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Queerer Afropolitismus in Deutschland: SchwarzRund

Dieser Essay ist der Letzte einer vierteiligen Serie zu Afropolitismus und Literatur. Der Begriff Afropolitismus setzt sich aus Afrika und Kosmopolitismus zusammen. Menschen afrikanischer Herkunft, die heute hier und Morgen dort leben, prägten diesen Begriff, um ihren mobilen Lebensstil und die daraus resultierende Kreativität und politische Haltung zu beschreiben. Mit dem Streben nach einer radikalen Offenheit schaffen Afropolit*innen vielfältige, kreative Visionen, in denen Menschen afrikanischer Herkunft überall gleichberechtigt dazugehören – auch in Europa.

Der deutsche Kontext ist nicht die erste Assoziation die Afropolitismus hervorruft. Befragen Sie Menschen in Deutschland auf der Straße zu Afropolitismus, dann werden Sie feststellen, dass die wenigsten – also die wenigsten weißen – diesen Begriff je gehört haben. Das heißt, dass auch die Suche nach deutschsprachiger afropolitischer Literatur im Vergleich zur englischsprachigen deutlich weniger Ergebnisse erzielt. Dass ich SchwarzRunds afropolitanen Berlin Roman Biskaya fand, war purer Zufall. Ich war bei Queeres Verlegen, einer kleinen Buchmesse in Berlin, und entdeckte den Roman in den Buchauslagen. Zum Glück hat SchwarzRund sich dazu entschieden, die Bezeichnung afropolitaner Berlin Roman gleich unter den Titel aufs Cover zu drucken. So wusste ich Bescheid und kaufte mir Biskaya an Ort und Stelle.  

SchwarzRund kam als Schwarze Deutsche Dominikaner*in mit drei Jahren nach Bremen, lebt nun aber schon seit Jahren in Berlin. SchwarzRund schreibt in verschiedenen Formaten über mehrdimensionale Lebensrealitäten. Biskaya ist SchwarzRunds erster Roman. Er erschien 2016 und beleuchtet die Lebensumstände von Schwarzen Queers in der großstädtischen Künstler*innenszene. Beim Lesen wird schnell deutlich, wie sich verschiedene Achsen der Macht kreuzen und sich direkt auf den Alltag und die Möglichkeiten der Charaktere auswirken. SchwarzRunds Intervention in den afropolitischen Literaturmarkt sticht also nicht nur auf Grund des Schauplatzes und der Sprache des Romans hervor, sondern auch durch den eindeutig intersektionalen Ansatz.

Der Roman folgt der jungen Musikerin Tue, die sich selbst und ihr Berliner Umfeld konstant kritisch hinterfragt. Mit ihrer Band ist sie Teil der Hamburger Schule, die traditionell eher weiß und männlich geprägt ist. Darüber hinaus zeichnet sich die Hamburger Schule durch die oft intellektuellen Liedtexte auf Deutsch aus. Als Schwarze, queere Frau sprengt Tue den Rahmen, den die mehrheitlich weiße Öffentlichkeit gewohnt ist. Sie wird nicht so leicht als Teil dieser Schule akzeptiert. Um rassistischen Vorurteilen zuvor zu kommen, glättet die Protagonistin zu Beginn der Geschichte noch ihre Haare und strengt sich an, nach Möglichkeit den weißen Normen und Erwartungen zu entsprechen. Sie ist nicht erfolgreich. Ihre weißen Bandmitglieder und die deutschen Mainstream-Medien kommentieren ungefragt ihr Aussehen und Verhalten. Auch positiv gemeintes Feedback stellt sich oft als stereotypisierend heraus.

SchwarzRund bricht den Alltagsrassismus in Biskaya: SchwarzRund lässt die Protagonistin immer wieder intervenieren, z.B. gibt es Szenen in denen Tue weiße Menschen unterbricht, die gerade das N-Wort sagen wollen. Im Verlauf des Romans wandelt sich Tue. Sie beginnt ihre Haare natürlich zu tragen und verlässt schließlich die Band, um ihre eigene Musik zu machen, die ihren politischen Werten mehr entspricht. Ich interpretiere diese Transformation als Entstehungsprozess einer afropolitischen Haltung.

