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Portrait von Marion Kraft

Übersetzung und Verbundenheit: Ein Interview mit Marion Kraft

Im Rahmen unseres Projekts macht.sprache. haben wir Anfang September 2022 einen Workshop im Literarischen Colloquium Berlin ausgerichtet. Dabei durften wir mit der Germanistin und Amerikanistin Marion Kraft über ihre Übersetzungsarbeit sprechen. Es ging um Audre Lorde, sprachliche Veränderungen, Neuübersetzungen und Teamübersetzungen.

Wie bist du zum Übersetzen gekommen? Und welche deiner bisherigen Übersetzungen lagen dir besonders am Herzen?

Ich bin keine hauptberufliche Übersetzerin. Zum Übersetzen bin ich durch eine Freundschaft gekommen, für die ich heute immer noch sehr dankbar bin. Ich meine meine Freundschaft mit Audre Lorde, die ich 1986 in Berlin kennen gelernt habe. Ich habe erstmal einzelne Gedichte von ihr übersetzt, für den Gebrauch bei Lesungen. Wir haben die Übersetzungen selten vorgelesen, sondern als Handout für die Teilnehmer*innen mitgebracht, die nicht so gut Englisch konnten. Wenn Audre gelesen hat, brauchte es eigentlich keine Übersetzung. Das stand sogar mal in der Lokalzeitung in Osnabrück: „Die Stimme allein reicht!“ Das stimmt natürlich nicht ganz, weil der Inhalt wichtig ist. Aber egal wie gut eine Übersetzung ist, es ist eben nicht das Original. (Das ist ein generelles Problem von Übersetzung, egal wie gut sie ist.) Ich hatte damals eine Gastprofessur an der Uni Osnabrück und Audre kam für eine Lesung und alle waren begeistert. Ihr sollte eigentlich die Ehrendoktorwürde verliehen werden, aber leider ist sie kurz vor dem Termin verstorben. Deshalb wurde dann zusammen mit Studierenden eine zweisprachige Sonderedition [mit Gedichten von ihr] herausgegeben.

Kurz vorher hatte mich aber eine andere Freundin – Dagmar Schultz, die damals den Orlanda Frauenbuchverlag leitete – gefragt, ob ich etwas längere Texte von Audre übersetzen könnte, u.a. Essays von ihr und Adrienne Rich, die der Verlag erstmals auf Deutsch herausgeben wollte. Der Band heißt Macht und Sinnlichkeit.

Audre selbst hatte mich gefragt, ob ich ein ganzes Buch von ihr übersetzen könnte, und zwar Gedichte, die sie selbst aussuchen wollte. Sie hatte sie kurz vor ihrem Tod noch zusammengestellt und das Buch, Die Quelle unserer Macht, kam posthum ein halbes Jahr später raus. Das war eigentlich mein erstes Buch, das ich übersetzt habe, und es ist eins meiner Lieblingsbücher.

Dann hat es sich so ergeben, dass ich eine Reihe von Essays übersetzt habe, hauptsächlich von anderen afroamerikanischen Autor*innen, aber auch von einer Afroschweizerin, die auf Englisch und Französisch geschrieben hat. Meine Übersetzungsarbeit hat sich langsam entwickelt, aber ich habe immer nur nebenbei übersetzt und nur Dinge, die mir persönlich sehr am Herzen lagen. Ich habe also keine Auftragsarbeiten gemacht und nichts dabei verdient – wobei man sowieso wenig bei dem Geschäft verdient. Ich habe immer aus Spaß übersetzt.

Sister Outsider, wieder von Audre Lorde, habe ich zusammen mit Eva Bonné übersetzt und das war mein erster dicker Wälzer. Irgendwie ist dadurch ein Stein ins Rollen geraten, ohne das ich das wollte. Der Schweizer Kampa Verlag hat Eva Bonné, Mirjam Nuenning und mich dann gefragt, ob wir einen anderen Band übersetzen könnten, A Burst of Light oder Ein Strahlendes Licht. Plötzlich war Audre Lorde en vogue und nur wenige haben zur Kenntnis genommen, dass sie schon vor 30 Jahren in Deutschland publiziert worden ist. Aber das ist eine andere Geschichte… Dann kamen alle möglichen Anfragen, z.B. Emma Dabiri, Buchi Emecheta und Amanda Gorman. Momentan sitze ich an einer Übersetzung, an der ich mir die Zähne ausbeiße, Tara M. Stringfellows Memphis. Immer wieder frage ich mich, wie ich bestimmte Begriffe ins Deutsche bekomme, sodass sie den Kontext wiedergeben, aber ohne einzelne Menschen oder bestimmte Gruppen zu diskriminieren oder zu verletzen.

