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Was heißt Ballroom auf Deutsch? (Teil 1)

Sophi Yukiko

Was heißt Ballroom auf Deutsch? (Teil 1)

Wie eine amerikanische Subkultur deutsche Herzen eroberte – und was dabei schief ging

Die deutsch-amerikanische Autorin, Kuratorin und Performance Künstlerin Sophie Yukiko blickt nach zehn Jahren kritisch auf die Subkultur ihres Herzens und setzt sich mit der Reproduktion von Machtdynamiken in der Ballroom Szene auseinander. Weit entfernt vom Harlem der 1980er-Jahre hat sich diese Kultur bei ihrer weltweiten Verbreitung an einigen Stellen gewandelt und verschoben? Sophie Yukiko thematisiert die Konflikte und das Potenzial der deutschen Szene.

Wem Ballroom Kultur inzwischen ein Begriff ist, mit dem nicht etwa Standarttanz, sondern eine subkulturelle Bewegung assoziiert wird, aus der unter anderem die tänzerische Form des Voguing hervorgegangen ist, der denkt vielleicht an eine popkulturelle Revolution gegen intersektionale Unterdrückung. In den Anfangsjahren der Szene in New York City, wurde Nicht-Weiße Queerness und Trans* Identität dort auf eine Art und Weise zelebriert, die Hoffnung darauf weckte, dass es Räume geben kann, in denen Personen, deren Identitäten außerhalb eines christlich-patriarchalen, eurozentrischen Selbstverständnisses liegen, sich gegenseitig validieren. Auf den ersten Blick wirkt das wie eine kleines Stück Utopie. Es birgt ein Versprechen: Es gibt einen Ort, an dem schön sein kann, wer im alltäglichen Leben gesagt bekommt, es nicht zu sein; an dem begehrenswert sein kann, wer in der Alltagsrealität Ablehnung erfährt. Eine Party ohne Unterdrückende, ein Wettbewerb endlich fair für alle die, die sonst nicht mitmachen durften, ein Raum gestaltet und gehalten von denjenigen, die am meisten von gesellschaftlicher Diskriminierung betroffen sind. Allein darin liegt die Revolution. In der Überschreibung der Deutungshoheit. In dem Wagnis selbst darüber zu entscheiden, wer gut, schön, talentiert und sexy ist. Wer Stil hat.

Unabhängig davon, ob selbst an dem eigentlichen Wettbewerb – dem Ball – teilgenommen wird oder ob man dem Ereignis als Specator folgt – was man dort sieht und spürt ist anziehend. Wer will schließlich nicht Teil einer Revolution sein? Oder zumindest von sich behaupten können, dabei gewesen zu sein, als sie stattfand? Subkulturen haben das so an sich, diesen starken Magnetismus zu senden, der irgendwie auf alle wirkt. Ich jedenfalls habe noch nie mitbekommen, wie eine Person bei der ersten Konfrontation mit Ballroom Kultur unbeeindruckt mit den Schultern zuckt. Der Blick bleibt an dem voguenden Körper hängen, vor allem wenn dieser Körper nicht Weiß ist. Vor allem wenn dieser Körper nicht cis ist. Es ist jedoch wichtig festzustellen durch welche Linse geschaut wird und aus welchen Gründen der Blick verweilt. Weil man sich selbst in diesem Körper erkennt? Weil man ihn exotifiziert? Oder weil man seine pure Existenz als Angriff auf die eigene Identität empfindet? Ballroom affiziert – egal aus welchen Gründen.

Für mich war das nicht anders, als ich vor zehn Jahren das erste Mal in der Kategorie European Runway antrat. Der Ball den ich besuchte, fand in Holland statt – zeitlich und örtlich weit entfernt vom Harlem der 1980er-Jahre, mit einer inhaltlichen Nähe zu den Ursprungsgedanken dieser Kultur, die an manchen Stellen unübersehbar war und in retrospektive jedoch, an anderen Stellen verschoben zu sein schien. Ich machte mit und liebte es, ohne in der Tiefe zu begreifen, was ich gerade tat, und warum ich es tat. Geschweige denn, wer genau die Personen waren, die es vor mir getan hatten und was es bedeutete oder umdeutete, wenn ich es tat. Ich hatte mir um diese Dinge ehrlicherweise keine Gedanken gemacht. Ich glaube die wenigsten Personen, die in diesem kulturellen Raum stattfinden, tun das zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihn betreten. Die Teilhabe an dieser Kultur, und vor allem die Entscheidung ein aktiver Teil der Szene zu werden, in dem man sich an dem Wettbewerb beteiligt, begründet sich vor allem emotional. Die revolutionäre Kraft ist spürbar. Auch von denjenigen, für die diese Kraft ursprünglich nicht gedacht war.

