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Welche Rechte hat die Natur, Sumana Roy?

Passend zum Wissenschaftsjahr der Bioökonomie 2020/2021, legt das diesjährige internationale Literaturfestival Berlin (ilb) einen speziellen Fokus auf alternative und nachhaltige Wirtschaftsformen.  Neben Beiträgen von Politik- oder Energieökonom*innen oder Journalist*innen, die sich in ihrer Arbeit mit der Rolle von Bäumen für unser Ökosystem, Landgrabbing oder mit dem Fleischmarkt auseinandersetzen, verfassten Autor*innen aus der ganzen Welt literarische Beiträge zu ihren Visionen für den menschlichen Umgang mit der Umwelt. Eine dieser Autorinnen ist Sumana Roy, die in Siliguri, einer kleinen Stadt in Bengalen, Indien, schreibt und zwar besonders gerne über Bäume und Wurzeln. Coronabedingt konnte Sumana Roy nicht aus Indien eingeflogen werden. Stattdessen stellte sie dem ilb eine Audiodatei mit ihrem Beitrag, einem mit Gedichten gespickten Essay, zur Verfügung. Die an der Universität Potsdam lehrende Literaturwissenschaftlerin Kylie Crane sollte nun statt die Veranstaltung mit dem Titel „Welche Rechte hat die Natur?“ zu moderieren, die Besucher*innen mit Roys Audio-Aufnahme auf einen Spaziergang mitnehmen.

Am 12.09.2020 stieg ich in der Nachmittagssonne auf mein Fahrrad, um an der Veranstaltung teilzunehmen. Bei poco.lit. steht das Jahr 2020 schließlich mit der Green Library Veranstaltungsreihe unter einem ganz ähnlichen Thema. Auf dem Weg zum Futurium in Berlin-Mitte, wo der Spaziergang losging, radelte ich vom Süden Berlins kommend vorbei an der Topographie des Terrors und am Brandenburger Tor. Nachdem ich die Spree überquert hatte, bog ich auf den Berliner Mauerweg direkt am Wasser Richtung Westen ab. Ich fuhr über glatte, graue Steinplatten, akkurat verlegt, wie eine in die Spree ragende Bühne. Neben den Beton- und Glasbauten des Berliner Regierungsviertels fühlte ich mich klein. Die Gebäude strahlten in verschiedenen Grautönen erhaben in der Sonne und vermittelten eine Förmlichkeit, der ich verschwitzt auf meinem Fahrrad sicher nicht gerecht wurde. Nach der nächsten Kurve funkelte mir das Futurium ebenso silbern, wie steif entgegen. Weiter hinten entdeckte ich den Hauptbahnhof, der diese menschengemachte Landschaft aus überdimensionalen, geometrischen Formen vervollständigte. Wenn so die mögliche Zukunft aussehen soll, dann stellt sich wirklich die Frage, in wie fern Menschen die Natur abgesehen von der vorbeifließenden Spree überhaupt mitdenken wollen.

Ich schloss mein Fahrrad ab. Für den Spaziergang erhielten alle Teilnehmenden vor dem Futurium ein Smartphone und Kopfhörer – natürlich vorher desinfiziert – und los ging’s. Roys Stimme in den Ohren führte Crane uns auf die andere Spreeseite auf ein Stück Wiese mit Bäumen im Spreebogenpark. Mir hing immer noch eine gewisse zwiespältige Ehrfurcht, die die Vielzahl massiver Glas- und Betonklötze auf der Hinfahrt mit ihrer offiziellen Wichtigkeit in mir ausgelöst hatten, nach, so dass ich trotz des Titels der Veranstaltung gar nicht mit irgendetwas Grünem gerechnet hatte. Roy forderte uns Hörenden auf: „Pause for a moment please. Lift your left foot and then the right foot. What are you walking on? Are you walking on grass?”

Auf dem Spaziergang legten wir sicher noch nicht einmal einen Kilometer zurück und entdeckten neben Gras und Bäumen getrocknete Blätter, Eicheln und Pilze. Roys Sprechrhythmus, Tonlage, das langsame gehen und bewusste Wahrnehmen glich einer gemeinsamen Gehmeditation, die der Blindheit für Pflanzen – der ich auf meiner Hinfahrt auch kurzfristig verfallen war – entgegenwirkte. Roy leiht sich den Ausdruck „plant blindness“ von Matthew Hall und veweist darauf, dass Menschen sich in der Regel nicht an das Aussehen des letzten Baumes erinnern, den sie gesehen haben, aber wahrscheinlich schon an die Kleidung der Person vor oder neben ihnen.

Immer noch beeindruckt davon, Grüne, Frische und Lebendigkeit zwischen den grauen, klaren Formen der Regierungsgebäude wahrzunehmen, hörte ich Roys Kritik. “Our parks are curated in such a manner that we experience nature. Nature in codes, mind you, as an observer looks at a swimming pool as an outsider. … we only experience nature as a curator would manicure it for you”. Und in der Diskussion, die Crane nach dem Spaziergang mit uns Teilnehmenden führte, hob sie eben diesen Aspekt noch einmal hervor. Die erste Assoziation mit Kuration ist wohl das Museum oder eine Ausstellung. Doch gerade vor dem deutschen Bundeskanzlerinnenamt sind auch die Bäume in ihren Reihen und die kleinen Grasflächen zwischen den gepflasterten Bodenplatten kurartiert und reflektieren zudem die Bürokratie des deutschen Staates.

Roy kritisiert, dass die Bioökonomie den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Nachhaltigkeit ist notwendig, damit Menschen weiterhin möglichst in Wohlstand leben können. Verwandt damit sind Machtsysteme, die der Baum symbolisiert. Der Baum hat die sichtbare Krone und den Stamm und die unsichtbaren Wurzeln, die ihn in der Erde verankern. „What we have in the tree is top and bottom … and it is not hard to see that it is this that has influenced human understanding of hierarchy. Top and bottom”. Roys Essay und Gedichte laden ein, genau hinzuschauen und zur Abwechslung mal die Natur statt den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und gleichzeitig über Privilegien und Machtverteilung nachzudenken. Als ich die Veranstaltung eine Stunde später verließ, schaute ich anders auf Bäume und wünschte mir, ich könnte viel mehr von ihnen bei ihrem Namen nennen.

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