Du scheinst dich immer wieder für eine ganz bestimmte Art von Text zu entscheiden. Was denkst du, welche verschiedenen Faktoren dazu beitragen, dass ein Text und ein*e Übersetzer*in zueinander passen?

Ich bin vor kurzem gefragt worden, ob ich Agatha Christie übersetzen würde. Meine Antwort war nein. Erstens sind Krimis überhaupt nicht mein Genre und zweitens macht mir so eine Übersetzung keinen Spaß und ich habe ja gesagt, dass ich aus Spaß an den Autor*innen und aus Spaß am Text übersetze.

Ich denke, dass eine bestimmte Positionierung ganz wichtig ist. Ich weiß, dass einige Übersetzer*innen davon ausgehen, dass sie mit jedem Text ein*e andere*r sind und jeden Text übersetzen können. Natürlich können sie das, aber die Frage ist, aus welcher Position heraus. Im letzten Jahr gab es diese unsinnig geführte Debatte über Amanda Gormans The Hill We Climb. Dabei war das Thema nie, ob man die Erfahrungswelt eines Autors oder einer Autorin unbedingt teilen muss. Aber es kann hilfreich sein, um nicht ungewollt in Fettnäpfchen zu treten oder ohne es zu wissen, einen Sprachgebrauch zu verwenden, der verletzend ist oder historische Zusammenhänge ignoriert. Wenn die Erfahrungswelten nicht geteilt werden, ist es umso notwendiger, sich für andere Perspektiven zu öffnen.

Ich übersetze nur bestimmte Texte, also Tara M. Stringfellow, Audre Lorde oder Buchi Emecheta und nicht Agatha Christie, weil mir die Welten, die mir in diesen Texten begegnen, viel näher sind. Es sind auch nicht meine Welten – ich bin Deutsche und nicht Afroamerikanerin oder Nigerianerin –, aber ich fühle mich ihnen verbundener. Ich kenne die Länder, die Menschen und die Gefühle, die bei ihnen durch bestimmte kollektive Erfahrungen hervorgerufen wurden.

Du übersetzt nun schon seit einer Weile. Hat sich die Verlagswelt im Laufe der Zeit verändert? Mich würde z.B. interessieren, wie Lektorate auf bestimmte Begriffsentscheidungen reagieren.

Es hat sich viel verändert, aber noch nicht genug. Wenn wir uns den Buchmarkt anguckten, dann wird deutlich, dass immer noch größtenteils US-Amerikaner*innen übersetzt werden. Danach kommt Großbritannien. Französische Texte werden schon etwas seltener übersetzt und ich habe den Eindruck, dass der afrikanische Kontinent erst jetzt langsam ins Blickfeld gerät. Ich bin sehr froh, dass Margaret Busbys Sammelband New Daughters of Africa bald in einer gekürzten Version in deutscher Übersetzung im Unrast Verlag erscheinen wird. Ich schreibe dafür gerade ein Vorwort. Aber für afrikanische Literatur ist der Markt hier noch nicht wirklich vorhanden.

Was die Sprachsensibilität betrifft, hat sich viel getan – oder es verändert sich gerade in diesen Tagen einiges. Ich hatte in letzter Zeit keine Probleme mit Lektoraten, wenn ich z.B. Texte gendern wollte. Es geht mittlerweile viel mehr um Fragen, die ich mir auch selbst stelle: Wie gendere ich, dass es sich noch gut liest und keine Bauchschmerzen beim Lesen verursacht? Auch wenn ich den Begriff Race verwendet habe, habe ich keine Probleme bekommen. Es geht einfach nicht, den Begriff mit Rasse zu übersetzen, weil das deutsche Wort zu negativ besetzt und ganz anders historisch gewachsen ist. Race kann z.B. im Englischen durchaus auch positiv verwendet werden. Ich habe mit Verlagen die Erfahrung gemacht, dass ich sagen kann: „Das muss sein!“ und dann wird es auch so gemacht. Mir scheint, dass das damit zusammenzuhängen, dass in vielen Verlagen mittlerweile jüngere Lektorinnen sitzen und nicht mehr – ich sage es jetzt mal ganz böse – diese alte oberlehrerhafte Männerriege, die alles bestimmt und besser weiß.       

