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Ingwer auf Holztisch / Ginger on wooden table

Probier’s mit Ingwer

Ingwertee ist für Deutsche in etwa das, was der Glasreiniger der Marke Windex für den Vater in My Big Fat Greek Wedding – Hochzeit auf Griechisch ist. Meines Wissens wurde Ingwer noch nicht gegen Warzen und Pickel verwendet, aber angesichts seiner vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten in der Geschichte ist das ein ziemlich fairer Vergleich.

Gesundheitlich fing das Jahr 2023 für mich nicht so gut an. Nachdem ich gegen die dreifache Dröhnung gleichzeitig gekämpft hatte – Grippe, Erkältung und Halsschmerzen –, genoss ich eine kurze Phase mit freien Atemwegen, bevor mich der Heuschnupfen überkam. Es war zwischenzeitlich so schlimm, dass die Leute mich nur alle zehn Nieser besuchen durften. Ernsthaft, wenn Rotz eine Währung wäre, wäre ich mittlerweile so reich wie Bezos. Erst jetzt, da ich diesen Text schreibe, scheint es langsam bergauf zu gehen. Aber dann erinnert mich ein Morgen, der mit einer verstopften, laufenden Nase und tränenden Augen beginnt, wieder daran, dass ich noch nicht ganz geschafft habe. „Probier‘s mit Ingwertee“, war der Satz, den meine Schüler*innen wie einen beruhigenden gregorianischen Gesang ständig wiederholten, während meine Kehle und mein Magen jedes Mal protestierend pochten, wenn ich versuchte, meine störenden Niesanfälle zu unterdrücken.

Normalerweise nehme ich keine Medikamente gegen Erkältungen und Allergien, aber dieses Jahr hat meine Entschlossenheit hart auf die Probe gestellt. Wenn ich in Deutschland in eine Apotheke gehe, genieße ich den unverkennbar würzigen Geruch dessen, was ich für Kräutertinkturen halte. Natürlich holen Leute hier wie überall ihre Rezepte und Schmerzmittel ab, aber es gibt auch Kirschkernkissen, konzentrierte Fruchtsäfte und sanfte Kräuterpräparate.

Mein Problem – ich nenne es mal so – war, dass es nicht die eine gesundmachende Tablette gab. Deutschland ist meiner Erfahrung nach einzigartig, in Bezug auf Medikamente für die weitverbreiteten, gewöhnlichen Erkrankungen. Die üblichen Erkältungsmittel sind hier nur als Ergänzung zu Suppe, Ingwertee und viel Ruhe gedacht.

Eine harte Realität ist jedoch, dass ich als Freiberuflerin nicht bezahlt werde, wenn ich nicht arbeite. Aber es gibt hier keine Schachteln mit so generischen Aufschriften wie „Erkältungsmedikament“ oder „Allergietabletten“, die ich rezeptfrei hätte kaufen können, um in wenigen Tagen wieder gesund zu werden.

Also habe ich meine lange Krankheitszeit damit verbracht, eine Kanne Ingwertee nach der nächsten zu kochen, mit Zimtstangen und Orangen für eine besonders starke Wirkung. Ich aß Gerichte, die so viel Knoblauch enthielten, dass eine Restaurantküche gut einen Monat damit zurecht gekommen wär. Ich trank würzige Brühen mit verschiedenen Chilisorten, so dass mir beim Luftholen wegen der Schärfe und meiner verstopften Nase ein wenig schwindlig wurden. Ingwertee – der unbedingt frisch sein muss – scheint ein beliebtes Mittel gegen viele Krankheiten zu sein: Erkältungen, Allergien, undefinierbarer Schnupfen, Halsschmerzen und Kopfschmerzen. Außerdem dient er der Hautpflege, der Stärkung des Immunsystems, usw.  

