
Ashok Ferry über das Schreiben über Sri Lanka und sein jüngeres Ich
„Diese Gesellschaft ist zersplittert – das ist ein Produkt des Kolonialismus, aber auch einfach eine Tatsache der Paradiesinsel.“
Ashok Ferry ist Sri Lanker und Autor von sieben Romanen, darunter „The Unmarriageable Man“ (zu Deutsch: „Der unverheiratbare Mann“; ohne deutsche Übersetzung), der 2021 mit dem Gratiaen-Preis, einer der höchsten literarischen Auszeichnungen Sri Lankas, ausgezeichnet wurde. Er lebt in Colombo und verbrachte seine Kindheit und Jugend in Sri Lanka, Ostafrika und im Vereinigten Königreich.
Ein zentrales Thema in deinem Werk ist Trauer mit all ihren Facetten. In The Unmarriageable Man trauert Sanjay um seinen Vater, seine Beziehung, aber auch um sein Leben in Sri Lanka mit seiner Familie. Seine Rückkehr nach Sri Lanka scheint er unmittelbar nach seiner Ankunft in London zu planen – was komplett entgegen der gängigen Vorstellung des „Amerikanischen Traums“ (oder in diesem Falle des „Britischen Traums“) läuft. Was waren deine Überlegungen dabei?
Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Viele Menschen wollen um jeden Preis in den Westen ziehen. Ich bin bis zum Alter von acht Jahren in Sri Lanka aufgewachsen, danach bis zum Alter von elf Jahren in Ostafrika und anschließend in England. Ich hatte mein Heimatland also schon in jungen Jahren verlassen und wollte unbedingt zurückkehren, aber ich wusste auch, dass ich für ein Leben in Sri Lanka viel Geld benötigen würde. Ich sah, dass die sri-lankische Regierung im Begriff war, zu stürzen, und ich wusste, dass ich in England arbeiten und Geld verdienen muss. Aber ich wusste auch, dass ich mit dreißig zurückkehren würde – egal, ob ich zu diesem Zeitpunkt genug Geld hätte oder nicht. Was aber tatsächlich geschah, war, dass ich beinahe unbemerkt dreißig und immer wie älter wurde, ausreichend Geld verdiente, und trotzdem etwas länger blieb, als ich es mir vorgenommen hatte. All meine Bücher sind autobiographisch – Schreiben ist für mich wie das Auskotzen von zu viel Alkohol. Ich habe nie geplant, Schriftsteller zu werden; es kam einfach aus mir heraus.
Sanjay findet heraus, dass er halb Brite ist, aber sein „britisch-sein“ scheint sich nicht über seinen Pass zu erstrecken; als er in London ankommt, verbündet er sich vor allem mit Sri Lanker*innen ohne Aufenthaltstitel und wird vorwiegend als Außenseiter wahrgenommen.
Genau, sein „britisch-sein“ ist irrelevant. Ich wollte Sanjay etwas britischer gestalten, als ich es selbst bin – denn ich bin kein britischer Staatsbürger. Doch Sanjay ist auch komplett anders als jene Sri Lanker*innen, die in den Westen ziehen und nur zu gerne jegliche Zugehörigkeit zu ihrem Heimatland wegwerfen – nur, damit sich ihr Heimatland dann später wieder langsam zurück in ihr Leben schleicht. Hier haben soeben Wahlen stattgefunden und Colombo ist voll von älteren Sri Lanker*innen, die ihre Seele verkauft haben, um in den Westen zu gehen und nun zurückgekehrt sind und nicht wissen, was sie tun sollen. Ich möchte ihnen am liebsten auf die Schulter tippen und sagen: „Du hast es falsch gemacht, du hättest dann zurückkommen sollen, als du noch klar im Kopf warst“. Aber im Nachhinein ist man halt immer schlauer – und es sagt ja auch viel über die westlichen Länder aus, dass sie es schaffen, diesen Traum erfolgreich zu verkaufen. Ich wollte aber eine andere Seite aufzeigen: Ein Sri Lanker, der nur aus Duldung in den Westen gegangen ist.
Das ist eine gute Überleitung zur Person Janak – ein Sri Lanker, der so viel von Sri Lanka verkörpert, aber wegen seiner Queerness nicht zurückkehren kann. Was waren deine Überlegungen hierzu?
Genau, es gibt viele Sri Lanker*innen, die aus vielerlei Gründen nicht zurückkommen können, unter anderem wegen „ungeeigneten Ehen“; dazu gehört bereits ein junger Mann und eine wesentlich ältere Frau! Sri Lanka ist immer noch ein sehr traditionelles Land. Es gibt viele Sri Lanker*innen im Westen, die nicht zurückkommen können, deren sri-lankisch-Sein sie aber nie verlassen wird. Ich habe Enkel*innen gesehen, die zurückgekommen sind und gesagt haben: „Oh mein Gott, das ist, wo ich hingehöre“. Das Traurige ist aber, dass das Leben im Westen dir das Leben hier verderben kann. Du kommst nicht länger mit der Hitze, den Mücken und dem „mañana mañana“-Lebensstil zurecht. Du gehst in den Westen und hast Erfolg – ich sage immer, dass alles, was ein*e Sri Lanker*in braucht, um im Westen Erfolg zu haben, darin besteht, in ein Flugzeug zu steigen! – du verdienst Geld, du kommst zurück, aber in vielerlei Hinsicht kann man hier nicht länger als ein paar Monate am Stück überleben. Als ich nach Sri Lanka zurückkehrte, tat ich das sozusagen als Ausländer. Ich habe 17 Jahre gebraucht, um zu lernen, wie ein Sri Lanker zu denken. Zurückzukehren war für mich eine intellektuelle Entscheidung, keine emotionale – ich entschied mich dafür, dass dies der Ort für mich sei. Als ich zurückkehrte, befanden wir uns gerade in zwei Kriegen. Im ersten Jahr nach meiner Rückkehr wurde ich immer wieder nach meinen Gründen dafür gefragt, als sei ich ein Verrückter! Ich wollte ein Teil dieses Landes sein, aber Ausländer*innen wird hier oft mit Misstrauen begegnet. Die Gesellschaft in Sri Lanka will dich nicht wirklich – die Überlegung dabei ist: „Wer bist du, dass du mir als Ausländer*in sagst, wie ich das machen soll!“ Das ist eine Art poetischer Gerechtigkeit.
