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Afrofuturismus 2.0 – ein Vermächtnis von W.E.B. Du Bois

Afrofuturismus 2.0 – ein Vermächtnis von W.E.B. Du Bois

Neben dem Afropolitismus, über den wir bereits in mehreren Essays geschrieben haben (hier, hier, hier und hier), existieren weitere zukunftsorientierte Konzepte, die Afrika oder Blackness zentrieren. Eines davon ist der Afrofuturismus. Die afrofuturistische Bewegung strebt nach einem Raum für Eigenständigkeit und Selbstbestimmtheit von Schwarzen Menschen und lehnt den europäischen Universalismus ab. Die Afrodeutsche akademische Aktivistin und Kuratorin Natasha A. Kelly erklärt, dass der Afrofuturismus 2.0 auf dem theoretischen und künstlerischen Vermächtnis von W.E.B. Du Bois aufbaut.

Afrofuturismus entspringt der Arbeit von afrikanischen und afrikanisch-diasporischen Künstler*innen, Musiker*innen, Performer*innen, Filmemacher*innen und Schriftsteller*innen. Einige bekannte Namen sind z.B. Octavia Butler, Jean-Michel Basquiat und Kodwo Eshun. Inhalt und Form der künstlerischen Arbeit stellen oft Experimente mit Temporalität dar, für die manchmal technologische Neuheiten als Ausgangspunkt genutzt werden – wie Raumschiffe oder neuartige Kommunikationsmethoden – oder tatsächliche, aktuelle Probleme. Die Frage ist, wo das experimentelle Ausprobieren hinführen kann: welche Wege gibt es, die in Richtung einer Welt ohne Rassismus führen und wie könnte diese aussehen?

Im Jahr 2020 veröffentlichte Natasha A. Kelly den Sammelband The Comet – Afrofuturism 2.0 (Orlanda Verlag), der in verschiedenen Beiträgen ihre Veranstaltung The Comet – 150 Years W.E.B. Du Bois des Jahres 2018 im HAU Berlin dokumentiert. Kelly erklärt eingangs, dass ihr klar wurde, dass es keine neue Welle des Afrofuturismus ohne Afrodeutschland geben durfte. Für die Schwarze Deutsche Bewegung waren transnationale Verbindungen immer schon zentral, denn die Schwarze Deutsche Community ist im Vergleich zu den USA oder dem Vereinigten Königreich relativ klein, was u.a. damit zusammenhängt, dass Schwarze Menschen in der NS-Zeit für staatenlos erklärt und verfolgt wurden. Seit den 1980er findet in Deutschland verstärkt Schwarze Selbstorganisation statt, wozu der transnationale Einfluss und Austausch wesentlich Beitrug. Die Afroamerikanerin Audre Lorde versammelte beispielsweise Schwarze Deutsche Frauen um sich, als sie an der FU Berlin lehrte, und unterstützte sie dabei, ihre eigenen Geschichten zu schreiben und eine politische Terminologie für ihre Erfahrungen zu entwickeln.

Dieser Tradition folgend arbeitet The Comet – Afrofuturism 2.0 an der Schnittstelle zwischen Deutschland und der anglophonen Welt. Alle Beiträge des Sammelbandes, der wie ein Museumskatalog gestaltet ist, gibt es sowohl auf Englisch, als auch auf Deutsch und die Analysen zeitgenössischer R&B-Musik, Comics, Superheld*innenfilme, etc. können am besten als globale Brückenelemente einer explizit politischen, afrozentrischen Bewegung beschrieben werden.

Das Buch baut auf dem Vermächtnis des renommierten Wissenschaftlers, Aktivisten und Journalisten W.E.B. Du Bois (1868-1963) auf, der ebenfalls Brücken zwischen Kontinenten schaffte – in seinem Denken, aber auch in seiner Lebensführung: Der gebürtige US-Amerikaner studierte beispielsweise an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin (der heutigen Humboldt-Universität) und zog gegen Ende seines Lebens nach Ghana. Kelly erklärt, dass Du Bois – vermutlich ohne es zu wissen – maßgeblich daran beteiligt war, das Genre des Afrofuturismus zu entwickeln. Das Buch The Comet – Afrofuturism 2.0 beginnt entsprechend mit Du Bois‘ Kurzgeschichte „Der Komet“. Kelly übersetzte diese Geschichte von 1920 nun erstmals auf Deutsch und zwar zu einem unheimlich passenden Zeitpunkt.

Als Du Bois die Geschichte schrieb, versuchte die westliche Welt sich gerade von der „Spanischen Grippe“ zu erholen. Besonders in Zeiten von Corona ist es auf eine unheimliche Art und Weise faszinierend zu lesen, dass Denker*innen sich vor ziemlich genau einem Jahrhundert vorstellten, eine Pandemie könnte Chancen bergen und den Status quo langfristig verändern. Du Bois Geschichte wurde kurz nach dem Red Summer veröffentlicht, also der Periode im Jahr 1919, in der weiße Menschen in den USA mehrfach gewalttätige, rassistische Übergriffe bis hin zu Lynchmorden an Schwarze Menschen verübten. 2020 ist neben Corona am deutlichsten von den #BlackLivesMatter Protesten geprägt, die durch die Polizeimorde an George Floyd und Rayshard Brooks hervorgerufen wurden. Doch die „Spanische Grippe“ schaffte es nicht, rassistische Machtstrukturen zu zerschlagen und auch heute wirkt es eher so, als würde Corona zunächst zumindest anti-asiatischen Rassismus verstärken. In den westlichen Medien gab es auch schon Vorschläge, einen Impfstoff gegen das Virus in Afrika zu testen. Obwohl eine Pandemie die gesamte Welt betrifft, ist der Umgang damit von etablierten Machtstrukturen durchzogen und vergrößert sie womöglich noch. Ich bin mir jetzt schon sicher, dass die aktuelle Lage noch auf erstaunliche und bereichernde Weisen künstlerisch verarbeitet werden wird. Die Frage, die die afrofuturistische Bewegung nahelegt, lautet: Wofür sind Schwarze Künstler*innen? (- und nicht nur wogegen.) Welche Vision von Zukunft wird durch die aktuelle Gegenwart, die in Teilen wie eine Variation der Vergangenheit wirkt, hervorgebracht?

