Die Rolle von Übersetzer:innen: Vermittlung, Moderation und Gatekeeping
Unser Projekt macht.sprache. hat uns dazu veranlasst, ausführlich über Übersetzen nachzudenken, über die Arbeit an sich und über die Menschen, die diese Arbeit verrichten. Uns ist es wichtig, während des gesamten Projekts Input von Menschen zu bekommen, die im Bereich der Übersetzung tätig sind. Im Zuge unserer Recherchen waren einige Übersetzer:innen bereits so nett, uns etwas von ihrer Zeit zu opfern und mit uns über ihre Arbeit zu sprechen. In diesem Artikel geben wir einen Überblick über einige der Überlegungen, die in die Entwicklung von macht.sprache. einfließen, dabei greifen wir auf das zurück, was diese Übersetzer:innen mit uns geteilt haben.
Übersetzung ist die Art von Arbeit, die oft unsichtbar bleibt, obwohl sie so wichtig ist. Unsichtbare Arbeit führt dazu, dass diejenigen, die sie verrichten, nicht ausreichend gewürdigt werden, was zur Folge hat, dass Übersetzer:innen oft eine zweitrangige oder untergeordnete Rolle zugeschrieben wird – mit einer entsprechenden (also niedrigen) Vergütung. Und doch leisten Übersetzer:innen in vielerlei Hinsicht eine unglaublich wichtige Arbeit. Die Entscheidungen, die sie treffen, tragen dazu bei, bestimmte Diskurse hervorzuheben und zu normalisieren. Sie können eine wichtige Rolle bei der Förderung eines bestimmten Textes spielen, wenn sie für die Notwendigkeit seiner Übersetzung eintreten – und so seine Sichtbarkeit und Reichweite dramatisch erhöhen. Und sie fungieren als Vermittler:innen nicht nur zwischen verschiedenen Sprachen, sondern auch zwischen den unterschiedlichen diskursiven Welten, die mit diesen Sprachen einhergehen.
Dieser letzte Punkt ist besonders wichtig, wenn es um politisch sensible Sprache geht. Viele Deutschsprechende bemerken wahrscheinlich, wie viel des Vokabulars, das in deutschsprachigen Diskussionen um politisch sensible Themen verwendet wird, von englischer Terminologie durchdrungen ist – Race, Person of Color, Queer – all diese Begriffe werden in Gesprächen, die auf Deutsch stattfinden, routinemäßig unübersetzt gelassen. Und das oft aus gutem Grund, denn, so argumentieren viele, es gibt eine diskursive Kultur, die mit solchen Begriffen einhergeht und die diese Begriffe implizit mit sich bringen, die bei jedem Versuch, sie ins Deutsche zu übertragen, fehlt oder ganz anders ausgelegt wird. Manche neigen dazu, dies damit zu begründen, dass die Diskussionskultur um solche Themen in der englischsprachigen Welt irgendwie „fortgeschrittener“ sei. Als englische Muttersprachlerin, für die das alles sehr bequem ist, stehe ich dieser Ansicht äußerst skeptisch gegenüber: Das Englische macht sich einer ganzen Reihe von sprachlichen Verbrechen schuldig, die nicht zuletzt in seiner imperialen Geschichte begründet sind. Ich frage mich auch nach den Gefahren, der Verflachung, dem Verlust der Heterogenität, die mit der Dominanz des Englischen als, in so vielen Kontexten, globaler Lingua Franca einhergehen.
Aber auch innerhalb der englischen Sprache gibt es viele Unterschiede, wie mir meine Gespräche mit Übersetzer:innen verdeutlichten. Übersetzer:innen sind sich z. B. der Unterschiede beim Übersetzen für das amerikanische Englisch und das britische Englisch sehr bewusst (- es sind zwei der wichtigsten Märkte, die von Verlagen berücksichtigt werden). Und selbst innerhalb der Anglosphäre könnte man argumentieren, dass bestimmte Diskurse von Konzepten und Begriffen aus der nordamerikanischen Arena dominiert werden.
Katy Derbyshire, die das Werk von Olga Grjasnowa aus dem Deutschen ins Englische übersetzt hat, vertrat anstelle des Narrativs einer „fortgeschritteneren“ Diskussionskultur um politisch aufgeladene Sprache im englischsprachigen Raum eine erfrischend andere Sichtweise. Obwohl ihrer Meinung nach einige dieser Diskussionen in Großbritannien vielleicht schon länger geführt werden, scheint es so, als ob die Debatten um politisch sensible Sprache im deutschen Kontext weniger müde und abgestumpft sind. Darüber hinaus wies Derbyshire darauf hin, dass einige dieser Themen schon länger im Fokus deutschsprachiger postmigrantischer Diskurse stehen, als vielen bewusst ist.