Ingwer stammt ursprünglich aus Südostasien und war Jahrtausende lang eins der wichtigsten Güter auf den großen Seehandelsrouten. Diese knubbelige Wurzel – deren letztes Stück wir oft so verschrumpeln lassen, dass es dem ähnelt, was (seien wir ehrlich) auf dem ungesaugten Boden unterm Sofa lauert – war einst ein seltenes und kostbares Gut.

Obwohl Ingwer heute vor allem mit kulinarischen Zwecken in Verbindung gebracht wird, wurde er in der Vergangenheit für weitaus mehr verwendet, für Parfüm, als Konservierungsmittel, für Zaubersprüche und für ihre Gegenmittel. Die Verwendung als Lebensmittel kam erst später, und man kann mit Sicherheit sagen, dass die meisten Haushalte Ingwer in der einen oder anderen Form vorrätig haben. Wenn ich mir rückblickend anschaue, was ich in der vergangenen Woche gekocht habe – was ich vor allem denjenigen empfehle, die gerade erst anfangen, zu kochen –, dann ist Ingwer komischerweise nichts, was ich regelmäßig verwende. Aber wenn er da ist, ist er da. Sein Geschmack hat sich unheimlich stark in unser sensorisches Archiv eingeprägt.

Wenn ich Sushi essen gehe, hebe ich den eingelegten Ingwer bis zum Schluss auf und esse ihn dann in gierigen Bissen. Im Sommer geht nichts über einen Dark n‘ Stormy mit einem guten Ingwerbier und im Winter gehören Lebkuchen und in Schokolade getauchte, kristallisierte Ingwerstücke einfach zu einem richtigen Dezember dazu. Ingwer hilft nicht, eine unausgewogene Geschmacksmischung auszugleichen, und er wird auch nicht einfach still und leise in der Masse der anderen Zutaten untergehen. Wenn er frisch ist, kündigt er sich in jedem Gericht heftig an und schwappt einem wie ein Ausbruch von würzigem, erdigem Saft über den Gaumen. Er alarmiert die Sinne, aber anders als ein Biss in eine Zimtstange oder ein Stück Chili.

Kichidi, Dal und sämiges Jook waren die Gerichte, die meine Mutter kochte, wenn wir krank waren. Es waren milde Geschmackserlebnisse mit seidiger Konsistenz, deren Zauber in den Ingwerscheiben oder -stäbchen obendrauf lag. Wir konnten sie einzeln runterlöffeln. Aber noch verlockender war es, alles zu verrühren, damit ein Bissen Ingwer die schmerzende Kehle ganz unerwartet mit Wärme durchfluteten konnte. Noch heute erfreue ich mich an dem kindlichen Vergnügen, mir vorzustellen, wie die Krankheitskeime kreischend protestieren, wenn sie unter den Wellen des Ingwersaftes schmelzen wie die böse Hexe des Westens.

Als Erwachsene ohne den Luxus, an Schultagen mit einem Stapel Bücher im Bett bleiben zu können, während mir jemand Essen bringt, musste ich mich wochenlang mit nichts anderem als meiner Entschlossenheit, Multivitamintabletten und teuren Ingwershots durchschlagen. Die besten, die ich finden konnte, waren aus biologischem Anbau und enthielten hauptsächlich Ingwer – ich weiß, das sollte offensichtlich sein, aber ein Blick auf die Inhaltsstoffe sagte in den meisten Fällen etwas anderes – und irgendeinen Fruchtsaft gegen den bitteren Geschmack und manchmal noch einen Spritzer Zitrone. Die Shots waren so lecker, dass ich mich davon abhalten musste, gleich fünf dieser winzigen Glasflaschen zu trinken. Ich weiß nicht, ob es schädlich wäre, aber ihr hoher Preis bremste mich.

Ich war verzweifelt und hoffte auf eine Art kurzfristigen kulinarischen Angriffsplan, mit dem ich endlich gegen die Standhaftigkeit dieser anstrengenden viralen Eindringlinge in meinem Körper ankommen konnte. Abgesehen von einigen Ausnahmen und einer Schwäche für knusprige Meersalzchips würde ich sagen, dass ich mich ziemlich gesund ernähre. Ich lege wert auf gute Lebensmittel, weil sie mir besser schmecken, und nicht, weil ich glaube, dass sich mich schöner oder besser machen würden. So sollte es meiner Meinung nach auch sein.

