Was heißt Ballroom auf Deutsch? (Teil 2)
Wie eine amerikanische Subkultur deutsche Herzen eroberte – und was dabei schief ging
Die deutsch-amerikanische Autorin, Kuratorin und Performance Künstlerin Sophie Yukiko blickt nach zehn Jahren kritisch auf die Subkultur ihres Herzens und setzt sich mit der Reproduktion von Machtdynamiken in der Ballroom Szene auseinander. Weit entfernt vom Harlem der 1980er-Jahre hat sich diese Kultur bei ihrer weltweiten Verbreitung an einigen Stellen gewandelt und verschoben? Sophie Yukiko thematisiert die Konflikte und das Potenzial der deutschen Szene. (Dies ist Teil 2)
Weiße, cis-Gender und hetero Perspektiven waren in der deutschen Ballroom Szene lange stärker repräsentiert, als die Perspektiven der Personen, für die der Space eigentlich gedacht war. Deutscher Ballroom wurde nicht von Schwarzen trans* Personen aufgebaut. Queere BIPoC Personen gab es in der ersten Generation der Deutschen Szene in den Jahren zwischen 2012 und 2015 kaum. Trans* Personen gab es in der ersten Generation der Deutschen Szene nicht.
In Deutschland hat das nach einer guten Dekade Ballroom Kultur dazu geführt, dass es zum heutigen Zeitpunkt insgesamt fünf Personen gibt, die internationale Anerkennung als Legends oder Leader der Hauptszene genießen. Zwei dieser Personen sind Weiß, vier sind hetero und niemand ist trans* oder darkskinned. Wer darüber hinaus in der deutschen Szene als relevant angesehen wird, wer auf Zuspruch trifft und wer im Vergleich zu wem, wie hart für seinen Erfolg arbeiten musste, ist meiner Meinung nach ebenfalls sinnbildlich dafür, dass Ballroom in einigen der Länder, die sich die queere, amerikanische Kultur aneigneten oder sie übernahmen, genau die Machtdynamiken reproduziert, von denen es sich einst zu emanzipieren versuchte. Auf Paris und London mag das nicht zutreffen. Dort gibt es große Schwarze Communities, die im Gegensatz zu Deutschland, bereits eine gemeinsame diasporische Identität entwickelt haben. Aber in Deutschland bedeutet das, dass Schwarze Personen sich oft von Weißen Personen validieren lassen müssen, queere Menschen auch von hetero Personen bewertet werden, und cis Personen über das Aussehen, Talent und die Performance von trans* Personen urteilen.
Das hat Auswirkungen auf die Fairness eines Wettbewerbs. Durch welche Linse beurteilt wird, macht einen Unterschied. Wer die Räume gestaltet und sie kuratiert, macht einen Unterschied. Zumindest so lange wir gesamtgesellschaftlich noch damit beschäftigt sind, Rassismus, Transphobie, Queerfeindlichkeit und viele weitere Dinge zu dekonstruieren. Auch innerhalb der deutschen Szene, sind diese Prozesse noch nicht abgeschlossen.
Nicht-Weiße, queere Personen konnten in Deutschland kaum von Personen validiert werden, die ihre Lebensrealitäten verstehen. Für die längste Zeit der Existenz der deutschen Szene, konnten sie nicht einmal gegen Personen antreten, mit denen sie sich selbst identifizieren konnten. Doch das ändert sich. Einer neuen Generation von trans* Personen gelingt es nach und nach, die deutsche Szene einzunehmen. Das hat vor allem in den letzten drei Jahren, zu einem veränderten Bild der deutschen Szene geführt. Kategorien, in denen in Deutschland früher überwiegend Weiße Personen angetreten sind, werden inzwischen von trans* Personen of Color dominiert. Und auch abseits der Balls, gibt es seit einigen Jahren eine größere Bereitschaft dazu, communitybasiert zusammenzuarbeiten, Initiativen zu ergreifen, und die in der Community anfallenden Konflikte gemeinschaftlich aufzufangen. Es ist interessant zu beobachten, dass auch in dieser Hinsicht, eine Reproduktion von Dynamiken zu beobachten ist, die aus der Mehrheitsgesellschaft bekannt sind, und vor allem nicht-Weiße Fem Personen betrifft. Denn die Care-Arbeit für die Themen, die in einer Szene wie Ballroom vor allem im Jugendbereich anfallen, wird mehrheitlich von ihnen getragen. Eine Form der Anerkennung für diese Leistungen erhalten diese Personen selten.
