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Yoga, Umwelt und Sprache 

Yoga, Umwelt und Sprache 

„Yoga is not just about exercise; it is a way to discover the sense of oneness with yourself, the world and the nature.” 

Mit diesen Worten schlägt der Premierminister Indiens Narendra Modi vor einen Internationalen Tag des Yoga einzuführen. Ziel ist es, das Bewusstsein für die Vorteile der uralten Praxis des Yoga für unsere modernen Zeiten zu stärken. Sein Vorschlag wurde mit einer überwältigenden Mehrheit von 175 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen angenommen. Am 11. Dezember 2014 erklärte die Generalversammlung den 21. Juni zum Internationalen Tag des Yoga. In weiten Teilen Indiens erfährt der Tag viel Zustimmung und wird als eine Wiederaneignung indischer Kultur verstanden. Es gibt aber auch viele kritische Stimmen diesem Tag gegenüber. Narendra Modi gilt als hindu-nationalistischer Politiker, der gewaltvoll gegen andere Kulturen und Religionen in Indien vorgeht, was sich in keinster Weise mit der Philosophie des Yoga zusammenbringen lässt.

Der Tag wird nicht nur in Indien zelebriert, auch im globalen Norden finden zahlreichen Veranstaltungen zum Weltyogatag statt. Es muss aber dringend eine Unterscheidung getroffen werden, wie Yoga im globalen Norden im Gegensatz zu Indien wahrgenommen wird. Die physische Praxis steht im Mittelpunkt dieser Wahrnehmung, die sich in der Regel auf Asanas (Körperübungen) beschränkt. Die Philosophie des Yoga spielt eine untergeordnete Rolle. 

Die Anzahl der Yogapraktizierenden beläuft sich weltweit auf etwa 300 Millionen Menschen und der Umsatz der Yoga-Industrie wird auf ca. 130 Milliarden US-Dollar geschätzt. Stand 2016 gibt es allein in Berlin 300 Yogastudios. Der Yogamarkt besteht neben Yoga- und Meditationsklassen aus Teacher Trainings, Workshops und Festivals, auf denen eine Vielzahl von weiteren Produkten angeboten werden wie Yogamatten, Blöcke, Gurte, Meditationskissen oder Yogakleidung. Allein der Anteil am Yogamarkt für Kleidung soll sich 2025 auf 48 Milliarden US Dollar belaufen. Es werden aber auch Produkte beworben, die nur in einem entfernteren Zusammenhang mit Yoga stehen. Dazu gehören Naturkosmetik, ätherische Öle und Schmuck. Yoga ist zu einem Industriezweig geworden, von dem der globale Norden profitiert, so dass ganz klar von kultureller Aneignung gesprochen werden kann – eine Kultur von ehemals Kolonialisierten wird aus dem Kontext gerissen, angeeignet, und verhilft Unternehmen und Einzelpersonen aus dem globalen Norden zu finanziellem Gewinn.

Wie gehören Konsum und Sprache zusammen?

In seinem Buch Ecolinguistics: Language, Ecology and the Stories We Live By beschreibt der Linguist Arran Stibbe den Zusammenhang von Sprache und Umwelt. Gerade in unserem Sprachgebrauch kapitalistischer Gesellschaften sieht er eine zentrale Ursache für viele menschliche Verhaltensweisen – wie etwa Konsum: Narrative, die die zentrale Stellung des Menschen hervorheben, sind genauso weit verbreitet wie solche, dass immer mehr zu besitzen etwas Gutes sei. Das beeinflusst das Denken, Reden und Handeln nachhaltig und Stibbe plädiert dafür, dass neue Narrative gefunden werden müssen. In den verschiedenen Kapiteln seines Buches benennt er neun Instrumente zur Entstehung und Verbreitung von Narrativen und zeigt auf, wie sich diese in unserem Sprachgebrauch manifestieren. Eines dieser Instrumente sind Ideologien, die durch Diskurse geprägt werden, welche er in destructiveambivalent und beneficial einteilt. Eine beneficial discourse wäre nach Stibbe ein Narrativ, dass unser Verhalten so beeinflusst, dass die Natur aktiv geschützt wird. In dem Zusammenhang stellt Stibbe heraus, dass in vielen indigenen Gemeinschaften die Natur mit mehr Wertschätzung betrachtet wird und daher eine wichtige Quelle für neue Narrative sein können. Sich von anderen Kulturen inspirieren zu lassen, birgt aber auch immer die Gefahr, dass diese entfremdet und in den Kapitalismus eingliedert werden – wie im Falle von Yoga. Gerade wenn es um Werbung für Yoga und die vermeintlich dazugehörigen Produkte geht, lässt sich gut erkennen, wie weit sich der globale Norden von der eigentlichen Yogatradition wegentwickelt hat.