Da ich keine Lebensmittelwissenschaftlerin oder Ernährungsberaterin bin, endet jeder Versuch, genau zu analysieren und aufzuschlüsseln, wie die Bestandteile von etwas Gesundem mir helfen oder mich verändern, nur damit, dass ich meinem eigenen Körper die Schuld dafür gebe, dass er nicht das gewünschte Ergebnis erzielt. Es ist lächerlich, das zu tun, und doch kann sich mein Verstand nicht von den aufdringlichen Gedanken befreien, dass alles, was mit dem Altern, einer schlechten Fitness oder mit Krankheiten zu tun hat, mich betrifft, weil ich nicht die richtigen Dinge gegessen habe.

Ingwer ist eine Zutat, die auf einer immer länger werdenden Liste von Superfoods ganz oben steht – zusammen mit so ziemlich allen anderen Grundpfeilern der Küche, mit der ich aufgewachsen bin. Aber wenn etwas Superfood genannt wird, liegt es an einem selbst, wenn das Ergebnis nicht so ist, wie in der Werbung. Ingwer hat eine Menge heilender Eigenschaften. Unter anderem wirkt er entzündungshemmend, stärkt das Immunsystem, fördert die Verdauung und lindert Magenverstimmungen.

Die Werbung behauptet, Superfoods würden uns zu lebenslanger Gesundheit und Jugend verhelfen. Wenn irgendwer alt aussieht oder krank wird, dann ist diese Person selbst schuld, denn sie hat bestimmt keine vierzig Euro für eine Tüte getrocknetes Acai-Pulver ausgegeben. Es gibt Gesundheits- und Wellness-Influencer*innen auf TikTok, die löffelweise Ghee essen (eine indische Butterschmalzsorte), weil der pure Konsum angeblich gesundheitsfördernd sei. Ziehen wir hier die Grenze? Wenn die exotische Anziehungskraft von Superfoods dazu führt, dass Menschen buchstäblich Fettklumpen in sich hineinschaufeln, würde ich zumindest die Behauptung wagen, dass die Dinge außer Kontrolle geraten sind.

Der wahre Trend ist nicht die Verbreitung von Ghee-Shots, Matcha-Smoothies und Kurkuma-Lattes. Es sind die Nachrichten, die mal wieder berichten, dass die westliche Wissenschaft eine „neue“ nicht-westliche Zutat „entdeckt“ habe. Die Wissenschaft schreibt die bestehende Identität des Lebensmittels im Zusammenhang mit Gesundheit und Wellness um, wirft sie den kapitalistischen Wölfen zum Fraß vor und wünscht eine gute Besserung.

Der Begriff Superfood hat seinen Ursprung nicht in der Medizin. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in US-amerikanischen medizinischen Fachzeitschriften Studien über die gesundheitlichen Vorteile von Bananen veröffentlicht. Eine davon betonte, dass Bananen für Menschen, die an Zöliakie leiden, von Vorteil sind. (Heute weiß man, dass dies einfach darauf zurückzuführen ist, dass Bananen glutenfrei sind.) 

Die United Fruit Company (der Vorläufer von Chiquita) prägte den Begriff Superfood, als sie diese Studien nutzte, um ihre Bananen zu vermarkten. In den 1920er-Jahren ging die United Fruit Company noch einen Schritt weiter, indem sie Ärzt*innen beauftragte, öffentlich zu erklären, dass Babys regelmäßig Bananenbrei bekommen sollten.

Ungefähr zur gleichen Zeit begann die United Fruit Company auch mit der Vermarktung von Kreuzfahrten mit der „great white fleet“ – einen passenderen Namen hätten sie nicht finden können –, die Passagiere in die von der Firma kontrollierten Länder brachte. Jahrzehnte später ist die Banane ein so normaler Bestandteil unseres Lebens, dass es Neuheiten wie einen Behälter für eine einzelne Banane zum Mitnehmen gibt.