Erst in diesem Jahr wurden mit Mandhla Gorgeous Gucci Laveaux ( Mandhla Ndubiwa ) und Magia Marciano 007 ( Yagé Quinn Parra Harrington ) zwei nicht-Weiße trans* Personen ausgezeichnet, deren Arbeit in der deutschen Community direkt dazu beigetragen hat, das Gesicht der deutschen Szene nachhaltig zu verändern. Ein politisches, solidarisches Einbringen Weißer oder nicht-queerer Personen, für Themen und Anliegen, welche die Ballroom Community direkt betreffen ist selten und zögerlich. So auch im Falle des Gaza-Krieges. Ein großer Teil der europäischen Ballroom Szene wird von Menschen ausgemacht, die in der Weißen Mehrheitsgesellschaft als muslimisch gelesen werden. Während queere Personen mit einem Herkunftsbezug der S.W.A.N.A. Region sich durch eine Solidarisierung mit palästinensischen Menschen stets angreifbar machen, halten sich Weiße Personen auch im Ballroom Kontext oft lieber zurück. Sobald die Unterhaltungen schwierig werden, wird die gesellschaftliche Verantwortung, sie trotzdem zu haben, in der Tendenz auf die Personen abgewälzt, deren Ressourcen ohnehin knapp sind.
Und trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, hat die deutsche Szene großes Potenzial. Wenn sie wollte, könnte sie diese Kultur nicht nur zu dem zu machen, was sie in seinem Ursprung einmal war, sondern sie vielleicht sogar weiterentwickeln und sie über sich selbst hinauswachsen lassen. Es ist vielleicht der Geschichte der Szene zu schulden, dass Ballroom, vor allem in Berlin, neben seiner kompetitiven Funktion auch stets als Forum für politische Diskussionen genutzt wurde. Der Space, der sich selbst von Anfang an als queer und nicht-Weiß definiert hat, obwohl er es zu Beginn nicht vornehmlich war, wurde immer wieder kritisch betrachtet. Dadurch ist Raum dafür entstanden, auch die Machtdynamiken zu besprechen und zu überdenken, die in dieser Kultur zur Tradition geworden sind, schon lange bevor sie ihren Weg nach Europa fanden.
Denn die Ideale der amerikanisch-kapitalistischen Gesellschaft, wurden zwar von der Ballroom Kultur umgedeutet, allerdings wurden sie nicht aufgehoben. In der Imitation einer Weißen, kapitalistischen Idee von Erfolg, dürfen zwar andere Personen als schön, reich, erfolgreich, berühmt und begehrenswert gesehen werden, als in der Weißen Mehrheitsgesellschaft – reich, schön, erfolgreich, berühmt und begehrenswert hat man am Ende des Tages aber dann irgendwie trotzdem noch zu sein, wenn man eine gewisse Relevanz in dieser Community erhalten und behalten möchte.
Wettbewerbs Kultur, fördert – so wie wir sie kennen – Individualismus, und dieser ist ein Produkt der nordwestlich geprägten Kulturen. Durch Kolonialisierung wurde er exportiert und nahm den Kulturen, die im Gegensatz zum Individuum das Kollektiv zentrierten, nach und nach die Luft zum Atmen. Interessanterweise bezeichnet die Ballroom Szene sich selbst gerne als Community, weltweit, auch in Deutschland. Eine Sehnsucht nach Gemeinschaft wird vielleicht genau in diesem Space so intensiv verspürt, weil man sie aufgrund der Geschichte und Herkunft dieser Kultur, genau dort vermutet hat. Wer allerdings gewinnen will, muss sich auf sich selbst konzentrieren, sich eventuell selbst überhöhen und sich hier und da auch über andere erheben. Ballroom trainiert die Ellbogen.
Mir selbst fällt es ebenfalls schwer eine Version von Ballroom zu imaginieren, in der eine Form gefunden wird, die den Austausch von Talent zentriert, anstatt seine Hierarchisierung. Vielleicht ist das aber auch nicht notwendig. Denn was Ballroom vor allem tut, egal ob in den USA, oder in Deutschland, egal ob heute oder damals, egal ob der Wettbewerb fair ist oder nicht – eine Beteiligung sorgt für ein dickes Fell, innerhalb und außerhalb des Spaces. Und das können vor allem die Personen, die in der deutschen Szene aufgrund der Reproduktion unterschiedlicher Machtdynamiken oft übersehen wurden, besonders gut gebrauchen.