
Übertretung
Louise Kennedy kam sehr spät zum Schreiben. Nachdem sie 30 Jahre als Köchin gearbeitet hatte, veröffentlichte sie 2021 die Kurzgeschichten-Sammlung „The End of the Word is a Cul de Sac“. Ein Jahr später folgte ihr erste Roman Übertretung, der 2023 in der deutschen Übersetzung von Claudia Glenewinkel und Hans-Christian Oeser im Steidl Verlag erschien.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die 24-jährige Grundschullehrerin Cushla. Sie unterrichtet und lebt etwas außerhalb von Belfast, übernimmt hin und wieder die Abendschichten im familiengeführten Pub, wo sie den verheirateten Prozessanwalt Michael kennenlernt. Die beiden beginnen eine Affäre und bis hierhin klingt alles wie eine relativ normale Liebesgeschichte, wie ich sie schon unzählige Male gelesen haben. Kennedy’s Geschichte spielt aber 1975 in denen die Troubles in Nordirland ihren Höhepunkt erreicht haben. Die Troubles bezeichnen die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Nordirland von 1969-1998. Gegenüber stehen sich lokalen, katholischen Ir*innen und die protestantischen Siedler*innen, die während der britischen Kolonialisierung nach Irland gekommen sind.
Cushla ist Katholikin, aber der Pub ihrer Familie befindet sich in einer protestantischen Vorstadt. Sie unterstützt die Familie ihres Schülers Davy, der Sohn einer protestantischen Mutter und eines katholischen Vaters, nach dem sein Vater brutal zusammengeschlagen wird. Michael ist Protestant, der Fälle übernimmt, in denen unschuldige katholische Männer zu Unrecht für Verbrechen angeklagt werden. Auf Micheals Einladung hin, bringt Cushla ihm und seinen Freund*innen die irische Sprache bei und ist aufgrund ihrer Herkunft immer wieder Kränkungen ausgesetzt.
Und so verflechten sich die Leben der entgegengesetzten Seiten in ihrem Alltag miteinander und genau darin liegt die Stärke von Kennedys Roman: Er zeigt die Gleichzeitigkeit von Alltäglichem und brutaler Gewalt in einer zutiefst zerrütteten Stadt. Als Leser*in beobachtet man die Charaktere in ihrer Sehnsucht nach Normalität. Dabei stellt Kennedy geschickt Fragen über Unrecht und Moral. Cushlas Einfühlungsvermögen stellt sich gegen ideologisches Handeln, was nicht nur für Cushla, sondern auch für ihr Umfeld nicht ohne Konsequenzen bleiben wird. Es ist kein einfaches Buch, als Leser*in bleibt man immer wieder mit der Frage zurück, wie mitfühlendes Handeln so falsch sein kann. Dennoch und gerade deswegen kann ich Louise Kennedys Buch nur mit Nachdruck empfehlen. Menschen wenden sich der Literatur unter anderem zu, um Zuversicht zu finden. Hier finden wir sie in der Güte einzelner Personen, die in den schwersten Moment des Lebens Hoffnung geben kann.