Authentisch eingewandertes Essen

book cover of Pallavi Aiyar's Punjabi Parmesan

Authentisch eingewandertes Essen

[Auszug]

Angeblich soll ja eine Auszeit vom Nachrichten- und Social-Media-Konsum dabei helfen, ein Burnout von der Verarbeitung verschiedenster politischer Entwicklungen (d.h. dem brennenden Haufen Müll) zu verhindern – doch die habe ich mir noch nicht genommen. Und so stieß ich in der weiten digitalen Landschaft, die entweder überwuchert und dornig oder brennend und rau wie Halsschmerzen ist, auf eine Werbung, die erneut online die Runde gemacht hat.

2017 machte Edeka, Deutschlands größte Supermarktkette, einen Werbeclip, für den alle nach Deutschland importierten Produkte aus einem ihrer Läden entfernt wurden. Die Reaktionen der im Video gezeigten Kund*innen variierten zwischen verwirrt und wütend, dass sie statt ihres üblichen Tees, Kaffees oder ihrer üblichen Schokolade weite, leere Reihen vorfanden, die mit bunten Plakaten mit antirassistischen Slogans wie „wir wären ärmer ohne Vielfalt“ oder: „So leer ist dieses Regal ohne Ausländer*innen“ versehen waren.  

Die kalte Dusche, die die Kund*innen beim Gang durch einen beinahe leeren Supermarkt erhielten, sollte aufzeigen, dass es Zeit sein wird, ihrer täglichen Quinoa-Bowl mit Avocado und Olivenöl Lebewohl zu sagen, falls einwanderungsfeindliche Rhetorik politische Macht erhält. Doch es waren nicht nur die offensichtlich nicht deutschen Produkte, die fehlten. Auch die meisten Aufschnitte, die häufig auf deutschen Frühstückstischen vorzufinden sind, waren weg, während eine erstaunliche Anzahl an Fertigprodukten wie fertige Bratkartoffeln, Schlagsahne und vakuumverpackte Spätzle unberührt blieb. Die Tatsache, dass die (weißen) deutschen Kund*innen es offensichtlich traurig fanden, dass die meisten ihrer üblichen Produkte nicht verfügbar waren, widerlegt den Mythos einer vermeintlich „authentisch deutschen“ Ernährung. Allerdings gab es glücklicherweise immer noch jede Menge Bier.   

Obwohl Edeka eine große Kette ist, die zweifelsohne in der Werbung gutes Marketing sah, und es Fehler in dem allzu einfachen Ansatz gibt, würde ich nicht so weit gehen und die Werbung auf denselben Haufen schmeißen wie, sagen wir mal, die durch und durch peinliche Pepsi-Werbung mit Kendall Jenner, die uns vorgaukeln will, dass alles, was wir zur Beendigung der gezielten Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen brauchen ein weißes Supermodel ist, dass einem Polizeibeamten ein Süßgetränk anbietet… Das Konzept der Werbung ist einfach und soll zu Gesprächen anregen und erfüllt damit die Voraussetzungen, um fleißig repostet zu werden; wobei durchaus darüber gestritten werden kann, ob das nun etwas Gutes oder Schlechtes ist. Ob beabsichtigt oder nicht, zeigte die Werbung ebenso auf, wie stark Nordeuropa (und andere Teile der industrialisierten Welt) losgelöst ist von Lebensmitteln und woher diese stammen.

Diese Art Luxus, die uns erlaubt, das ganze Jahr über Bananen, Avocados und Aufschnitt in Form von Teddybärgesichtern zu essen, ist das Resultat einer Nachfrage, die zulasten von Mensch, Tier und Umwelt geht. Natürlich ist der Angstfaktor in anderen Bereichen, zum Beispiel der Gesundheitsversorgung, viel höher. Und trotzdem ist dies für mich der Punkt, an dem die Werbung zu kurz greift: Sie reduziert Vielfalt auf Produkte.