Die Philosophie des Yoga

Doch was ist Yoga eigentlich? Wird der Begriff Yoga aus dem Sanskrit übersetzt, steht er für Einheit. Im Yoga Sutra des Patanjali (Interpretation von Desikachar 1997) wird Yoga als ein Zustand definiert, bei dem geistige Prozesse zur Ruhe kommen. Als Folge dieses Zustandes wird die Fähigkeit erworben, „…etwas vollständig und richtig zu erkennen.“ Das Ziel der Praxis ist, dass die Einheit mit dem Selbst und allen anderen lebenden Dingen erreicht wird. Sind Handlungen nicht auf dieses Ziel ausgerichtet, können sie nicht als Yoga bezeichnet werden.

Im Yoga Sutra wird ein nicht-linearer achtfacher Pfad (Ashtanga) beschrieben, der auf dem Weg zum Ziel des Yoga durchlaufen wird. Der achtfache Pfad besteht aus: 

1. Yamas (Haltung gegenüber unserer Umwelt und Umgebung)
2. Niyamas (Umgang mit uns selbst) 
3. Asana (Durchführung von Körperübungen) 
4. Pranayama (Durchführung von Atemübungen) 
5. Pratyahara (Beherrschung der Sinne) 
6. Dharana (Konzentration) 
7. Dhyana (Meditation) 
8. Samadhi (Bewusstseinszustand, in dem das diskursive Denken aufhört; Einheit) 

Sprachliche Muster in der Yogawerbung: Framing – Identität – Evaluation

Als Linguistin und Yogapraktizierende finde ich es sehr interessant mir Yoga, insbesondere Werbung für verwandte Produkte, aus einer sprachlichen Perspektive anzusehen und die Frage zu stellen, ob diese mit der Philosophie des Yoga im Einklang ist.

Framing

Framing ist eine gängige linguistische Praxis, die uns in den Medien tagtäglich begegnet. Durch das Wissen über einen Lebensbereich wird mithilfe von Triggerwörtern ein anderer beschrieben. In Beschreibungen von Produkten wird auf den Frame YOGA IST WELLNESS zurückgegriffen. Das digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache (2021) definiert Wellness als „… körperliches und seelisches Wohlbefinden, das durch (therapeutische) Anwendungen, bewusste Ernährung, wohltuende Körperpflege, angemessene körperliche Betätigung o. Ä. (im Rahmen eines ganzheitlichen Gesundheitskonzeptes) erreicht werden soll.“ Damit wird die komplexe Philosophie des Yoga auf eine Selfcare-Praxis reduziert. Durch Triggerwörter wie Achtsamkeit, Wohlbefinden, Intention und Balance werden Assoziationen geweckt, die Überzeugungen und Handlungsmuster im Zusammenhang mit Wellness wecken, die dann mit Yoga gleichgesetzt werden. Auch wenn das persönliche Wohl Teil der Philosophie des Yoga ist, welches in den Niyamas (Umgang mit sich selbst) genauer beschrieben wird begrenzt der Frame YOGA IST WELLNESS die Praxis auf allein diesen Aspekt und schließt den gesellschaftlichen und ökologischen Fokus der Yogaphilosophie aus. 

