Freischwimmen
„Open Water“ ist der Debütroman des british-ghanischen Schriftstellers und Fotografen Caleb Azumah Nelson. Er erschien 2021 bei Penguin Random House UK und gewann den Costa Book Award. Im selben Jahr veröffentlichte der Kampa Verlag das Buch in Nicolai von Schweder-Schreiners Übersetzung als „Freischwimmen“.
Ein Mann und eine Frau sehen sich zum ersten Mal in einem Pub in London. Ihre Namen erfahren wir nicht. Beide sind Schwarz, haben eine Privatschule mit Hilfe eines Stipendiums besucht, gehörten aber nie ganz dazu. Beide arbeiten jetzt in der Kunstszene – sie als Tänzerin, er als Fotograf. Der Sog zueinander ist stark, doch die Sorge um die Freundschaft, die die beiden verbindet, lässt die romantische Beziehung zögerlich wachsen. Dennoch wirkt diese junge Liebe, so zart, auf den ersten Blick so pur und unverwundbar.
Doch was bleibt von der Liebe in einer Gesellschaft, in der deine Zugehörigkeit immer wieder in Frage gestellt wird? In der du dich dem Einfluss von Rassismus, Polizeigewalt und toxischer Männlichkeit nicht entziehen kannst. Was passiert, wenn Traumata sich langsam in den gemeinsamen Alltag schleichen? Was passiert, wenn die Angst sich zu zeigen und zu fühlen alles überschattet? Was passiert, wenn die Erwartung auf eine bestimmte Art und Weise zu Sein kollidiert mit einer Person, die durch diese Erwartungen hindurchsehen kann?
Erzählt wird ihre Geschichte in der 2. Person Singular aus der Perspektive des männlichen Protagonisten. Was ich zunächst als befremdlich empfand, hilft -nicht zuletzt auch wegen der kraftvollen und poetischen Sprache von Caleb Azumah Nelson- dem Hauptcharakter trotz einer gewissen Anonymität nahe zu kommen. Mit ihm zu fühlen. Manchmal fast für ihn zu fühlen.
Es ist die wohl berührendste und authentischste Liebesgeschichte, die ich seit langem gelesen habe. Bewegend ist auch der Einblick in die Schwarze-britische Kunst- und Kulturszene. Angefangen bei Literatur, über bildende Kunst bis hin zu Musik tauchen wir durch den Protagonisten in eine Welt ein, in der Kunst so viel mehr ist als ein Konsumobjekt. Sie ist prägend in seiner Identitätsbildung und zeigt die Notwendigkeit von Kunst, die die Kraft hat, wenn das Gefühl des Verlorenseins überwältigend ist, Zugehörigkeit zu kreieren.