In Harlem erschufen Schwarze und LatinX Trans* Personen aus Arbeiter*innen Familien, einen Wettbewerb für andere queere Schwarze und LatinX Personen. Sie queerten dabei die Prinzipien heteronormativ geprägter Industrien und Lebensbereiche, die ihnen aufgrund der eigenen Identität in den USA oft weitestgehend unzugänglich blieben. Mode, Schönheit, Tanz, Gesang, Musikindustrie, Sport, Manager Positionen im Finanzsektor – die Pionier*innen der Ballroom Kultur kreierten ein System, in welchem aus diesen Bereichen Disziplinen abgeleitet wurden, die innerhalb der Kultur heute als Categories bekannt sind und in denen man fortan gegeneinander antreten konnte. Außerdem fügten sie nach und nach Auszeichnungen für diejenigen hinzu, denen es am besten gelang mit den Umständen der in der Community herrschenden Lebensrealität umzugehen. Ich kenne kein besseres Beispiel für eine Queerung einer bestehenden Ordnung. Mir und vielen anderen Personen bedeutet es nicht zuletzt deswegen so viel, sich als Teil dieser Kultur zu sehen, weil man sich durch das Stattfinden in dieser Szene automatisch als Teil dieser subversiven Tradition versteht. Die Frage ist jedoch, ob die bloße Teilnahme ausreicht, Teil der Tradition zu werden. Und wenn dem nicht so ist, welche Anteile sind es dann, die einen Teil davon werden lassen. Ist es Leistung? Identität? Herkunft? Wissen? Sexualität? Klasse? Politische Gesinnung? Alle – oder zumindest ausreichend viele?

Weil sich auf den ersten Blick viele identitätspolitische Kämpfe an Ballroom koppeln lassen, finden sich schnell intellektuelle Erklärungen, die einem selbst und der Umwelt politisch begründen, warum man glaubt, einen Platz in diesem Space einnehmen zu können, zu dürfen oder zu müssen. Je nachdem von welchem Lebensweg man in Ballroom hineinstolpert – wenn man irgendeine Art der Ausgrenzung erfahren hat und sich nach einer Validierung sehnt, die das ganze Leben lang ausgeblieben ist, dann wird eine Konfrontation mit dieser Kultur sich zunächst extrem heilsam und ermutigend anfühlen. Auch für Personen die nicht Trans* sind. Auch für Personen die nicht queer sind. Auch für Weiße Personen. Auch für diejenigen, die einen New Yorker Alltag weder kennen, noch verstehen.

Es ist also kein Wunder, dass Ballroom inzwischen überall auf der Welt zu finden ist, und von Personen praktiziert wird, deren Lebensrealität und gemeinsame kulturelle Geschichte nur noch wenige Überschneidungspunkte mit dem Alltag der amerikanischen Pionier*innen hat. Egal ob in Rio, Taipei, Paris, Accra, Moskau oder in Berlin – Ballroom wird gelebt, geliebt und gebraucht, ohne dass zwingend auch ein Verständnis über die Nuancen dessen, was den Ursprung dieser Kultur ausgemacht hat, vorhanden ist.

Wer an einem Ball teilnimmt, tut es vor allem, um endlich suggeriert zu bekommen, dass das Patriarchat einen angelogen hat, und dass die eigene Identität sehr wohl wertvoll ist. Und weil das Patriarchat nicht nur Schwarze, queere und Trans* Personen anlügt, wollen auch Weiße Queers und hetero Personen ihre Wunden in diesem Space heilen. Der Unterschied ist, dass manche Menschen nicht nur damit beschäftigt sind Wunden zu heilen, sondern aufgrund ihrer Identität nicht sicher sein können, wo und wie lange sie leben können.

Einen Platz im Herzen dieser Kultur, erhalten diejenigen, die sich zu den besten ihrer Kategorie etablieren. Dafür braucht man Selbstbewusstsein und Mut. Für Menschen die bereits im alltäglichen Leben feststellen, dass das Prinzip des fairen Wettbewerbs für sie selbst nicht in die Systeme der Gesellschaft eingebettet ist, weil diese Systeme inhärent transphob, queerfeindlich und rassistisch sind, sind Mut und Selbstbewusstsein jedoch oft genau die Eigenschaften, um die Personen die jeden Tag Mehrfachdiskriminierung und Mikroaggressionen erfahren, kämpfen müssen.

In der Idee des Wettbewerbs den Ballroom herstellt, sollte das anders laufen. Das Versprechen auf eine Bewertung durch Personen, die die eigene Lebensrealität verstehen können, macht Mut. Die Erfahrung, dass es sich lohnt Leistung zu erbringen, weil der Wettbewerb fair ist, fördert Selbstbewusstsein. In der deutschen Szene, löste sich dieses Versprechen allerdings für viele Personen gar nicht, und für manche viel zu spät ein.

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