Die übliche Sprachpraxis ist heutzutage sehr vielfältig: Weltweite wirtschaftliche Verflechtungen, politisch-räumliche Neukonfigurationen, zunehmende Mobilität und Migration und auch das Internet führen dazu, dass Mehrsprachigkeit in großen Teilen der Gesellschaft ein Alltagsphänomen geworden ist.
Die Schriftstellerin Olga Grjasnowa erzählt uns in dieser Folge, welche Sprachen sie im Alltag spricht und wie das Weltgeschehen sich auf ihre Sprachwahl auswirkt. Sie spricht davon, wie in Deutschland die Einsprachigkeit zum Ideal wurde und was daran problematisch ist. Und zum Schluss geht es auch noch um ihre und unsere Wünsche für einen gerechteren Umgang mit der vielerorts wachsenden Alltäglichkeit der Mehrsprachigkeit.
Nach dem Gespräch bekommt ihr außerdem noch einen Lesetipp!
Shownotes
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Transcript
Anna: Herzlich willkommen zur zweiten Folge vom poco.lit. Podcast. Ich bin Anna von Rath und ich bin eine der Gründerinnen von poco.lit. In der heutigen Folge soll es um Mehrsprachigkeit gehen. Das ist ein überaus relevantes Thema, weil die übliche Sprachpraxis heutzutage so vielfältig ist. Es gibt die weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen, dann politisch-räumliche Neukonfigurationen, zunehmende Mobilität und Migration und auch das Internet und all das führt dazu, dass Mehrsprachigkeit in großen Teilen der Gesellschaft ein Alltagsphänomen geworden ist. Meine Kollegin Susi Peter hatte die Gelegenheit, mit Olga Grjasnowa über Mehrsprachigkeit zu sprechen.
Olga selbst ist in Baku in Aserbaidschan geboren und mit 11 Jahren nach Deutschland gekommen. Einige werden sie als Schriftstellerin kennen. Sie hat 2012 ihren ersten Roman „Der Russe ist eine der Birken liebt“ veröffentlicht und 2021 hat sie das Sachbuch „Die Macht der Mehrsprachigkeit: Über Herkunft und Vielfalt“ im Duden Verlag veröffentlicht.
Und jetzt hören wir mal in den ersten Teil des Gesprächs rein, in dem Susi und Olga über den persönlichen Sprachgebrauch und auch die emotionalen Verbindungen mit Sprache sprechen.
Susi: Ich freu mich voll, dass du dir die Zeit dafür nimmst. Vielen, vielen Dank.
Olga: Danke dir!
Susi: Ja, also die erste Frage, die wir uns schon mal so gestellt haben. Erstmal sind wir große Fans von deinem Buch „Die Macht der Mehrsprachigkeit“. Ich finde, du beschreibst in dem Buch so schön wie Mehrsprachigkeit bei dir im Alltag aussieht. Wie viele Sprachen sprichst du so am Tag und wie genau sieht das aus?
Olga: Sehr gute Frage! Ne, das ist es ehrlich gesagt, immer sehr unterschiedlich. Also – mit meinem Mann spreche ich meistens Englisch. Mit den Kindern ist es jetzt eine krude Mischung aus Deutsch und Russisch. Das liegt daran, dass sie am liebsten auf Deutsch antworten, und ich versuche irgendwie mit Russisch durchzukommen, aber manchmal vergesse ich mich selber und rede einfach auf Deutschen weiter.
Mittlerweile wissen sie auch ganz gut wie sie mich zu manipulieren haben. Wenn ich zu müde bin oder zu gestresst dann lasse ich’s. Sie wissen auch, dass sie mich dann irgendwann mal soweit kriegen, dass ich‘s lasse. Mein Mann spricht zu Hause mit den Kindern arabisch, aber das ist genau dieselbe Geschichte. Wir sind ein bisschen nachlässiger geworden als das wir das jetzt immer so stringend durchziehen, wie es glaube ich immer empfohlen wird.
Susi: Wechselst du dann auch innerhalb des Satzes die Sprache? Weil ich finde immer Mehrsprachigkeit wird immer so klar gesehen: Man spricht die eine Sprache, man spricht die andere Sprache und die werden in verschiedenen Kontexten benutzt und ich finde, in den seltensten Fällen ist das ja wirklich so.
