Caine Preis Shortlist 2020
Die Shortlist des AKO-Caine-Preises für afrikanische Literatur für das Jahr 2020 wurde gerade veröffentlicht. Die Auswahl umfasst fünf Kurzgeschichten, die alle auf der Caine Preis Website frei zugänglich sind. Es lohnt sich auf jeden Fall, sie anzuschauen. Als kleinen Vorgeschmack folgen hier kurze Rezensionen zu jeder Geschichte.
„The Neighbourhood Watch“ (Die Nachbarschaftswache) von Rémy Ngamije wurde im Johannesburg Review of Books (Band 3 Ausgabe 2) veröffentlicht. Es ist eine stilistisch gelungene Kurzgeschichte, die den Wochenplan der gleichnamigen Nachbarschaftshilfe beschreibt. Die Nachbarschaftswache ist eine Gruppe von Obdachlosen in Windhoek, Namibia, die sich zusammengeschlossen haben, um ihre Ressourcen zu bündeln. Alle fünf erfüllen eine bestimmte Aufgabe, denn das Überleben der Gruppe hängt von einer effektiven Arbeitsteilung ab. Alle fünf haben eine eigene Hintergrundgeschichte. Der leidenschaftslose Ton der Geschichte bewirkt, dass die Erfahrungen der Gruppe, die wiederum demütigend und erschreckend sind, in ihrer Darstellung der akuten Ungleichheit zur Selbstverständlichkeit werden. Es entsteht eine Welt, in der selbst der Hoffnungsschimmer, den die Freundlichkeit einer älteren Frau darstellt, nur dazu dient, die überwältigende Ungerechtigkeit der Straßen, in denen sich die Charaktere bewegen, hervorzuheben.
„How to Marry an African President“ (Wie man einen afrikanischen Präsidenten heiratet), von Erica Sugo Anyadike, wurde in adda: Commonwealth Stories veröffentlicht. Geschrieben in der zweiten Person, gibt die Geschichte Anweisungen, während sie einen – sowohl besonderen als auch irgendwie generischen – Handlungsstrang beschreibt: Eine Sekretärin wird zur Frau des Präsidenten. In der Form erinnert „Wie man einen afrikanischen Präsidenten heiratet“ ein wenig an Binyavanga Wainainainas wunderbaren Essay „How to Write About Africa“, der sich in seinem Zynismus und der klaren Ablehnung von Schwachsinn widerspiegelt. Inhaltlich scheint die Geschichte sich auf den Aufstieg und Fall von Simbabwes „Gucci“ Grace Mugabe zu beziehen. Sie ist eine Kritik an der Korruption eines (imaginären) afrikanischen Staates, an den eigennützigen Ambitionen der Adressat*innen und an dem Sexismus, der die Reaktionen auf eine Frau kennzeichnet, die die Macht übernehmen möchte. Es ist eine äußerst lesenswerte Kurzgeschichte.
Jowhor Ile’s „Fisherman’s Stew“ (Angler Eintopf), veröffentlicht im Sewanee Review, ist eine leise geschriebene Vignette über Trauer und gespenstische Liebe. Die Geschichte spielt in Nigeria und erzählt von Nimi und Benji, die seit fast fünfzig Jahren zusammen sind und deren Bindungen zueinander über die Sterblichkeit hinausgehen. Auf nur zehn Seiten verleiht Ile seinen Figuren Charakter und Eigenart und seinem scheinbar melancholischen Thema eine hoffnungsvolle Leichtigkeit. Er schreibt freimütig über sechzigjährigen Sex und appetitanregend über die Zubereitung von Essen.
Chikodili Emelumadus „What to do when your child brings home a Mami Wata“ (Was tun, wenn Ihr Kind eine Mami Wata mit nach Hause bringt) wurde in The Shadow Booth veröffentlicht: Die Geschichte von Emelumadu wird als „How to“-Ratgeber für Eltern präsentiert, die sich mit der Möglichkeit auseinandersetzen müssen, dass ihr Kind in einer artenübergreifenden Beziehung mit einem Wassergeist lebt, bekannt als Mami oder Papi Wata (letzteres ist auch möglich, aber laut dem Ratgeber statistisch gesehen weniger wahrscheinlich). Der Leitfaden bewegt sich auf einer wunderbar ambivalenten Linie zwischen Laune und politischer Schlagkraft. Er beschreibt wie getarnte Mami Watas identifiziert werden können und fordert einen Test, der alle attraktiven Veganer*innen mit einer Allergie gegen Meeresfrüchte in ernste Gefahr bringen würde. In der Geschichte werden die Filme Sharknado und Splash als akademische Ressourcen mit entwaffnender Ernsthaftigkeit zitiert. Gleichzeitig macht sie einige pointierte Beobachtungen über den rechtlichen Status gleichgeschlechtlicher Beziehungen in verschiedenen Teilen Nigerias. Das bürokratische Register einer Regierungsbroschüre wird so scharfsinnig nachgeahmt, dass es beim Lesen schwerfällt, zwischen Fakt und Fiktion zu unterscheiden – was vielleicht genau der Punkt ist.
Irenosen Okojies „Grace Jones“ stammt aus ihrem Kurzgeschichtenband Nudibranch, der bei Little Brown’s Dialogue Books erschienen ist. „Grace Jones“ ist in einer Art Bewusstseinsstrom-Stil aus der Perspektive von Sidra geschrieben, einer in London lebenden jungen Frau aus Martinique. Sidra arbeitet nebenbei als Grace-Jones-Doppelgängerin und nimmt an Partys für Reiche teil, die eine Vorliebe für solche Dinge haben. Die Geschichte ist eingebettet in die politische Gegenwart Europas, mit Hassan, dem Inhaber der Agentur, der die Flüchtlingshilfe in Griechenland koordiniert, und einem Taxifahrer, der wehmütige Geschichten aus einer Kindheit in Damaskus erzählt. Es geht um Schuld, Sex und Gewalt. Aber in Wirklichkeit geht es um Sidra, die von ihrer Vergangenheit belastet und von einer gewissen pyromanischen Energie beseelt ist. Die Geschichte ist kraftvoll und die Sprache außergewöhnlich bewegend.
Die Geschichten sind alle lesenswert, aufgrund der schieren Kraft ihrer Sprache, ist für mich „Grace Jones“ die Gewinnerin. Aber noch müssen wir darauf warten, wie die Jury sich tatsächlich entscheidet.