Sri Lanka ist ein post-britischer Kolonialstaat. Es gibt ein Gefühl der Ungerechtigkeit, wenn Gemeinschaften von ihrem Heimatland getrennt werden, nicht wahr?
Nach 450 Jahren des Kolonialismus haben wir uns diesen Traum zu eigen gemacht. Viele meiner Freund*innen, zum Beispiel Menschen aus Irland, verabscheuen die Brit*innen – und das ist gut so! Wir saßen zum Beispiel in der Kneipe und haben die Brit*innen verflucht, aber wir alle haben unser Geld in Großbritannien verdient. Keine*r zwang uns dazu, nach London zu gehen. Dies ist eines der schrecklichen Nebenprodukte des Kolonialismus – er bringt uns bei, den Kolonialherren zu verehren und dass das Leben in der imperialen Hauptstadt besser sei als das im „Sklavenstaat“. Dabei ist das Leben hier in vielerlei Hinsicht besser! Aber versuche das mal den Sri Lanker*innen in London zu erzählen, sie werden dich für verrückt halten. Wenn du im Westen lebst, glaubst du gerne an die Vorstellung von „Drittwelt-Ländern“ mit Scharfschützen auf den Hausdächern – was bei einer Wahlveranstaltung von Trump viel wahrscheinlicher ist als hier.
Bevor wir zum Schluss kommen, möchte ich noch eine Frage zur Sprache stellen, was in Sri Lanka sehr aufrührerisch sein kann. Es gab so viel sprachbasierte Verfolgung, und ich wollte fragen, wie sich das auf dein Schreiben und auf die englischsprachige Literaturlandschaft ausgewirkt hat?
Ich könnte mich täuschen, aber ich glaube, Sri Lanka ist das am meiste kolonialisierte Land der Welt. 450 Jahre zwischen den Portugies*innen, Niederländer*innen und den Engländer*innen. Wir haben viele kolonialistische Ideologien, hauptsächlich europäische, durchlebt, und daher ist es für uns schwer zu glauben, dass wir eine eigene Identität haben. Wir haben Regime durchlebt, die Identitäten erfunden haben, so wie der buddhistisch-singhalesische Nationalismus – was passiert, wenn du ein*e singhalesische*r Katholik*in, ein*e tamilische*r Hindu oder ein*e christliche*r Burgher*in bist? Sogar in Indien gibt es eine Homogenität, die uns fern ist. Wir sind stolz darauf, dass unsere Gesellschaft wie ein Mosaik ist, aber das ergibt nur Sinn, wenn du es von weitem anschaust, aber nicht, wenn du direkt davorstehst.
Also, ja, Sprache ist explosiv hier. Wenn du auf Englisch schreibst, kann es schon sein, dass du als Feind wahrgenommen wirst. Sri Lanker*innen lesen meist in einer der drei Sprachen Sri Lankas und selten in einer der anderen. Mein erstes Buch, Colpetty People, ist auf Englisch erschienen und ein Bestseller in Sri Lanka, aber es konnte immer noch kein*e Übersetzer*in dafür gefunden werden. Es ist verrückt, dass ein Bestseller nicht in eines seiner Landessprachen übersetzt wird. Dies liegt daran, dass es eine Komödie und daher schwer zu übersetzen ist, aber auch, dass es hier nur wenige wirklich bilinguale Menschen gibt. Menschen haben sich von der kolonialistischen Sprache abgewandt, aber wir brauchen Englisch und schämen uns zu sehr, zuzugeben, dass wir es nicht gut sprechen. Es ist eine Komödie der Fehler, aber es kommt noch schlimmer: Singhalesisch und tamilisch sind diglossisch, was bedeutet, dass sie anders geschrieben als gesprochen werden. Geschriebenes Singhalesisch ist vornehm und Sanskrit wunderschön; doch es hat überhaupt keinen Nutzen. Alle in Colombo sprechen das verpönte „Küchen-Singhalesisch“. Und was werden meine Freund*innen dafür verurteilt, wenn sie in „Straßen-Singhalesisch“ schreiben. Die Intelligentsia denkt, dass sie dadurch die Sprache missachten. Aber wenn du im „richtigen“ Singhalesisch schreibst, ist es nicht zugänglich. Wir sind einfach darin gefangen. Es ändert sich schon, aber sehr langsam.
In vielerlei Hinsicht bin ich froh, dass meine Bücher nicht übersetzt werden. Ich frage mich zum Beispiel, wie Sri Lanker*innen auf mein satirisches Werk blicken würden – Englischer Humor ist brutaler als singhalesischer oder tamilischer Humor. Es ist ein Minenfeld und du kannst auf Nummer sicher gehen, aber dann wird es keine*r lesen. Diese Gesellschaft ist zersplittert – das ist ein Produkt des Kolonialismus, aber auch einfach eine Tatsache der Paradiesinsel. Doch darin liegt die Schönheit. Dem Ganzen einen Sinn zu geben, ist zwar eine Herkules-Aufgabe, aber immer interessant.