Olga: Ja, nee, meine Mutter macht das sogar, dass sie manchmal wirklich mitten im Satz wechselt, aber ich, ich hasse das. Ich weiß nicht, ich mag es überhaupt nicht. Ich finde das irgendwie unästhetisch, wenn es wirklich mit einem Satz passiert. Natürlich gibt es in so manche Begriffe, die ich wahrscheinlich doch ab und zu in einer anderen Sprache verwende, die da überhaupt nicht hingehören. Aber normalerweise nicht mit einem Satz.
Susi: Ah das ist spannend. Du hast deinem Buch auch so schön beschrieben, ich glaube, es war von deiner Großmutter, wie sie Jiddisch hört und wieder ein Gefühl in ihr aufbringt. Verbindest du verschiedene Sprache mit verschiedenen Gefühlen oder lösen sie verschiedene Gefühle in dir aus?
Olga: Ja, das war sogar meine Mutter. Wir haben ja, glaube ich das, was eigentlich viele Familien haben. Das sich tatsächlich die Muttersprache in mehreren Generationen geändert hat. Man kann Muttersprache sagen kann Erstsprache sagen, aber auf jeden Fall die Sprache in der man sich am besten ausdrücken kann.
Bei meiner Großmutter war es eben noch Jiddisch, in dem sie aufgewachsen ist, bei meine Mutter Russisch und bei meinen Kindern ist es schon wieder Deutsch.
Und es kann natürlich sein, dass sich das in den nächsten Generationen noch mal ändern kann. Es ist sogar sehr wahrscheinlich.
Es ist natürlich ein sehr unterschiedliches Verhältnis zu allen Sprachen. Wobei ich das so sagen muss, dass natürlich mein Verhältnis zur russischen mittlerweile irgendwie auch ein wenig abgekühlt ist. Das Buch ist auch vor dem russischen Angriffskrieg geschrieben worden, und das ist natürlich noch mal eine andere Sache. Ich hadere nicht nur mit dem Krieg, sondern auch einfach in der Sprache an sich. Mir war es immer sehr wichtig, dass die Kinder Russisch lernen. Mir ist es eigentlich immer noch wichtig, und ich hatte eigentlich auch immer eine emotionale Bindung zu Russisch- Nur ist es jetzt auch so dass es wahnsinnig viele Mühe auch im Alltag bedeutet bedeutet, dass die Kinder Russisch lernen, dass sie diese Kurse haben, dass ich ihnen auch nochmal auf Russisch vorlese. Jetzt, wo eigentlich klar ist, dass die Kinder eigentlich das Land in dem nächsten Jahrzehnt höchstwahrscheinlich nicht besuchen können, stellt sich natürlich noch die Frage: Wozu? Also früher konnte man nicht nur sagen Russisch ist eine emotionale Sprache, sondern dass es natürlich ebenso eine Zukunft gibt. Das ist jetzt schon fast weggebrochen. Es ist natürlich klar, dass Russisch nicht verschwinden wird, aber es gibt jetzt tatsächlich eine Barriere.
Dieses emotionale Verhältnis zu Russisch wechselt auch immer wieder.
Aber das ist jetzt, ehrlich gesagt, nicht mehr so überzeugt wie zu dem Zeitpunkt, als ich das Buch eigentlich geschrieben habe. Also ich frage mich oft, ob sich die Mühe lohnt. Also jetzt, abgesehen von dem ganzen Ideologie, was natürlich Russisch mitbringt. Es ist eine koloniale Sprache, sehr viele Menschen sind russische Muttersprachler:innen, weil sie dazu gezwungen wurden im Familienkontext, aber es ist eine recht komplizierte Geschichte.
Anna: Bei den Punkten, die Olga und Susi im Gespräch gemacht haben, finde ich mich auf jeden Fall auch wieder. Ich merke immer, dass Mehrsprachigkeit nicht bedeutet, dass ich verschiedene Sprachen perfekt spreche und die dann nebeneinander existieren, sondern dass sich die Sprachen vermische und das ich für manche Situationen bestimmte Begriffe wähle oder Begriffe aus einer meiner anderen Sprachen irgendwie besser passen würden. Und je nachdem, mit wem ich spreche, drücke ich mich auch anders aus und mische auch mal mehr fremdsprachliche Begriffe rein oder weniger.
Und genau, wie Olga gesagt hat: Das Weltgeschehen spielt auf jeden Fall auch eine große Rolle darin, wie wir Sprachen wahrnehmen und wie wir sie bewerten.