Da der Handel mit Ingwer und seine Verwendung auf der ganzen Welt verbreitet ist, scheint er in diesem Zusammenhang nicht die Gefahr mit sich zu bringen, eine spezifische kulturelle Identität auszulöschen. Allerdings habe ich schon häufig Kochsendungen gesehen, in denen Teilnehmer*innen einem Gericht etwas „asiatisches“ verleihen, indem sie Ingwer oder Sojasauce hinzufügen. Es ist ein problematisches Vergnügen, wie mit so einer Vereinfachung die Komplexität und die Vielseitigkeit eines Gerichts oder einer Zutat vernichtet wird.

Davon abgesehen müssten wir hungern, wenn wir ab sofort keine Lebensmittel mehr essen würden, die mit dem Kolonialismus zusammenhängen. Außerdem würden wir damit den vielfältigen Gerichten, die während der Kolonialherrschaft entstanden sind, einen Bärendienst erweisen. Auch wenn Generationen mit dem schmerzhaften Erbe zu kämpfen haben, ist Essen etwas, das überdauert, und zwar in voller Pracht.

Wer glaubt, Essen sei nicht politisch, sollte sich eines Besseren belehren lassen. Gerichte wie Bánh Mì aus Vietnam und Beignets nach Louisiana-Art aus dem Süden der USA sind beliebte Gerichte, die davon zeugen, dass aus Hässlichkeit und Gewalt immer noch etwas Schönes entstehen kann. Es ist ein Archiv, in dem man Geschichte durch Geschmack, Geruch, Textur und Erinnerung erlebt.

Das warme Wetter lässt lange auf sich warten, und jetzt, da ich endlich (größtenteils) wieder gesund bin, kann ich meine Lieblingssorte Ingwertee trinken, den ich nach dem Rezept meiner Großtante zubereite (zumindest ungefähr, da wir nicht an genaue Mengenangaben glauben).

Ich gebe zwei goldene Rosinen in eine Kanne mit kaltem Wasser (ich weiß nicht warum, aber egal wie groß die Kanne ist, die Anzahl der Rosinen änderte sich nie), ein paar Nelken, etwas Kardamom (aufgeschlagen, aber mit den Samen noch in der Schote), eine quer halbierte Zimtstange und mehrere bis viele herzhafte Scheiben ungeschälten Ingwers (den Ingwer ein wenig zerdrücken, damit der Saft austritt, bevor man ihn in die Kanne gibt).

Sobald das Wasser stark kocht, kommt ein Schwarzteebeutel nach Wahl hinein. Als ich aufwuchs, waren wir eine Tetley‘s-Familie, aber ich weiß, dass andere Familien Lipton oder PG Tips bevorzugen. Dann muss sofort die Hitze reduziert werden, damit der Tee aufhört zu kochen. Er darf nur noch köcheln, damit die zu extrahierenden Aromen nicht bitter werden. Zumindest wurde mir das so beigebracht.  

Der Tee kann je nach Wunsch eine andere Farbe haben. Ich neige dazu, ihn wegen des nächsten Schritts etwas dunkler werden zu lassen. Denn nun wird langsam die Milch oder eine Milch-Alternative nach Wahl hineingegossen. Das Verhältnis erfordert ein wenig Übung. Die Farbe des Tees sollte nicht vollständig von der Milch überlagert werden, aber der exakte Farbton des Getränks hängt auch mit der Grundfarbe der verwendeten Milch zusammen. Nach einer demütigen Entschuldigung an alle Tee- oder Masala-Chai-Enthusiast*innen, die ihn anders zubereiten, empfehle ich, einen Keks hinein zu tunken und ihn zu genießen.

(Ich habe übrigens aufgehört, Ingwerhots zu kaufen.)

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