Kulturelle Verpackungen: Ein Auszug aus „The Mourners“ (die Trauernden)
‘Teil 3: Der von Tränen, Whiskey und Shanti Shanti handelt‘
Wie jede respektable indische Familie benutzten die Shantis nicht die Küche im Haus, sondern kochten in der Garage.
Die Kinder hatten Freund*innen, deren Eltern Küchen mit Alleen von Arbeitsflächen aus Granit und schicken Holzschränken mit Gitter- oder Glasfronten und Innenbeleuchtung ausgestattet waren. Sie hatten aber auch ringförmige Abdrücke von Olivenöl-Flaschen, die einfach nicht wegzukriegen waren, und nicht enden wollende Pfade von Brotkrümeln.
Die Shantis haben eine riesige Summe Geld in den Umbau der Küche gesteckt, mit dem Ziel, sie so aussehen zu lassen, als ob keine*r je darin kochen würde. Es war eine Lebensweise, die ihre verwestlichten Kinder, je älter sie wurden, immer mehr verwunderte.
Kinder: “Warum können wir nicht einfach in der Küche kochen?“
Eltern: “Weil es eine schöne Küche ist und das auch so bleiben soll.“
Kinder: “Es ist eine Küche!“
Eltern: “Und wenn sie dreckig wird oder Feuer fängt? Sollen wir dann etwa wieder am Geldbaum rütteln gehen?“
Nach und nach wurden Herr Shanti und seine junge Frau davon überzeugt, dass die Küche für kleine Sachen wie Sandwiches oder Geburtstagskuchen aus einer Backmischung benutzt werden dürfte. Doch der Toaster musste über dem Abfluss ausgeschüttelt werden, damit die Krümel auch ja nicht auf die Arbeitsfläche kamen und die Backmischung musste, im Falle von Spritzern, in der Garage zusammengemischt werden.
Die Küche in der Garage war das eigentliche Herzstück ihres Zuhauses. Zugegebenermaßen sah sie zwar nicht so schön aus wie die Küche im Haus, aber das bedeutete, dass es in Ordnung war, wenn Tomaten aus dem Topf spritzten oder wenn von Kurkuma hellorange gefärbtes Öl auf den billigen Arbeitsflächen landete.
Zu Pujas oder anderen großen Familienfeiern brachten die Verwandten ihre eigenen tragbaren Kocher und Propangasflaschen mit. Die vom Boden bis zu der Decke reichenden Schränke waren mit übergroßen Töpfen und Schüsseln gefüllt, die groß genug waren, um sie als Planschbecken zu benutzen. Es gab auch Stapel zusätzlicher Schneidbretter und eine Schublade voll mit nicht zusammenpassenden Messern.
Klappstühle und Festtische wurden am Vorabend aufgestellt, damit jede Tante einen gemütlichen Platz hatte, um das Essen vorzubereiten, zu kochen und sich zu unterhalten und die kleinen Kinder bahnten sich Wege durch den Raum, um ihre Mutter zu finden und sich an sie zu klammern und sich bei ihr auszuweinen.
An diesem Morgen stand Shanti jedoch alleine in der Garagenküche, im Epizentrum einer Pfütze lauwarmen Tees. Ronamaat ist eine sehr private Zeremonie im engsten Kreis der Familie, was bedeutete, dass Dinge nicht mit dem üblichen Kraftakt der ganzen Familie verrichtet werden konnten. Daher war es vor allem an Shanti, für die mehr als siebzig Menschen zu kochen, die an diesem Tag ins Haus der Shantis kommen würden.
Shanti Shanti, die einzige Tochter der Shantis und Arun Shantis jüngere Schwester. An jedem ersten Schultag war es das Gleiche. Die Lehrer*innen kniffen die Augen zusammen und rümpften die Nase. Einige drehten sogar die Namensliste der Klasse auf den Kopf, während die anderen Schüler*innen im Hintergrund kicherten. Jedes Mal wollte sich Shanti in ein Loch verkriechen und sterben.
Als Shanti gerade auf die weiterführende Schule gekommen war, machte ein Mädchen namens Jasmin eine vulgäre Bleistiftzeichnung im Comicstil einer Frau in einem Krankenhausbett. Die Frau hatte gerade ein erbsengroßes Baby geboren, das übergroße Augen in der Form von Ping Pong-Bällen hatte. Statt ihres Erbsenbabys umklammerte die Frau eine seltsam gezeichnete Weinflasche mit zwei X, aus der sie trank, während Ärzt*innen und Pflegefachpersonen entgeistert zusahen. Unter dem Bild stand:
„War DeIne MaMa BETRUNKEN, als sie diCH bekAm?“
Um die Beschämung etwas abzuschwächen, gaben ihre Freund*innen ihr den Spitznamen S hoch zwei, aber das setzte sich nie durch. In der Universität wurde ihr Name zu etwas Exotischem und Geheimnisvollem. Obwohl es ihr dabei half, Menschen kennenzulernen und Sex zu haben, war es schwer, sich nicht zu nerven, wenn Menschen, sobald sie ihren Namen hörten, sich dazu verpflichtet fühlten, eine Yogapose zu verpfuschen oder sich mit zusammengepressten Händen zu verbeugen.