Das führt auch zum nächsten Punkt, in dem es dann in dem Gespräch geht. Nämlich, dass Sprache nicht nur was Privates und Persönliches ist, sondern eben auch politische Dimensionen hat. Das ist das, was Olga letztendlich auch motiviert hat „Die Macht der Mehrsprachigkeit“ zu schreiben. Im Folgenden geht sie dabei dann auf ihre Tätigkeit als Schriftstellerin ein und spricht auch über ihre Erfahrungen damit, wie in Schulen mit Sprache umgegangen wird.
Susi: Also du scheint sich ja allgemein, wahrscheinlich auch aus deiner Familiengeschichte heraus, sehr für Mehrsprachigkeit zu interessieren. Wie kam es dazu, dass du das Buch geschrieben hast?
Olga: Eigentlich, kann noch nicht mal wirklich sagen, dass ich mich wirklich für die Mehrsprachigkeit interessiere, das ist es überhaupt nicht. Also eigentlich kam es, ehrlich gesagt, aus der Not heraus dazu. Das hat mit meiner eigenen Biografie sehr viel zu tun, weil es sich, als ich angefangen habe Bücher zu veröffentlichen und auch schon bedenkt das ich einen Sprachwechsel vollzogen habe in der Schule. Mir wurde sehr oft gesagt, ich würde nicht wie eine Muttersprachlerin schreiben und dann den nachgefragt habe, ob man es konkret machen kann, dann hieß es: Ich schicke ihnen eine E-Mail. Ich habe keine einzige E -Mail bekommen. Da war immer dieses Misstrauen gegenüber meiner Sprache, mal habe ich mit einem Akzent gesprochen, dann wiederum nicht. Also je weiter südlicher ich mich befand, dann gab’s doch keinen Akzent, dann waren die Vokale mal zu kurz, dann war es in Ordnung. Es war immer irgendwas, aber natürlich erst das die Leute wussten, dass mein Name anders klingt. Wenn sie diese Info nicht haten, dann war das halt nicht. Als mein erstes Buch ich glaube 2012 herauskam, gab es noch diese riesengroße Debatte um „Migrationliteratur“ und das ist halt immer so ein bisschen das andere, was man angeblich an der Sprache festmachen kann, was natürlich vollkommener Quatsch ist.
Susi: Ja, das fand ich so spannend. In dem Buch schreibst du über den Begriff „Migrationsliteratur“. Hast du deine Veränderungen in den letzten Jahren wahrgenommen. Also ich meine, dieser Begriff ist furchtbar. Wird er weniger verwendet?
Olga: Ich denke schon. Also der Begriff der Migrationsliteratur ist eigentlich kaum noch vorhanden oder ich habe nicht das Gefühl, dass das jetzt tatsächlich noch ausdiskutiert wird. Manchmal gibt es noch die Begrifflichkeit transnationaler Literatur, aber so langsam, nimmt das ab. Mittlerweile gibt es so viele Schreibende in unterschiedlichsten Herkünften, dass es nicht mehr festzumachen ist.
Susi: Immerhin eine schöne Entwicklung. Warum glaubst du ist Mehrsprachigkeit so wichtig? Also du hast gesagt es ist aus der Not heraus geboren, das Buch. Aber du bringst sehr, sehr viele unterschiedliche Sichtweisen mit ein in deinem Buch. Warum glaubst du, dass Mehrsprachigkeit so wichtig ist?
Olga: Weil glaube ich, dass es etwas ist, dass unsere Gesellschaft prägt und wir haben zum einen den politischen Diskurs mit Mehrsprachigkeit, vorallem unsere Mehrsprachigkeit in den Schulen und nur in den Schulen. Sehr oft hängt es auch mit der ganzen Debatte umd die Leitkultur zusammen und das ist immer ein hochpolitischer Diskurs, aber kein linguistischer. Und das hat halt nichts mit der Wissenschaft zu tun, sondern sind einfach irgendwelche Befindlichkeiten, sie auch nichts in der Realität zu tun haben.
Vor allem die CDU neigt dazu, mit Mehrsprachigkeit Wahlkampf zu machen. Also praktisch, wenn man überhaupt keine Ideen mehr hat, was die Schulpolitik angeht, kann man immer noch sagen: Die mehrsprachigen Kinder sind schuld daran. Man könnte eigentlich über Lehrermangel sprechen, ob es nicht mal an der Zeit wäre noch in der Lehrer:innen-Ausbildung was zu machen. Die Konzepte gibt es seit den 60ern und 70ern. Es ist alles da in der Wissenschaft. Es ist überhaupt kein Streitpunkt, aber wozu ne? Wenn halt Wahlkampf ist.