Du hast jetzt schon konkret über den Begriff Race gesprochen. In der deutschen Übersetzung von Sister Outsider fällt zudem auf, dass Schwarz (wie Black im Original) groß geschrieben wird, weiß klein und kursiv und amerika klein. Könntest du erklären, warum?

Dass wir amerika klein schreiben, haben wir von Audre Lorde übernommen. Sie möchte damit den Hegemonieanspruch der USA kritisieren.

Schwarz wird schon seit langem nicht nur im Englischen groß geschrieben. Es hat sich auch in Deutschland zumindest in den Schwarzen oder BIPOC Communitys durchgesetzt, weil damit keine Hautfarbe gemeint ist, sondern eine politische Positionierung.

Bei weiß bin ich schon vor einiger Zeit dazu übergegangen, es in Bezug auf Personen im sozio-politischen Kontext klein und kursiv zu schreiben, weil weiß in unserer Gesellschaft der Referenzrahmen für alles ist. weiß ist das Normale und alles andere muss definiert und bezeichnet werden. Das ist auch ein gewisser Hegemonieanspruch, was mit der Schreibweise zum Ausdruck gebracht werden soll.

Wenn ich das richtig sehe, ist Sister Outsider eine Neuübersetung. Gibt es bestimmte Auslöser dafür, dass es Zeit für eine Neuübersetzung wird? Was waren die besonderen Herausforderungen im Umgang mit diesem Text?

Im Fall von Sister Outsider hat sich die Neuübersetzung angeboten, weil sich die deutsche Sprache in den letzten 30 Jahren stark verändert hat – ich weiß gar nicht, wie viele Rechtschreibreformen ich schon miterlebt habe. Aber auch das, was wir gerade besprochen haben, hat sich verändert. Bestimmte Begrifflichkeiten waren den Übersetzer*innen, aber auch den Betroffenen vor einigen Jahren noch gar nicht so bewusst. Ich finde die frühere Übersetzung nicht schlecht, aber sie ist einfach nicht mehr zeitgemäß, z.B. wurde noch von Farbigen gesprochen, das N-Wort kam vor und an Gendern hat noch niemand gedacht. Außerdem merkt man bei der Arbeit an einem Text, dass er immer noch besser werden kann. Das fällt mir bei eigenen Publikationen auch oft auf, sobald sie gedruckt sind. Deshalb war bei Sister Outsider eine Neuübersetzung überfällig und bei Buchi Emecheta ist es ganz ähnlich.

Du hast schon mehrfach mit anderen Übersetzer*innen zusammengearbeitet, z.B. hast du Sister Outsider mit Eva Bonné übersetzt und den Lyrikband Was wir mit uns tragen von Amanda Gorman mit Daniela Seel. Wie sieht so eine Zusammenarbeit aus? Welche Herausforderungen bringt es mit sich, in einem Team zu arbeiten? Was ist bereichernd?

Die Zusammenarbeit war unterschiedlich, da ich mit verschiedenen Personen gearbeitet habe. Eva und ich kannten uns vorher nicht und jetzt sind wir befreundet, aber wir haben viel diskutiert und wir haben uns auch einmal gestritten. Wir waren nicht immer einer Meinung. Besonders über Begriffe diskutieren wir auch heute noch. Vor ein paar Tagen habe ich Eva angerufen, weil ich wie gesagt mit der Übersetzung von diesem Roman Memphis kämpfe und ihre Meinung hören wollte. Ich konnte Eva auch mit einem von ihren Projekten helfen.

Bei A Burst of Light waren wir zu dritt [Eva Bonné, Mirjam Nuenning und ich] und wir haben den Text unter uns aufgeteilt und dann eine Art Vorlektorat gemacht. Das hat prima geklappt. 

Die Zusammenarbeit verläuft immer unterschiedlich, aber ich habe bisher nur gute Erfahrungen gemacht. Und bei den Projekten, über denen ich allein brüte, habe ich mir schon öfter gewünscht, dass ich jemanden zum Diskutieren hätte.

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