Als sie Lehrerin wurde, wussten ihre Kolleg*innen natürlich die Wahrheit, doch sie respektierten Shantis Wunsch, dies geheim zu halten. Sie schreckte dennoch oft mitten in der Nacht auf, nachdem einer ihrer Albträume Besitz über sie ergriffen hatte. Schüler*innen, die mit ihrem bösen Teenagerlachen brüllten, während sie ihren verfluchten Doppelnamen auf alle Wände der Schule sprühten und sich Ketchup-Tikkas auf die Stirn spritzten, bevor sie sie zwangen, zum Burning Man Festival zu gehen.
Während zweier wundervoller Jahre machte Shanti Pläne, ihren Namen zu ändern. In einen der Namen großartiger Frauen aus alten Texten wie Savitri oder Subhadra oder Kaikeyi. Dann musste ihr Vater ihr die Geschichte ihres Namens erzählen, womit er nicht nur ihre Pläne durchkreuzte, sondern sie auch mit einer Menge Schuldgefühle zurückließ.
In der Nacht, in der sie geboren wurde, tobte ein Sturm. Aber wenn man Herrn Shanti zuhört, war es eher ein gewaltiger Sturm mit blendend weißen Blitzen, die einen bösen, schwarz-violett brodelnden Himmel durchkreuzten.
Ein Donner dröhnte außerhalb des Krankenhauses. Einem erschöpften Herr Shanti wurde nahegelegt, sich zu erholen und etwas zu essen. Währenddessen kämpfte sich die junge Frau Shanti durch die sechsunddreißig Stunden Wehen.
Um Punkt 17:00 Uhr glitt Shanti in die Welt, geschmeidig, perfekt geformt und beinahe ohne zu weinen. Und in genau diesem Moment hörte der Sturm auf, was sogar die Pflegefachpersonen und die Ärzt*innen überrascht hochschauen ließ.
Die Augen der neugeborenen Shanti hatten die intensive, goldene Farbe von Cognac und sie staunte überrascht alle an, so als wäre sie Alice und gerade eben durch das Schlüsselloch ins Wunderland gerutscht.
Obwohl sie nie wirklich an Zeichen geglaubt hatte, erachtete die junge Frau Shanti diesen Moment der Geburt ihrer Tochter als einen großen Segen. Dies war kein gewöhnliches Mädchen. Nicht wenn ihre bloße Anwesenheit es geschafft hatte, die kraftvollen Mächte der Natur zu bändigen. Es konnte keinen anderen Namen als Shanti für sie geben.
“Mama! Das ist doch bereits ihr Name!“, hob der neunjährige Arun hervor.
“Es könnte auf dem Pass seltsam aussehen“, fügte Herr Shanti hinzu, als er das Baby in seine Arme nahm.
“Ooh”, gurrte er, als er in die schönen, klaren Augen seiner Tochter blickte.
Die junge Frau Shanti sah, wie die Entschlossenheit ihres Mannes schmolz und wusste, dass sie Recht hatte. Mit diesem Namen würde ihre Tochter allen, die das Privileg haben würden, sie kennen zu lernen, Licht und Frieden schenken.
Leider schien der Doppelnamen diesen Effekt zunichte zumachen. Prüfungen erzeugten bei ihr höllische Bauchkrämpfe. Doch weil die Angst vor der Schule sie dazu antrieb, mehr zu lernen, konnten sich ihre Eltern kaum beschweren.
Das Problem war, dass Shanti auch in jeglicher anderen Hinsicht zerbrach. Wenn sie im Restaurant selbst bestellen musste, brauchte es viel Überzeugungsarbeit ihrer Eltern („Setz dich gerade hin und sprich lauter!“), bevor sie mehr als ein Wispern hinausbrachte.
Wenn sie eine Gruppe von Verwandten begrüßen musste, schrumpfte ihr Körper zusammen und sie wurde nach vorne gestoßen. Shantis Eltern kochten gemeinsam vor Scham, während sie passiv und emotionslos wie eine Puppe für Umarmungen, Küsse und Wangenkniffen herumgereicht wurde. Insbesondere, wenn andere Kinder mit so viel Selbstvertrauen durch die Menschenansammlung hüpften.
Um sie stärker zu machen, schickten Shantis Eltern sie ins Taekwondo. Dies funktionierte vorerst. Mit den ersten drei Gürteln kam ein neues Selbstvertrauen. Während ihrer Prüfung zum grünen Gürtel ging dies jedoch alles bachabwärts. Direkt vor dem Sparring-Teil fiel Shanti ohnmächtig mit einem würdelosen Knall auf die Matte. Sie musste zuschauen, wie der Rest der Klasse den Test fertig absolvierte, während sie mit einem Eisbeutel auf ihrem Nacken gegen die Wand lehnte.
An diesem Abend entschieden ihre Eltern, dass wenn außerschulische Aktivitäten sie nicht retten konnten, sie sich wieder in Büchern vergraben sollte, und zwar so richtig. Ohnehin seien Hobbys das Todesurteil für den schulischen Erfolg. Und da sie anscheinend in keinem anderen Bereich punkten konnte, war das etwas, dass Shanti sich nicht leisten konnte.
So tauschte Shanti ihre Uniform und ihre Gürtel gegen Wissenschaftscamps nach der Schule, Mathematik-Sommerschulen, Spanisch- und Japanisch-Lektionen und zusätzliche Nachhilfestunden in der Bibliothek ein. Weil es so schien, dass sie sich in der Universität nicht selbst sabotierte oder drohte, durchzufallen (nicht, dass sie das je zugelassen hätten), kamen ihre Eltern zum Schluss, dass sie sie gerettet hatten.