Das ist halt, was mich immer so aufregt. Es ist eine vollkommene Ignoranz und da wird die Mehrsprachigkeit immer mit Parallelgesellschaft gleichgesetzt. Mit allen schrecklichsten Entwicklungen und im Prinzip bin ja ich das. Es ist genau meine Biografie. Mit 11 in die deutsche Sprache sozusagen eingewandert. Ich bin genau das Kind von dem immer gewarnt wurde. Das als das Negativbeispiel per se angeprangert wird. Und es hat überhaupt nichts mit den Bildungsstandards zu tun, nichts mit der Herkunft und seitdem ich selber unterrichte, bin ich mir dem eigentlich noch sicherer.
Tatsächlich muss man einfach Voraussetzungen in den Schulen schaffen. Das heißt den Lehrpersonen Lehrmittel in die Hand gehen, die Zeit, die Ausstattung und vor allem Personal, dann stellt sich das Problem anders dar. Das Bezeichnende ist diese Diskussionen führen wir um die Schulen, aber sobald es um die Universitäten geht, wo Mehrsprachigkeit an der Tagesordnung ist, verschwindet die Diskussion.
Da ist auf einmal alles in Ordnung. Es gibt in jeder noch so kleinsten deutschen Fachhochschule ein Sprachenzentrum, wo man alles auf den unterschiedlichsten Niveau sprechen lernen kann, wo das gar kein Problem ist. Veranstaltungen an jeder Kunsthochschule, wenn man Deutsch hatte, wird englisch gesprochen.
Sachen, die sich auf einmal sehr schnell klären lassen und das ist eben nicht zu einem Politikum hochstilisiert wurde, wird die Probleme vielleicht gar nicht kleiner sind.
Aber es sind komplett unterschiedliche Umgehensweisen und dann gibt es natürlich noch jetzt die ganzen bilingualen und trilingualen Kindergärten und Schulen, die tatsächlich eine Art Parallelgesellschaft bilden, weil es oft sehr schwerste ist da reinzukommen oder eben sehr teuer.
Und anscheinend ist da Mehrsprachigkeit willkommen, in anderen Kontexten nicht, was natürlich nur eine Aussage über die soziale Klasse bedeutet. Es eigentlich eine Art
Klassenkampf um die Mehrsprachigkeit und richtige und die falsche.
Susi: Ja, das ist ja auch etwas, was du in deinem Buch erwähnst. Ich würde es schon fast Label nennen: Kind nichtdeutscher Herkunft. Etwas, dem ich mir nicht bewusst war und etwas, was du auch sehr, sehr deutlich machst in deinem Buch ist, wie unterschiedlich Sprachen gewertet werden. Du hattest das ha gerade gesagt, dass die CDU gerne Wahlkampf mit der Idee der Einsprachigkeit macht. Ich fand es total spannend in deinem Buch: Du beginnst mit einem Zitat aus der Bibel, in dem es im Grunde darum geht, wie die Vielfalt der Sprachen entsteht. War das eine bewusste Entscheidung ein Bibelzitat zu nehmen? Ich finde das so spannend, weil ja gerade von konservativen Stimmen so eine wahnsinnige Kritik an Mehrsprachigkeit kommt.
Olga: Weil es so einfach ist. Ich glaube ich höre auch mit einem anderen Zitat auf aus einem Roman von Sigrid Nunez wo es genau um dieses Zitat geht. Ich habe das Buch auch nicht zu Hand.
Susi: Ich habs zur Hand. Es ist aus dem Roman „What are you going through?“
„Vielleicht hatte Gott noch einen anderen Plan. Vielleicht gab er nicht nur den einzelnen Völkern unterschiedliche Sprachen, sondern jedem Menschen eine eigene Sprache gleich einem eigenen Fingerabdruck.“
Olga: Genau und darum geht es mir, dass selbst wenn wir dieselbe Sprache sprechen, ist noch lange keine Garantie dafür, dass wir einander verstehenden. Deswegen Mehrsprachigkeit hin oder her, überhaupt irgendjemanden zu verstehen ist, eine ungeheure Leistung. Egal auf welche Sprache. Oder sich selber zu verstehen.
