, mit einem Altar an der einen Wand und gerade genug Platz für uns vier, um nebeneinander im Schneidersitz zu sitzen.  Zumindest meiner Erfahrung nach haben Hindus in der Diaspora-Community kein Äquivalent zum sonntäglichen Kirchenbesuch und sie gehen nur wegen Krankheit oder Hochzeit in einen der großen „öffentlichen“ Mandirs. Hinduismus wird überwiegend für sich alleine in den eigenen vier Wänden praktiziert, im Kreise der nächsten Familienangehörigen oder „kleinen Gruppen“ – wobei Inder*innen unter kleinen Gruppen Ansammlungen verstehen von rund… vierzig Personen? Oder vielleicht fünfzig? 

Der Heim-Mandir ist integraler Bestandteil des Alltages. Es ist die „letzte Station“, bevor du in den Tag startest oder zu Bett gehst. Wenn etwas Gutes passiert, gehst du dorthin, um Dankbarkeit auszudrücken. Wenn etwas Herausforderndes oder Schlimmes passiert, gehst du dorthin, um Zuspruch oder Kraft zu erfahren.

Als unsere Eltern anfingen, uns alleine zu Hause zu lassen, waren die Anweisungen meiner Mutter im Falle eines versuchten Einbruchs, das Telefon zu nehmen (damals, als kabellose Festnetztelefone noch existierten) und direkt in den Mandir zu gehen. Mein kindliches Ich stellte sich ein transparentes Kraftfeld wie aus Star Trek vor, das Verbrecher*innen davon abhalten würde, die Schwelle zu überschreiten. Als ich älter wurde, quälte mich der Gedanke, dass jeglicher Schutz, der mir gewährt wurde, dadurch zunichtegemacht werden könnte, dass ich auch den Schürhaken mitbringen und – in diesem makellosen Szenario – nicht davor zurückschrecken würde, ihn zu benutzen.

Die Notwendigkeit, ein Mandir zu haben ist ebenso hoch gewichtet wie die einer Küche oder eines Schlafzimmers. Doch sein Dasein ist auch so etwas wie ein Running Gag, da der Mandir für gewöhnlich zweitrangige Plätze einnimmt, beispielsweise in einem größeren oder kleineren Schrank, auf einem Regal, oder in einer Ecke hinter der Tür. Ich habe viele Pujas bei Menschen zu Hause besucht, bei denen wir uns in einen engen Flur quetschen mussten, Knie eng aneinander, während wir zu dem höchsten Regal eines Handtuch-Schrankes blickten. 

Das ist der Heim-Mandir, wie ich ihn kenne und das könnte erklären, warum es sich so unangenehm anfühlt, diese bescheidenen, aber heiß geliebten Orte mit den fünf-Sterne-Luxus-Gegenstücken zu vergleichen, die die Seiten von Architectural Digest Indiazieren. In der Hoffnung, Menschen zu finden, die Bilder ihres mit safranfarbenen Tüchern verzierten Kleiderschranks oder ihrer Schubladenbox aus Plastik posteten, entdeckte ich, dass Puja-Zimmer offensichtlich auch ein Vibe sind. 

Wie bei allen anderen Sachen in deinem Zuhause oder in deinem Leben, die du der Außenwelt präsentierst, haben die, worum es auch immer geht, mit dem Größten / Besten / Schönsten / Geschmackvollsten / Teuersten gewonnen. Und wenn du das Geld hast, um etwas auf eine Art und Weise zu verschönern, die dir gefällt, wirst du das wahrscheinlich auch tun.

Religion ist davon nicht ausgeschlossen. Vielleicht willst du deinen Mandir mit etwas antikem Flair bereichern. Erwäge in diesem Fall, deinen schwarz-weiß gefliesten Boden mit einer alten Vitrine zu ergänzen, die eine riesige, aber geschmackvolle Statue des Flöte spielendes Krishna beherbergt. Denn wie wir alle wissen, fahren göttliche Wesen auf Art-Déco-Böden und die Ästhetik von verwittertem Holz ab.