SchwarzRund weigert sich also einerseits, ihre Protagonistin als Opfer der deutschen Gesellschaft darzustellen. Andererseits wird in dem Roman das enorme Privileg finanzieller Sicherheit deutlich. Tue hat Wahlmöglichkeiten, die nicht allen offenstehen (wie der letzte Essay dieser Reihe über Brian Chikwavas Roman Harare North verdeutlicht). Tue kann es sich finanziell erlauben, Musik zu machen, die in der mehrheitlich weißen Öffentlichkeit starke Kritik hervorruft. Schon seit der Prägung von Afropolitismus, beanstanden Kritiker*innen wie Emma Dabiri oder Marta Tveit die elitären Züge des Konzepts. Biskaya bestätigt dies und verdeutlicht gleichzeitig, dass, wenn Menschen nun einmal Privilegien haben, sie sie auch sinnvoll nutzen können. Tue nutzt ihre Reichweite verstärkt für politische Arbeit. Ihre neuen Lieder thematisieren die Schwarze Deutsche Geschichte, über die im weißen Mainstream entweder geschwiegen wird oder nur beschönigte Versionen, die Gewalt und Ausbeutung ausklammern, erzählt werden.

SchwarzRunds Darstellung der eigenen Protagonistin ist jedoch nicht unkritisch. Tue leistet sich selbst hin und wieder Fehltritte. Betrunken und verärgert outet sie einen Bandkollegen, der bedacht darauf war, geheim zu halten mit wem er Sex hat. Tue belehrt ein Kind über den angeblich richtigen Gebrauch von Pronomen für Menschen, die sie gar nicht kennt. Doch andere Charaktere, Freund*innen aus ihrer afropolitischen Community, sprechen sie darauf an. Sie fungieren in dem Roman als Korrektive und vermitteln den Leser*innen jene Mehrdimensionalität von Lebensrealitäten, die SchwarzRund ein Anliegen ist. Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto deutlicher wird der Wandel der Protagonistin. Tue Willen, individuelle Grenzen zu achten – genauso wie sie möchte, dass die ihren geachtet werden – verstärkt sich. So vermittelt Biskaya einen Afropolitismus, dem Respekt für vielfältigen Ausdruck von Identitäten zu Grunde liegt.

Neben den inhaltlichen Aspekten, deute ich SchwarzRunds Entscheidungen, was bestimmte Schreibweisen betrifft, ebenfalls als afropolitische Handlungen. Wann immer möglich, wählt SchwarzRund eine geschlechterinklusive Schreibweise und kennzeichnet die queeren Räume, in denen sich die Protagonistin und ihre Community bewegen, als solche. Tues Lieblingscafé heißt beispielsweise der*die Ecke. Dass das Bewusstsein für die Schnittstellen von Race, Gender und Sexualität eine zentrale Rolle spielen und dass sie in ihrer Vielfältigkeit in Erscheinung treten, konnte ich bisher selten in afropolitischer Literatur entdecken. In Taiye Selasis gefeiertem Roman Diese Dinge geschehen nicht einfach so wird nur ein*e sehr aufmerksame*r Leser*in die Andeutung einer Kritik an Heteronormativität wahrnehmen – Sadies Präferenz für Frauen ist gerade mal eine Randnotiz.

In Form und Inhalt drückt Biskaya die Suche nach einer afropolitisch-ästhetischen Antwort auf strukturelle Ungerechtigkeiten aus. In SchwarzRunds Roman manifestiert sich der Afropolitismus einerseits als Strategie des Widerstands und andererseits in der Bereitschaft neue Solidaritäten anhand von intersektionalen Grundsätzen auszuhandeln.

SchwarzRund macht sich das Konzept mit dem Roman zu eigen und verdeutlicht, dass Afropolitismus eine relevante politische Haltung für die Schwarze queere Künstler*innenszene in Deutschland sein kann. Während dieser deutsche Afropolitismus mit seinem Fokus auf Intersektionalität eindeutig radikaler ist als der der berühmteren Autor*innen wie Selasi, Teju Cole oder Chimamanda Ngozi Adichie, so steht er dennoch in Verbindung mit den Kontroversen, die afropolitische Literatur in den vergangenen Jahren ausgelöst hat. Dazu gehört der elitäre Aspekt, den ich schon erwähnte und den SchwarzRunds Roman zwar kritisiert, aber eben auch bestätigt. Letztendlich bleibt zu sagen, dass Afropolitismus ein wandelbares Konzept ist und an verschiedene Kontexte angepasst werden kann. Diejenigen, die Afropolitismus für sich nutzen, prägen und verändern seine Bedeutung. Die unklaren Konturen von Afropolitismus, was Teilhabe und eine mögliche politische Agenda betrifft, machen es schwer, ihn einfach nur zu feiern. Aber die Debatten über Zugehörigkeiten, menschliches Zusammenleben und Interaktion mit einem Blick für strukturelle Restriktionen, die die afropolitische Literatur auslöst, sind relevant. Der Wert des Konzepts liegt in den Aushandlungsprozessen.

In dieser Reihe haben wir außerdem Werke von Taiye Selasi, Achille Mbembe und Brian Chikwava besprochen.

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