Anna: in diesem kurzen Ausschnitt aus dem Gespräch, war jetzt es schon so viel drin. Also einerseits ging es um die Zuschreibungen Migrationsliteratur zu verfassen, und da möchte ich ganz kurz aus Olgas Buch noch vorlesen, wie sie dort eigentlich Migrationsliteratur definiert. Sie schreibt in „Die Macht der Mehrsprachigkeit“: Migrationsliteratur ist stets eine Literatur, die anders ist, die nicht dazu gehört. Sie ist nicht ganz deutsch. Alle, wirklich ausnahmslos alle Autor:innen, die einen für die Mehrheitsgesellschaft seltsam klingenden Namen haben und die entweder selbst oder deren Eltern nicht in Deutschland geboren worden sind, werden unter diesem unsäglichen Begriff zusammengefasst.“
Genau, sie sagt ja auch es gab in der Hinsicht schon in den letzten Jahren ein bisschen Veränderungen, dass der Begriff Migrationsliteratur gar nicht mehr so häufig verwendet wird. Aber trotzdem ist Einsprachigkeit auch noch was, womit vor allem konservative Politiker:innen Wahlkampf machen.
Susi: Es geht nicht, dass auf den Schulhöfen andere Sprachen als Deutsch gesprochen werden. Das sagte der beispielweise der ehemalige CDU-Generalsekretär Mario Czaja Januar 2023 im Interview mit der Welt.
Anna: Wir hören aus diesen Begriffen der sogenannten Migrationsliteratur oder diesem verbreiteten Wunsch, unter manchen Menschen zumindest, dass es eine Einsprachigkeit in Deutschland geben sollte, dass Mehrsprachigkeit häufig abgewertet wird. Zumindest eine bestimmte Art von Mehrsprachigkeit, weil das da schon sehr spannend ist, das zum Beispiel zwischen Expat und Migrant oder Migrantin unterschieden werden kann. Also verschiedene Sprachen werden unterschiedlich bewertet. Wenn es jetzt englischsprachige Expat sind also zum Beispiel Menschen, die für eine gewisse Zeit im Ausland arbeiten, dann verdrehen Leute vielleicht manchmal die Augen. Aber Englisch ist neben Deutsch dennoch weit aus akzeptierter als zum Beispiel Türkisch oder Arabisch und denjenigen die Stadt als Expat als Mirgrant:innen oder als Geflüchtete bezeichnet werden, schlägt deutlich mehr Unverständnis entgegen. Hier zeigt sich dann, dass das Thema Sprache zu einer Stellvertreter Debatte für Race und Klasse wird. Englisch wird er mit den sogenannten Expat sowie mit Weißsein und genügend finanziellen Mitteln nach Lust und Laune die Welt zu reisen verbunden. Auch wenn Englisch in vielen afrikanischen und asiatischen Ländern offizielle Landessprache ist, wird es von einem Großteil der Deutschen zunächst mit den USA oder mit Großbritannien verbunden. Regionen, die als mehrheitlich weiß und wohlhabend gelten. Türkisch, Arabisch oder auch Farsi, Urdu und so weiter rufen hingegen eher eine Assoziation mit Migration und Flucht hervor. Und sie werden mit nichtweißen Menschen in Verbindung gebracht und mit Menschen, die wenig Geld haben, und dementsprechend werden diejenigen, die diese Sprachen sprechen, oft abgewertet.
Wenn es jetzt aber uns Deutsch sprechen geht, dann scheint es oft auch wichtig, ein bestimmtes Deutsch zu sprechen, und das ist das, worauf Olga und Susi in ihrem Gespräch als nächstes eingehen, auf das Standarddeutsch, das in Anführungsstrichen richtige Deutsch. Und Olga erklärt so ein bisschen, wie es zu dieser Standardisierung kam
Susi: Wo glaubst du oder wie kam es in Deutschland Zu der Standardisierung des Deutschen? Das, so dieser Fokus auf die Einsprachigkeit kam.
Olga: Es war eine Entwicklung der Zeit. Im Mittelalter war die Lingua Franca Latein. kranke Dateien. Und dann hatte der Hochadel Französisch miteinander gesprochen.
