Von Luanda und Maputo nach Ost-Berlin: Erinnerungen afrikanischer Werktätiger an die DDR

Foto des Buchs Von Luanda und Maputo nach Ost-Berlin: Afrikanische Werktätige in Ost-Berlin von Marcia C. Schenck

Von Luanda und Maputo nach Ost-Berlin: Erinnerungen afrikanischer Werktätiger an die DDR

An einem warmen Wintermorgen im August 2011 schlenderte ich durch das Zentrum der mosambikanischen Hauptstadt Maputo, das auch als „Betonstadt“ bekannt ist. Unweit des Arbeitsministeriums an der Avenida 24 de Julho hörte ich plötzlich eine Stimme: „Wie geht es dir? Kommst du aus Deutschland?“ In der Überraschung, hier meine Muttersprache zu vernehmen, drehte ich mich um. Der Mann, der mich eben angesprochen hatte, war etwas kleiner als ich, wohl Mitte 50, und trug Jeans und ein T-Shirt. Er sah also ganz und gar nicht ungewöhnlich aus. Durchaus ungewöhnlich war aber, was er mir kurz darauf erzählen sollte. Denn das Gespräch, das sich nun entspann, eröffnete mir eine neue Welt, die der Madjerman. Die Madjerman waren Arbeitsmigrant*innen, die aus dem erst wenige Jahre zuvor unabhängig gewordenen Mosambik in die Deutsche Demokratische Republik kamen, um dort als „ausländische Werktätige“, wie es in der damaligen Amtssprache hieß, in den Fabriken des Landes zu arbeiten. Aus ihrer Geschichte lässt sich ungemein viel lernen: über Mosambik wie über die DDR, über das Gedächtnis der Menschen und über ihre unendliche Widerstands- und Anpassungsfähigkeit.

Der Mann, der mich mitten in einer Großstadt im südlichen Afrika in fließendem Deutsch angesprochen hatte, hieß João (Name geändert). Er sah mich, sah Hautfarbe, Kleidung und Geschlecht und dachte sich, dass es schön wäre, mit einer jungen Frau aus Deutschland aus dem Nähkästchen zu plaudern und mir den schweren Stand der Madjerman näherzubringen. Diese Impulsentscheidung führte zu einem Gespräch, mit dem sich vieles für mich ändern sollte, denn ohne es zu wissen hatte João an jenem Morgen die Saat für Von Luanda und Maputo nach Ost-Berlin. Erinnerungen afrikanischer Werktätiger an die DDR gelegt.

Leser*innen, die mit den Madjerman noch nicht vertraut sind, sei ihre Geschichte hier in aller Kürze und in möglichst allgemeinen Begriffen zusammengefasst. Zwischen 1979 und 1990 migrierten etwa 21 000 Mosambikaner*innen und höchstens 2 500 Angolaner*innen in die DDR. Dort, so der Gedanke, würden sie einerseits den Arbeitskräftemangel lindern, andererseits aber auch eine Aus- oder Weiterbildung, die sie in ihren Heimatländern würden anwenden können, erhalten. Dies wiederum war nicht zuletzt relevant im Kontext von in der DDR geleiteten Vorhaben in Mosambik. Neben der beruflichen Weiterbildung würde man ihnen sozialistische Ideale vermitteln. Diese Arbeitskräfte sollten nichts Geringeres als die Vorhut des sozialistischen „neuen Menschen“ in Afrika bilden.

Die Absicht war also, dass die nunmehr ausgebildeten Arbeitsmigrant*innen nach Afrika zurückkehren und ihre in Europa erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten dort anwenden sollten, um in ihren nun politisch unabhängigen Herkunftsländern die beginnende Industrialisierung voranzubringen. In Wirklichkeit kam es leider anders. Die Qualität der Ausbildung, die die ausländischen Arbeitskräfte erhielten, blieb hinter den Erwartungen zurück; umgekehrt gab es zu Hause kaum Betriebe, in denen ihre Qualifikationen und Erfahrungen gefragt gewesen wären.