Oder vielleicht bist du einer dieser gewöhnlichen Menschen mit einem Gewässer auf deinem Anwesen. In diesem Fall empfiehlt die Zeitschrift, eine Trennwand aus Ziegelsteinen mit genügend Zwischenräumen zum Hindurchfließen von natürlichem Sonnenlicht zu errichten. Streue dann dekorative künstliche Lotusblumen über das Wasser des ehemaligen Swimmingpools, und schon hast du deinen bescheidenen, vom Chaos des Haushalts getrennten Gebetsraum.

Es ist nicht grundlegend falsch, eine schöne Gebetsstätte haben zu wollen. Rund um die Welt besuchen Menschen Kirchen und Tempel aller Religionen, angezogen von der Schönheit der Architektur und den Gegenständen, die sich darin befinden. In diesem Sinne ist es nicht meine Absicht, mich über Menschen lustig zu machen, die in solchen Artikeln Inspiration suchen. Aber wenn so viel Wert daraufgelegt wird, die Ästhetik dem vorgegebenen Design eines gehobenen Möbelhauses anzupassen, fühle ich mich berechtigt, etwas darüber zu spotten. Anstatt den Mandir nicht nur als ein weiteres Puzzlestück des Innenarchitektur-Universums zu betrachten, ist es außerdem praktisch, heilige Räume in Schränken einzurichten, da dieser Raum bei Bedarf abgeschlossen werden kann.

Einer der Gründe, warum das nötig sein sollte, ist Fleisch. Abgesehen von Rind- und Schweinefleisch, und den wenigen Tagen pro Woche, an denen wir strikt vegetarisch lebten, bin ich mit Fleisch aufgewachsen. Wenn irgendwas mit Fleisch gekocht wurde, musste zuerst sichergestellt werden, dass die Türe zum Puja-Raum abgeschlossen ist, um zu verhindern, dass der Duft ins Innere zieht. Als gute Kalifornier*innen, die wir sind, haben wir auch regelmäßig gegrillt. Wir waren so enthusiastisch, Essen über offenem Feuer zu braten, dass wir diesen wichtigen Schritt teilweise vergaßen, bis ein halbes Huhn den Grill berührte. Meine Schwester und ich sprinteten dann nach oben, zwei Stufen auf einmal, um die Tür zu erreichen, bevor der Duft des Fleischrauches ihren Weg durch die offenen Fenster bahnen konnte.

Nur, um das klarzustellen: Nicht die ganze Hindu-Küche dreht sich um Kurkuma, Ayurveda und heilige Kühe. Im Grunde genommen sollten alle Hindus vollständig vegetarisch leben, aber durch die Geschichte, Migration, Kapitalismus, Werte der verschiedenen Klassen etc. wurde dies längst zu einer Entscheidung eines Einzelnen oder der Familie. Als ich mich dazu entschied, Vegetarierin zu werden, wurden mir laufend Vorträge darüber gehalten, dass ich das Leben nicht genießen würde und, natürlich, dass in einer Familie, die es sich regelmäßig leisten kann, Fleisch eine Sache des Stolzes sei. 

Nicht-hindustische Gäst*innen waren ein weiterer Grund, um die Türe zum Mandir zu schließen. Ich wurde nie spezifisch angewiesen, diesen Raum vor Nicht-Hindus zu verbergen. Es war aber etwas, das so normal war, dass ich bald sehr viel Wert darauflegte, diesen Raum privat zu halten. Wie in Bezug auf viele andere Dinge in einem indischen Haushalt bemüht sich keine*r um ausführliche Erklärungen. Manchmal musst du einfach Dinge tun, die du anscheinend über eine gewisse Form der Gedankenübertragung verstehen solltest.

Vielleicht sollte es höflich gegenüber unseren Gäst*innen zu sein, da du nie wissen kannst, wer dadurch beleidigt oder verärgert werden könnte. Oder vielleicht ging es darum, Neugierige, die Alltagsgegenstände wie Museumsstücke inspizierten, davon fernzuhalten. Denn sogar solche, die ehrliche Neugierde ausdrückten, schaffen es, dass du dich so fühlst, als ob dein zu Hause ein Museum wäre. Verhaltensweisen, Essen und teilweise auch Handlungen unseres kulturellen Erbes wurden der Außenwelt offen präsentiert. Doch ein*e Hindu zu sein war strikte Familiensache. 

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