Das ist auch die Sprache der Diplomatie. Eine gewisse Mehrsprachigkeit gehörte natürlich in der Bildungselite immer dazu vor dem Adel. Einfach durch die Verwandtschaftsverhältnisse, durch den Besitz, durch die Verwaltung der Ländereien war das immer gegeben. Es war jetzt nichts Neues. Aber natürlich kamen irgendwann die Nationalstaaten auf. Es brauchte etwas, um die Staatsgebilde zu verwalten und dann war es die Idee der im Imagined Communities. Was verbindet überhaupt? was kann Menschen verbinden? Da bietet sich natürlich Sprache an. Das Deutsche wurde nach und nach standardisiert, aber auch genauso wie das Französische und das Italienische, sogar noch viel später als das Deutsche. Das war natürlich viel einfacher für die Verwaltung und damit war das auch viel einfacher die nationalistische Idee zu vermitteln. Wenn es so viele regionale Unterschiede gibt zwischen Nordeutschland und Bayern. Was ist es überhaupt was diesen Staat zusammenfügen kann? Und wenn es nichts anderes gibt, kann man immer noch auf die Sprache zurückgreifen.
Susi: Das ist was, was ich auch spannend fand was du im Buch erwähnst. Das die Standardisierung der Sprachen auch so die Norm geworden ist, dass wir zum Beispiel Standard British English lernen oder Standard American English, aber halt nicht das indische Englisch und im Deutschen ist es ja ähnlich sind, das wie du gerade schon gesagt hast Dialekte verschwunden sind.
Olga: Oder immer mehr verschwinden. Und das natürlich auch gleich zwei Sachen. Sprache ist nicht nur die Frage der sozialen Klasse, es sind auch oft rassitsische Komponenten dabei. Wessen Englisch oder wessen Französisch ist das Richtige? Die
Kolonialgeschichte ist einfach anders in Deutschland als in den USA. Nicht weniger grausam, aber nicht so weit verbreitet wie das Portugiesische oder das Spanische oder das Französische das Englische. Und im Prinzip ist die Normsprache, die wir lernen weltweit immer die der Kolonialmächte nicht unbedingt die der der Mehrheit des Sprecher:innen.
Susi: Was wir im Grunde auch schon gesagt hast. In Deutschland wirkt es schon so, als wenn mit aller Macht die Einsprachigkeit hochgehalten werden soll. Es ist Teil des Wahlprogramms der AfD. Was denkst du, welche Macht hat Mehrsprachigkeit?
Olga: Bei der AfD ist es sogar ganz lustig. Sie ist eine der hier wenigen Partei, die tatsächlich das Wahlprogramm in mehreren Sprachen veröffentlicht hat. Es gibt auch ein Wahlprogramm auf Russisch. Es gibt Infostände mit russischen Spezialitäten, was trotzdem natürlich unter der Leitkultur fällt. Wenn man sich das ganze mal anschaut ist das eine herrlich heuchlerische Debatte. Es ist einfach, wenn man für die Einsprachigkeit plädiert, es ist extrem einfach. Alle Probleme werden dabei ausgeblendet. Es geht hier nicht darum, dass man irgendwie versucht, das Leben einfacher zu machen oder einfach zu gestalten. Natürlich ist es gut, wenn man in Deutschland wohnt und Deutsch spricht und je besser das Deutsch, desto einfacher ist es für jeden. Das ist steht für mich überhaupt nicht zur Debatte. Aber, wenn man sich tatsächlich anschaut welches Deutsch in den Behörden gesprochen wird, ist es nicht unbedingt das Deutsch, was man mit einer Mittleren Reife versteht. Oder es ist halt einfach tatsächlich ein Deutsch, was von juristischen Begriffen geprägt ist und geprägt sein muss und juristische Begriffe sind nicht unbedingt die leicht verständlichsten. Oder wenn man schon alleine beim Finanzamt die Steuererklärung abgeben muss. Es ist auch nicht gerade leicht verständlich, sondern hochkomplex, unabhängig von den Sprachkenntnissen. Also ein Staatsgebilde basiert nicht nur auf Sprache, sondern vor allem auf Normen und Gesetzen.
Wenn man sich erst mal sagt: Klar, alle müssen Deutsch sprechen, dann ist alles gut. Es ist nicht dafür da, tatsächlich zu sagen, alles wird gut. Sondern um zu zeigen, dass sich nichts ändern soll in Deutschland. Das die Bevölkerung tatsächlich in Anführungsstrichen deutsch bleiben muss. Es ist ein Ausschlusskriterium. Man muss nicht mehr sagen wir wollen keine Ausländer, sondern man sagt einfach alle müssen deutsch sprechen.