Mit den Transformationsprozessen in der DDR ab 1989/90 kam auch das Programm zur Arbeitsmigration zu einem unvorhergesehenen Ende. Die große Mehrheit der zum Zeitpunkt der friedlichen Revolution in der DDR verbliebenen Angolaner*innen und Mosambikaner*innen kehrte nach Hause zurück. Dort warteten sie meist vergeblich auf die Auszahlung des mit ihren Regierungen vereinbarten einbehaltenen Lohnanteils. Für die meisten von ihnen war die Heimkehr letztlich ein traumatischer Vorgang, der von Armut und enttäuschten Hoffnungen geprägt war. In Mosambik gab man den Rückkehrern, die sich sichtbar für ihre Belange einsetzten, den nicht immer schmeichelhaft gemeinten Beinamen Madjerman.

Im Januar 2014 reiste ich erneut nach Mosambik, diesmal mit einem konkreten Vorhaben. In Interviews sammelte ich nun systematisch die Erinnerungen ehemaliger Arbeiter*innen, Studierender und Schüler*innen, die im Rahmen staatlich organisierter Migrationsprojekte in der DDR gelebt hatten. Meine eigene Identität als Deutsche öffnete mir hierbei viele Türen und brachte mich, wie schon mit João, mit vielen Menschen in Angola und Mosambik ins Gespräch. Viele genossen die Gelegenheit, ihre Geschichten aus längst vergangener Zeit teilen zu können, und waren stolz auf ihre Zeit im Ausland. Dass ich aus Deutschland kam, scheint ihnen ein zusätzlicher Ansporn gewesen zu sein – etwa, indem ich sie auf die eine oder andere Weise an eine frühere deutsche Kollegin oder Freundin erinnerte. Oft glaubten meine Interviewpartner*innen, sie könnten mich einfach „lesen“, da sie mit der deutschen Denkweise besonders vertraut seien, und wir teilten in der Tat gewisse kulturelle Gepflogenheiten, wie etwa einen pünktlichen Beginn von Interviews. Was aber in Ostdeutschland für meine Interviewpartner*innen von großer Wichtigkeit war, nämlich, dass ich in Westdeutschland geboren wurde, auch wenn ich keine Erinnerungen mehr an ein geteiltes Deutschland habe, das spielte weder in Angola noch in Mosambik eine Rolle. Die Unterschiede zwischen Ost und West in meinem Heimatland schienen aus afrikanischer Perspektive kaum von Belang zu sein.

Während die meisten von mir interviewten ehemaligen Vertragsarbeiter*innen einen für alle Deutschen einheitlichen Erfahrungshorizont voraussetzten, gingen viele Ostdeutsche davon aus, dass ich als Vertreterin der im Kalten Krieg „siegreichen“ Seite ebendies tun würde: nämlich Geschichte aus Sicht der Sieger zu schreiben.  Ich hoffe, dass mein Buch Von Luanda und Maputo nach Ost-Berlin: Erinnerungen Afrikanischer Werktätiger an die DDR diese Erwartungen enttäuscht.

In dem Buch beschäftige ich mich mit der Frage, wie sich Arbeitsmigrant*innen selbst an ihre Migrationserfahrung erinnern und wie sie sie geprägt hat. Entstanden ist eine Art Flickenteppich, dessen Muster unterschiedliche Aspekte des Lebens in der DDR und im südlichen Afrika abbilden.

Marcia C. Schencks Buch Von Luanda und Maputo nach Ost-Berlin: Erinnerungen Afrikanischer Werktätiger an die DDR ist 2025 in deutscher Übersetzung von Joe Paul Kroll im Ch. Links Verlag erschienen. poco.lit. durfte an dieser Stelle einen Auszug aus der Einleitung veröffentlichen.

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