Indigo Waves and Other Stories
Es ist ein Samstagmorgen und im Gropius Bau ist es noch sehr ruhig. Mich zieht es in die Ausstellung „Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora“ – eine Gruppenausstellung von Schriftstiller*innen, Künstler*innen, Filmschaffenden und Musiker*innen. Die Ausstellung besteht aus Videoinstallationen, Collagen, Gemälden und vielem mehr.
Die verschiedenen Medien nutzen den Indischen Ozean als gemeinsamen Ausgangspunkt – das Gewässer verbindet den afrikanischen und den asiatischen Kontinent. Die Werke der Ausstellung erkunden kulturelle, historische und sprachliche Aspekte dieser Region. Eine sprachliche Frage ist auch die erste, der ich begegne. Yvonne Adhiambo Owuor lässt die Protagonist*innen in ihrem Roman „The Dragonfly Sea“ dem Ozean viele Namen geben und dennoch scheint keiner passend. Keiner kann in seiner Fülle ausdrücken, wofür dieser Ozean in seinem Ganzen steht. Ziwa Kuh, Bahari Hindi oder Afrasian Sea sind nur einige der Varianten.
Ich lasse mich durch die Räume treiben und bleibe lange vor den Werken von Jennifer Tee stehen. Sie sind so farbenfroh, sehr detailreich. Ich entdecke immer wieder neue Facetten. Die in Amsterdam lebende Künstlerin erinnert mit den Tampan- und Palapei-Textillien (Schiffstücher) an ihre chinesisch-indonesischen Vorfahr*innen. Erst nach ein paar Momenten erkenne ich, dass es sich um eine Collage aus Blütenblättern handelt und sich so die Details und Muster ergeben. Die Blütenblätter stammen von Tulpen, die ihre Familiengeschichte reflektieren. Ihr Vater und Großvater haben eine enge Verbindung in die Niederlande und zur Schifffahrt. Ich gehe weiter und schaue mir die Videoinstallation von Clara Jo an. Der etwa 20-minütige Film zeichnet die Geschichte von Epidemien und den damit entstehenden Quarantäne- und Kolonialkrankenhäusern der Inseln der Region nach. Sie wählt dafür eine Perspektive, die den Menschen als Eindringling in die Natur darstellt und diese nachhaltig verändert und schädigt. Dann zieht es mich schon in den nächsten Raum, angezogen von der Musik, die „Hymne and Parabels“ von Adama Delphine Fawundu begleiten. Eine Mischung aus Videoaufnahmen und Skulpturen zeigen die Bedeutung von Wasser als Reinigungs- und Opferritual, die den Lebenszyklus der Menschen begleiten.
Am Ende verspüre ich ein kurzes Bedauern, dass ich bereits im letzten Raum dieser Ausstellung bin, der die wundervollen Textilbilder von Lavanya Mani zeigt. Sie greift die biblische Erzählung der Arche Noah auf und zeigt auf ihrem Bild Tiere, die vom Aussterben bedroht sind oder es in naher Zukunft sein werden, auf der Suche nach Sicherheit. Es ist eine kleine Ausstellung, die durch die Vielfalt der Medien, in denen sich die Künstler*innen ausdrücken sehr kurzweilig ist. Dennoch kann viel Zeit in dieser Ausstellung verbracht werden und ich kann auch nur empfehlen,, sich diese wirklich zu nehmen. Die Perspektiven, die einem geboten werden, sind so vielfältig, augenöffnend und klingen bei mir auch Wochen später noch immer nach.
Nach dieser eindrucksvollen Ausstellung begebe ich mich in die 1. Etage des Gropius Baus. Hier findet sich die Ausstellung „Rainbow Serpent (VERSION)“ von dem indigenen australischen Künstler Daniel Boyd. Nicht-indigene Personen in Australien verwenden den Begriff Rainbow Serpent für die unterschiedlichsten Schöpfungsgeschichten der First Nations. Durch das Hinzufügen des Wortes „Version“ verweist Boyd auf die Vielfalt und individuellen Geschichten der First Nations. Er stellt mit seinen Werken die Gründungsgeschichte Australiens und koloniale Wissensproduktion in Frage. Boyds Gemälde sind überzogen mit schwarzen Punkten, die er selbst Linsen nennt, die das Bild in Bewegung bringen. Die Ausstellung ist schwer in Worte zu fassen. Sie bietet einen Überblick seines bisherigen Schaffens und beinhaltet Gemälde, die Filmszenen aus dem Film „Meuterei auf Bounty“ zeigen, Widerstandbewegungen um Angela Davis, Queen Elisabeths Tanz mit dem Präsidenten Ghanas Kwame Nkrumah in 1956 und verdeutlichen dadurch die eurozentrische Perspektive von Erzählungen.
Auch hier habe ich mir viel Zeit genommen, die Ausstellungstexte haben vieles für mich nochmal ganz anders eingeordnet – mit der Geschichte der First Nations und der Geschichte Australiens generell war ich bisher nicht besonders vertraut.
Auch diese Ausstellung hallt nach. Zum einen fasziniert mich die Technik mit der Boyd seine Gemälde herstellt, zum anderen nutzt er sehr geschickt bekannte Motive, um diese dann komplett neu einzuordnen. Ich kann nur empfehlen sich ein paar Stunden Zeit zu nehmen, um sich auf beide Ausstellungen einzulassen. Daniel Boyd’s „Rainbow Serpents (VERSION)“ läuft noch bis zum 09.07.2023. Die Gruppenausstellung „Indigo Waves and Other Stories“ noch bis zum 13.08.2023 im Gropius Bau Berlin.