Es geht einfach nur darum, Enkes den Menschen die einen wählen könnten, zu signalisieren, dass man gegen Migration und Zuwanderung ist, glaube ich.
Susi: Ich würde Dir auf jeden Fall zustimmen, ohne Frage.
Anna: In diesem Abschnitt haben wir gelernt, dass die Idee, dass in einem Land ausschließlich eine Sprache gesprochen werden sollte, der Zeit entspringt, in der sich in Europa die ersten Nationalstaaten bildeten. Eine einheitliche Sprache sollte das Gemeinschaftsgefühl in diesen jungen Nationen fördern und als Code dienen, der das Volk verbindet. Also Einsprachigkeit vereinfachte auf jeden Fall die Verständigung und es war auch wichtig, dafür Gesetze zu formulieren und Grenzen zu ziehen. Aber unter anderem deshalb wird auch heute noch von Zuwandernden erwartet, dass sie Deutsch lernen. Wer die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten möchte, muss Deutschkenntnisse nachweisen. Und die Einsprachigkeit ist auf diese Weise immer noch Teil der deutschen Leitkultur. In diesem Sinne ist die deutsche Sprache eines der Instrumente, mit denen eine Gesellschaft Neuankommenden sagt: Passt euch an uns an. Und diese Norm, der Einsprachigkeit schafft Ausschluss. Und deshalb stellt sich natürlich die Frage. Was wäre den wünschenswerter, wie könnten Dinge verändert werden? Und auch dazu hören wir noch mal in das Gespräch zwischen Susi und Olga.
Susi: Wie würdest du sagen, würde man in einer idealen Welt mit Sprache und Mehrsprachigkeit umgehen?
Olga: Ich glaube, es ist halt immer eine extreme lokale Frage und es ist immer so individuell zu verstehen.
Natürlich wäre das gut, wenn man versucht auch gesamtgesellschaftlich möglichst eine Grundlage zu schaffen, dass die Menschen in der Lage sind, einander zu verstehen. Man einen Weg findet damit im Bildungssystem umzugehen, im alltäglichen Leben, einfach die Barrierefreiheit abzubauen. Das gilt genauso wie für die gesprochene Sprache, geschriebene Sprache als auch für die Gebärdensprache oder eine leichte Sprache
Susi: Gerade was leichte Sprache angeht, ist in den letzten Jahren auch wirklich viel passiert, aber was würdest du dir gerade im Bildungssystem in Deutschland wünschen?
Olga: Das dir Didaktik verbessert wird. Bei jeder einzelnen Sprache. Dass das mehr in den Fokus rückt. Das Deutsch nicht unbedingt die Erstsprache sein muss, aber trotzdem ganz gut beherrscht sein kann, dass es nichts Naturgegebenes ist. Und das man einfach tatsächlich von diesem Ideal der Muttersprache abrückt und das ganze sachlicher betrachtet.
Ich glaube, was mich immer am meisten entsetzt, dass sie immer gleich mit Familie und meine Mutter gleichgesetzt wird, wo bei es eigentlich nur grammatikalische Strukturen sind. Nichts weiter. Ich glaube, wir haben gerade eh eine Krise im Bildungssystem. Was ich mir so wünschen würde ist tatsächlich das die Debatte um die Schulen so sachlich wird wie die um die Universitäten. Die es halt einfach nicht gibt. Also weshalb werden in der höheren Bildung andere Kriterien eingesetzt als in der Hochschule. Es geht er in beiden Fällen um Didaktik – nichts weiter. Dass man sich vielleicht einfach nur darauf beschränken würde.
Susi: Das, finde ich, ist ein schöner Wunsch.
Olga: Vielleicht noch ein Nachtrag, wenn ich darf zu der Frage nach den Wünschen und der Mehrsprachigkeit und Gesellschaft.
Susi: Klar, immer!
Olga: Mein Lieblingsbeispiel ist ja auch die Berliner Schulpolitik. Es gab es diesen unsäglichen Bildartikel, wo es eine Rektorin war, von einer Neuköllner Grundschule, die sich so aufgeregt hat und meinte das es kaum noch Kinder gibt, die zu Hause deutsch sprechen. Was ja vielleicht sogar stimmt und dem man vielleicht auch einfach nur Rechnung tragen könnte im Lehrplan. Und sie dann ganz groß, verkündete: Wir sind arabisiert. Aber Jahre später war sie die Verantwortliche für die Schulpolitik und Franziska Giffey war dann ein paar Jahre später unsere Schulsenatorin. Das sind gruselige Entwicklungen, die eigentlich so nicht passieren dürfen und vor allem nicht in einer Stadt wie Berlin und da frag ich mich auch schon, was für Signale das senden soll.