Übersetzer:innen agieren also als Vermittler:innen zwischen solchen diskursiven und sprachlichen Welten. Angesichts der sekundären Position, die ihnen oft zugeschrieben wird, behaupten sie ihre Handlungsfähigkeit auf wichtige und wirkungsvolle Weise. Wenn sie mit zeitgenössischen Texten konfrontiert werden, die ihrer Meinung nach eine politisch unsensible Sprache verwenden, erklärten mir die Übersetzer:innen, mit denen ich gesprochen habe, dass sie sich weigern, bestimmte Begriffe zu verwenden oder den Übersetzungsauftrag sogar schlichtweg ablehnen. Dies können sehr riskante, ja kostspielige Entscheidungen in einem Job sein, der in der Regel äußerst prekär ist. Freiberufliche Übersetzer:innen können sich nicht immer darauf verlassen, genügend Aufträge und eine angemessene Vergütung zu bekommen. Wenn sie versuchen, Überzeugungsarbeit bei Autor:innen oder Verlagen (in Machtpositionen über ihnen) zu leisten, und vom Ausgangstext abweichen wollen, ist das also eine Herausforderung in vielerlei Hinsichten. Nichtsdestotrotz erklärten mir Übersetzer:innen, dass sie manchmal Begriffe, die sie als problematisch erachten, entfernen oder ganze Passagen bearbeiten; dass sie kritische Distanzierung sichtbar machen, indem sie „Menschen, die als x bezeichnet werden“ anstelle eines potenziell problematischen Begriffs einfügen. Übersetzer:innen suchen sich verschiedene Lösungswege. Sie berichteten, dass sie versuchen, den Wissensstand ihrer Leser:innen über bestimmte Themen zu antizipieren, genauso wie mögliche Reaktionen, die ihre Wortwahl in der Übersetzung bei ihren Zuhörer:innen hervorrufen würde.
Ihre Überlegungen waren dabei oft von nuancierten Einschätzungen über die Positionierung der zu übersetzenden Autor:innen geprägt. Die Positionierung von Autor:innen ist in dieser Hinsicht schon lange ein Thema. Die aktuelle Aufregung um den Vorschlag, Amanda Gormans Gedicht „The Hill We Climb“, das sie bei der Inauguration des US-Präsidenten Joe Biden vortrug, von einer weißen Person übersetzen zu lassen, zeigt, wie die aktuelle Diskussionskultur zunehmend auch für die Positionierung der Übersetzer:innen eines Textes sensibilisiert. Die potenzielle Komplexität dieser Spannungen wurde auch von @eine.schwarze.liest.buecher in unserem Interview mit ihr im letzten Jahr angesprochen, als sie von einem Panel über James Baldwins „The Fire Next Time“ sprach, in dem die weiße Übersetzerin und die Panelisten of Colour ihre unterschiedlichen Interpretationen bestimmter Passagen diskutierten.
Übersetzer*innen bringen u.a. in der Interpretation eines Ausgangstextes und in ihrem Verständnis seiner politischen Dimensionen ihre Urheber*innenschaft zum Ausdruck. Sie machen sich zu Eigentümer:innen der Texte, die sie übersetzen, die schließlich auch ihnen gehören. Und manchmal fungieren sie bis zu einem gewissen Grad als Gatekeeper:innen: Sie bewerten, was geht und was nicht, auch in Bezug auf politisch sensible Sprache und Bildsprache, und beeinflussen so, wie ein Text und der Diskurs, dessen Teil er ist, in einer anderen sprachlichen Welt auftauchen.
Mit macht.sprache. hoffen wir, ein Werkzeug zu schaffen, das bei der komplexen und wichtigen Arbeit, die Übersetzer:innen leisten, helfen kann. Ein integraler Bestandteil dieses Projekts ist daher auch das Ziel, Sichtbarkeit für diese Themen zu schaffen, damit nicht nur professionelle Übersetzer:innen, sondern auch diejenigen von uns, die in weniger formellen Funktionen übersetzen, ihre eigene Sensibilität und ihr Bewusstsein für politisch aufgeladene Sprache entwickeln und schulen können. Diese Beobachtungen weisen auf die Notwendigkeit hin, unterschiedlich positionierte Stimmen zu diesen Konversationen einzuladen. Außerdem ist es wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass macht.sprache. zwar darauf abzielt, ein technologisches Hilfsmittel zu entwickeln, dass aber die Rolle von Menschen, die übersetzen, und ihr Wissen niemals obsolet sein werden und nicht unterschätzt werden dürfen.