Afrofuturismus und Africanfuturism (afrikanischer-Futurismus)
Vor einigen Wochen haben wir einen Aufsatz über Afrofuturismus 2.0 veröffentlicht. Die afrofuturistische Bewegung strebt danach, einen Raum für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung für Schwarze Menschen zu kreieren, und lehnt den europäischen Universalismus ab. Doch einige Schriftsteller*innen des afrikanischen Kontinents erklären mit Nachdruck, dass das Label Afrofuturismus nicht für das steht, was sie tun. Mohale Mashigo und Nnedi Okorafor gehören zu diesen Stimmen und Okorafor stellt einen alternativen Namen für das vor, was sie tut: Africanfuturism, oder Afrikanischer-Futurismus.
Mark Dery wird zugeschrieben, den Begriff des Afrofuturismus geprägt zu haben. In der Einleitung zu einem im Jahr 1994 veröffentlichten Interview beschrieb er diese Art des Schreibens als „spekulative Fiktion, die afro-amerikanische Themen behandelt und afro-amerikanische Anliegen im Kontext der Technokultur des 20. Jahrhunderts aufgreift – etwas allgemeiner gesagt handelt es sich um eine afro-amerikanische Auslegung von Bildern über Technologie und eine prothetisch verbesserte Zukunft“ (180). In einer Welt, in der Technologie so oft gegen Schwarze und Braune Körper eingesetzt wurde, stellt Dery den Afrofuturismus als eine Art des Schreibens dar, die versucht, neue Vorstellungen über eine empowernde Beziehung zur Technologie zu ermöglichen. Gleichzeitig betont er ein besonderes Bedürfnis von Afroamerikaner*innen, sich darin zu üben, sich eine Zukunft vorzustellen. Dieses Bedürfnis gründet sich in der oft gewaltsamen Auslöschung afroamerikanische Geschichte(n) durch den transatlantischen Versklavungshandel und seine Folgen.
Im Vorwort zu ihrem 2018 erschienenen Kurzgeschichtenbuch Intruders lehnt die südafrikanische Schriftstellerin Mohale Mashigo den Afrofuturismus ab. In einer gekürzten Fassung, die von The Johannesburg Review of Books veröffentlicht wurde und hier zu lesen ist, erklärt Mashigo, dass „Afrofuturismus nichts für Afrikaner*innen ist, die in Afrika leben“. Sie drückt es so aus: „Unsere Bedürfnisse, wenn es darum geht, uns eine Zukunft vorzustellen oder sogar neue Gegenwartsphantasien zu entwerfen, sind anders als anderswo auf dem Globus; wir leben tatsächlich auf diesem Kontinent und nutzen ihn nicht lediglich als Bühne, um unsere Ideen durchzuspielen.“ Für Mashigo stellen unterschiedliche Kontexte auch unterschiedliche Anforderungen an die Form, mit der Schriftsteller*innen sich eine Zukunft vorstellen oder sie vorstellbar machen können. Südafrikaner*innen müssen ihrer Meinung nach in der Lage sein, sich eine Zukunft vorzustellen, die nicht von Armut strukturiert ist und auch nicht von den Vermächtnissen der Apartheid, einer spezifischen Art weißer Vorherrschaft. Sie äußert Kritik an der Verwendung des afrikanischen Kontinents als bloßen Hintergrund oder Schauplatz. Ich muss gestehen, dass ich für diese Sichtweise eine gewisse Sympathie empfinde, da ich selbst immer wieder frustriert bin, wenn in Hollywood-Filmen darauf beharrt wird, Filme die in Afrika spielen mit Nordamerikaner*innen in den Hauptrollen zu besetzen und afrikanische Landschaften lediglich als dramatische Kulissen für Geschichten zu instrumentalisieren, die sich vorwiegend zwischen Nicht-Afrikaner*innen abspielen.
Nnedi Okorafor, die vielleicht die bekannteste Autorin spekulativer Fiktion ist und zwar über den afrikanischen Kontinent hinaus (eine Rezension ihres Buches Lagoon gibt es hier), hat sich in jüngster Zeit auch zu den Diskussionen um Afrofuturismus und der Ablehnung dieses Labels positioniert. Für das Buch Africanfuturism: An Anthologhy, (was Afrikanischer-Futurismus: Eine Anthologie bedeutet, und das bisher nicht ins Deutsche übersetzt wurde,) das im Oktober 2020 veröffentlicht wurde und größtenteils frei zugänglich auf Brittle Paper zum Download zur Verfügung steht, hat Okorafor ein Vorwort geschrieben, das den afrikanischen-Futurismus (im Englischen schreibt sie Africanfuturism bewusst zusammen) definiert. Sie erklärt, dass sie zwar früher den Begriff „Afrofuturismus“ als Label für ihre Arbeit akzeptiert hat, sich nun aber im Klaren darüber ist, dass dieser Begriff nicht ihrer Art zu schreiben entspricht. Okorafor findet „afrikanischer-Futurismus und afrikanischer-Jujuismus“ für ihr eigenes Werk viel passender. Der Unterschied zum Afrofuturismus besteht darin, dass „der afrikanische Futurismus spezifischer und direkter in der afrikanischen Kultur, Geschichte, Mythologie und Sichtweise verwurzelt ist … er privilegiert oder zentriert nicht den Westen“ (10). Dies scheint eine wichtige Unterscheidung zu sein, und die Verwurzelung von Okorafors eigener Arbeit in afrikanischen Modi der Wissensproduktion und des Geschichtenerzählens zeigt sich in der Art und Weise, wie sie indigene Epistemologien in ihre Erzählungen einwebt. Auf diese Weise ist Afrika nie nur ein Schauplatz, sondern wird konstitutiv in das Gewebe der Geschichten, die sie erzählt, eingenäht.
Wenn man bedenkt, dass Derys Vorstellung des Afrofuturismus von Anfang an Afroamerikaner*innen im Zentrum positionierte, ist es vielleicht nicht so überraschend, dass es Schriftsteller*innen gibt, die auf dem afrikanischen Kontinent leben und/oder über ihn schreiben, die finden, dass ihnen der Afrofuturismus kein passendes zu Hause bietet – das Konzept wurde nicht für sie gemacht. Doch Okorafor betont, dass dies nicht ausschließt, dass Afrofuturismus und afrikanischer Futurismus in kritischer Solidarität miteinander verbunden sind; es wird lediglich zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen und den unterschiedlichen Ansätzen unterschieden.