Beworbene Produkte sollen die Selbstfürsorge unterstützen oder sind Mittel dieser Fürsorge. Das kann dazu führen, dass Konsum angeregt wird, oder weitergedacht, Selbstfürsorge mit Konsum verknüpft wird.

Identität

Aus der Sicht der Ecolinguistics ist Identität ein Narrativ über eine Person oder Personengruppe, die wie diese Person in einem bestimmten Kontext verkörpert werden soll. Das umfasst das Wertesystem, Auftreten und Verhalten. Ähnlich wie beim Framing sind es Triggerwörter, die eine Assoziation mit bestimmten Persönlichkeitsaspekten, die im Zusammenhang mit Yogapraktizierenden stehen, geweckt werden. Dazu gehören die Worte nachhaltigachtsam und bewusst, die sich in der Werbung für Yogaprodukte immer wieder finden. Die Konstruktion einer Identität um Yoga herum wird genutzt, um Versprechen zu machen, diese Person zu werden, wenn die Produkte konsumiert werden.

Evaluation

Durch Evaluationen werden Bereiche des Lebens als positiv oder negativ dargestellt, was sich sprachlich durch appraisal patterns äußert. Diese appraissal patterns spiegeln die Werte einer Community wider. Gegensätzliche Wortpaare sind ein häufiges Mittel in Bewertungsmustern, die eine positive wie auch negative Bewertung auslösen. In der Yoga-Community fallen die appraisal items gesund, nachhaltich/sustainable und natürlich besonders auf und werden leicht mit dem negativ konnotierten Begriff in Verbindung gebracht: gesund/krank, nachhaltig/verschwenderisch und natürlich/künstlich. Es ergeben sich die Evaluationen NACHHALTIG IST GUT, GESUND IST GUT und NATÜRLICH IST GUT, die immer wieder für die Beschreibung von Produkten verwendet werden. Zum einen wird damit der Glaube geweckt, Produkte könnten unbedenklich konsumiert werden, aber auch, dass bestimmte Produkte erst konsumiert werden müssen, um einen nachhaltigen, gesunden Lebensstil führen zu können.

Alle drei Punkte stehen im Gegensatz zu den yamas Brahmacharya (Mäßigung), Aparighara (Nichtbesitz) und je nach Herstellung, Zusammensetzung und Notwendigkeit der Produkte gegen Ahimsa (Gewaltlosigkeit). Aber auch Satya (Wahrhaftigkeit) spielt eine Rolle, da die Frage gestellt werden kann, wie übermäßiger Konsum mit der Identität von Yogapraktizierenden vereinbar ist. 

Und dann stellt sich die Frage, ob es sich hier tatsächlich noch um einen beneficial discourse handelt, den die Yogaphilosophie eigentlich vorgibt.  Aus der Tradition des Yoga wurde ein Markt kreiert, was die große Gefahr zeigt sich Kulturen anzueignen, sie zu verfälschen und in den Kapitalismus einzubetten. Ist die Yogapraxis im globalen Norden vielleicht sogar zu einem destructive discourse geworden? Selbst wenn die Yogaprodukte nachhaltig sind – wars häufig genug aber auch nicht der Fall ist – ist das Ziel, dass Yogapraktizierende zum Konsum angeregt werden. Und das unter der Prämisse, dass die Yogapraxis durch den Konsum besser ausgeführt werden könnte, der Lebensstil gesünder und nachhaltiger würde oder Menschen nur so echte Yogi*ni würden. 

Für mich persönlich ist Yoga ein moralischer Kompass und ich frage mich immer wieder: Ist das gerade wirklich noch Yoga, was ich praktiziere? Ich kann diese Frage leider nicht immer mit „Ja“ beantworten, aber sie gibt mir Orientierung. 

Diese Bücher und Podcast haben mir auf diesem Weg bisher geholfen:

Yoga is Dead: Podcast von Tejal Patel und Jesal Parikh
Susanna Barkataki Buch Embrace Yoga’s Roots
Yoga Sutras des Patanjali in der Interpretation von T.K.V. Desikachar 


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