Fairerweise muss gesagt werden, dass die Kund*innen, die in der Edeka-Werbung interviewt wurden, sich für ein diverses und inklusives Deutschland aussprachen. Dennoch wurde durch das Entfernen der Produkte der Fokus auf mögliche Störungen unseres komfortablen Lebensstils gelegt. Okay, Feta und Olivenöl werden nicht in Deutschland produziert, also sind sie weg. Doch was denkt ihr denn, wer den Rucola, die Tomaten und die Paprika pflücken, die als deutsche Produkte markiert werden? Denkt doch auch an die Arbeit von Migrant*innen die innerhalb „eures“ Landes existiert – ich spreche im Rahmen dieses Artikels vor allem von den USA und Deutschland, aber dies betrifft jedes Land, das Migrant*innen über verschiedene Produktionszweige hinweg als billige Arbeitskräfte benutzt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Migrant*innen das Rückgrat der Lebensmittelindustrie sind und wenn die Werbung das berücksichtigt hätte, wären noch mehr Regale leer geblieben.

Als ich nach zwei Jahren in Korea nach Deutschland zog, schossen meine Cholesterinwerte wahrscheinlich wegen der Unmengen an Käse, die ich konsumierte, alarmierend schnell nach oben. Womöglich ist es heute anders, aber zu der Zeit, in der ich in Korea gelebt hatte, war es schwer und teuer Käse zu kaufen, es sei denn, es ging um Schmelz- oder Scheibenkäse. Als ich also hierherkam und entdeckte, dass man für nur ein paar Euros frische Mozzarellakugeln und ganze Ecken Parmigiano Reggiano kaufen konnte, kaufte ich so viel Käse, wie ich tragen konnte – und seit der Inflation habe ich mein Lebensmittelbudget so angepasst, dass ich meinen Käsekonsum aufrechterhalten kann.

Naiverweise habe ich keinen Gedanken daran verschwendet, was hinter der angeblichen Authentizität steckt, die diese zwei ikonischen italienischen Produkte umgibt. Authentizität hat nicht denselben Stellenwert, wenn dir klar wird, wessen Arbeit für das Produkt verantwortlich ist. Es ist beschämend, wenn man bedenkt, dass ich aus Kalifornien komme, wo es mittlerweile zum Alltag gehört, Videos von Wanderarbeiter*innen zu sehen, die sich über Artischocken-, Erdbeer- und Spinatfelder beugen und mit improvisiertem Mund- und Nasenschutz Lebensmittel für unsere Smoothies ernten, während das Land hinter ihnen buchstäblich in Flammen steht und die Luft in ein giftiges Orange taucht. Ich ließ meine Annahmen und die vermeintliche Idylle der Mozzarella-Verpackung mit einem Bild eines Caprese-Salates die Wahrheit verschleiern. Aber echt, warum ist auf jeder Mozzarella-Verpackung das Bild eines Caprese-Salates?

In ihrem Buch Punjabi Parmesan: Dispatches from a Europe in Crisis (zu Deutsch: Punjabi Parmesan: Berichte über ein Europa in der Krise; ohne deutsche Übersetzung) reflektiert die Autorin und Journalistin Pallavi Aiyar Europa durch die Augen einer südasiatischen Frau, deren Vorstellung eines „hübschen, stabilen, angenehmen“ Europa, in dem sie ihre Familie aufziehen möchte, schnell zerschlagen wird. Wie der Titel nahelegt, war Aiyars Fokus, Punjabi-Arbeiter*innen in ganz Europa, von denen es eine erstaunlich hohe Anzahl gibt, zu interviewen. Aufgrund der Interviews in verschiedenen Industriezweigen kommt sie zum Schluss: „Als ich den Kontinent bereiste, wurde mir klar, was für eine durcheinander gewürfelte Welt die Einwanderung geschaffen hat“.

Wie der Titel ebenfalls nahelegt, gäbe es keinen echt italienischen Käse wie Parmesan oder Mozzarella ohne die Sikh-Pubjabis aus dem Norden Indiens. Wanderarbeiter*innen der Sikh-Community wird die Rettung der Käseindustrie zugeschrieben. Als Teil einer blühenden Diaspora machen Sikhs rund 0,3 % der gesamten Bevölkerung aus, obwohl die tatsächliche Zahl durch einer hohen Anzahl an Arbeiter*innen ohne Papiere deutlich höher sein dürfte.

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