Der Komet ist eine Geschichte, die die Destruktion der Welt, wie wir sie kennen, beschreibt und es dem Schwarzen Protagonisten ermöglicht, von den wenigen überlebenden weißen Menschen als menschlich wahrgenommen zu werden. Zerstörung durch einen Kometen und mögliche Chancen, die sie zu Folge haben könnte, ist also der Ausgangspunkt für Kellys Sammelband. Karina Griffith schreibt in ihrem Beitrag: „Das Denken an Kometen nicht als Ort oder Ding, sondern als Raum- oder Dinghalter hilft uns, die afrikanische Diaspora als einen Kosmos zu positionieren, der kollektives Denken, Erleben und Handeln tragen kann“ (42). In seiner Gesamtheit bietet das Buch einen manchmal sehr abstrakten Überblick über wichtige politische Vordenker*innen der afrofuturistischen Bewegung. Für das Lesen und das Verarbeiten des gelesenen empfehle ich also, sich Zeit zu lassen. Du Bois Werk zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch; seine Theorie dient den Beitragenden als Eintrittskarte in verschiedene Bereiche des Afrokosmos.

Alexander Ghedi Weheliye bezieht sich beispielsweise auf Du Bois‘ Aufforderung sich Schwarzsein akustisch vorzustellen. In The Souls of Black Folk rahmt Du Bois sein Argument mit Sorrow Songs, Klageliedern, die er als wichtigste Errungenschaft der USA und Zugang zur Schwarzen Seelenlandschaft bezeichnet. Weheliye arbeitet heraus, dass zeitgenössische R&B-Musik als direkte Erweiterung dieser Sorrow Songs verstanden werden kann. Die Musik ist verklanglichter Widerstand gegen die institutionelle Missachtung von Schwarzem Leben in weißen Mehrheitsgesellschaften.

Der Afrofuturismus ist ein schier endloses Feld, das es Schwarzen Menschen ermöglichen möchte, Träume zu haben. Afrikanische und afrikanisch-diasporische Geschichte und Erfahrung muss für afrofuturistisches Denken im Mittelpunkt stehen. Der aktivistische Intellektuelle und Autor Molefi Kete Asante betont, dass nur wer sich selbst kennt, auch eigene kreative Zukunftsvisionen hervorbringen kann, ohne lediglich Beispiele von Anderen nachzuahmen. In diesem Sinne lädt Afrofuturismus ein, kreativ und frei über das Unmögliche nachzudenken.

In vielerlei Hinsicht wirken die afrofuturistischen Diskussionen in Kellys Buch auf mich weitaus radikaler als der Afropolitismus. Ersterer bezieht sich vollständig auf Schwarze Menschen und globale Netzwerke zwischen Schwarzen Communities. Afrofuturismus ist nie für weiße Menschen gemacht worden, auch wenn alle möglicherweise gemeinsam in die Zukunft gehen können. In der Afrozukunft werden Menschen laut Kelly sicher nicht colorblind sein, sondern Differenzen als Quelle der Kreativität verstehen. Der Afropolitismus wirkt auf diffuse Art sehr viel versöhnlicher mit seinem Fokus auf das Verhandeln von verschiedenen Positionen und das entgegenkommende Verhalten. Der Politikwissenschaftler Achille Mbembe argumentiert schon, dass Afrika eine eigenständige Kraft neben den anderen Kräften der Welt sein sollte, aber er findet das Panafrikanismus und andere auf Race fokussierte Bewegungen ausgedient haben. Alle diejenigen, die sich daran beteiligen afrikanische Kultur hervorzubringen, können als afropolitisch verstanden werden – also auch die asiatische Diaspora auf dem afrikanischen Kontinent und europäische Siedler*innen. Es ist eine kontroverse Haltung, die nach Versöhnung strebt, die es aus afrofuturistischer Perspektive im Sinne von Kellys Buch so sicher noch nicht geben kann.

Doch afrofuturistische Perspektiven sind vielfältig und bedürfen laut Kelly eines intersektionalen Ansatzes. The Comet – Afrofuturism 2.0 endet mit einem Gespräch über Afrofeminismus in der Afrozukunft zwischen Kelly, Sheree Renée Thomas, Karina Griffith, Priscilla Layne und Florence Ifeoma Okoye. Dabei kommt sogar der afrofuturistische Wegbereiter Du Bois nicht ungeschoren davon. In einem Gespräch stellen die Frauen fest, dass Du Bois ein Gatekeeper war, der Frauen ausschloss, und ein Colorist. Die Visionen der Afrozukunft von Kellys Gesprächspartnerinnen machen deutlich, dass alle eigene Themen haben, für die sie brennen – eine hierarchiefreie Zukunft, eine Zukunft, die Heilung fokussiert oder junge Menschen. Es bleibt die Frage, die Molefi Kete Asante in dem Buch stellt, ob überhaupt Menschen da sein werden, um die Zukunft mitzuerleben.

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