Susi: Da gab es ja die Idee, dass Kinder auf dem Schulhof nicht ihre Erstsprache sprechen dürfen, sondern Deutsch sprechen müssen. Ich finde, wer diese Idee hat, hat noch nie woanders gelebt und musste den ganzen Tag nicht in der Erstsprache sprechen. Und wie anstrengend das ist und wie froh man ist, wenn man einfach mal kurz in seine Sprache wechseln kann.
Olga: Und das ist halt einfach eine alte rassistische Praxis, die genauso in den Britischen Kolonien oder auch in Großbritannien gegenüber der walisischen bevölkerung benutzt wurde. Das ist ja auch keine revolutionär neue Idee.
Anna: Olga hat verschiedene Wünsche, die das Schulsystem betreffen und dass dort anders mit Sprache umgegangen werden sollte und Susi hat noch mal erwähnt, dass Sprache auch eine Art Wohlfühlort sein kann ich möchte am Ende noch mal betonen, wie wertvoll mehrsprachig sein kann. Ein Aspekt, der mir dazu einfällt, ist das, wie ich vorhin schon gesagt habe, bestimmte Dinge in bestimmten Sprachen vielleicht besser auszudrücken sind. Und mir fällt es zum Beispiel oft auf, wenn es genderfreie Schreibweisen geht. Also wir haben im Deutschen mittlerweile auch schon häufig die Verwendung des englisch en Pronomen they, aber könnte zum Beispiel auch das türkische Pronomen o genommen werden.
Das nutzt zum Beispiel, Nadire Biskins in ihrem Beitrag ‚Borderline‘ im Sammelband Flexen. Flâneusen* schreiben Städte. Genau, sie verwendet dieses genderneutrale Pronomen und erzielt somit ein Effekt der Geschlechterfluidität, der in diesem kreativen und lyrischen Text total passend ist.
Kübra Gümüsay macht in ihrem Buch „Sprache und Sein“ total stark, dass bestimmte Begriffe, wenn sie übersetzt werden würden, manchmal ganze Sätze brauchen würden und das ist deshalb gar nicht so schlecht wäre, diese Begriffe vielleicht einfach einfließen zu lassen, so wie sie sind. Dazu lese ich kurz ein kleines Zitat aus ihrem Buch „Sprache und Sein“ vor.
„Manchmal will ich doch im Türkischen sagen. Ich will meinen immer wiederkehrendes Fernweh erklären. Oder die Schadenfreude. Für jeden dieser Begriffe brauche ich in der Übersetzung ganze Sätze, bis mein Gegenüber ansatzweise versteht, was ich gedacht, gemeint oder gefühlt haben könnte. So leben manche Gefühle nur in bestimmten Sprachen. Sprache öffnet uns die Welt und grenzt sie ein, im gleichen Moment.“
Buchempfehlung
Anna: Auch in dieser Folge gibt es wieder eine Buchempfehlung von einer Berliner Buchhandlung. Und zwar Uslar und Rai in Prenzlauer Berg. Ihr findet den Laden auf der Schönhäuser Allee 43. Es ist ein wirklich schöner Laden, in dem ihr eine tolle Buchauswahl findet und wo auch immer wieder ganz schöne Veranstaltungen stattfinden. Also behaltet Uslar & Rai im Auge! Aber jetzt erst mal zu der Empfehlung von Jo.
Jo: Ein Buch, das sich in diesem Zusammenhang sehr empfehlen kann, wie ich finde sehr zeitgemäß ist “Yeni Yeşerenler” von Duygu Ağal. Es handelt von heranwachsenden jungen Menschen, die in Deutschland groß werden, Kinder sind von migrantischen Familien, es handelt von queerem erstarken. Überhaupt von Emanzipation und von dem sich finden in einer Welt, in der man häufig in Kategorien denkt. Was nichts positives ist und abgestempelt wird entweder als die Migrantin oder die Lesbe oder oder die Frau. Und es handelte genau davon, wie man groß wird, wie man sich findet, wie man für sich einsteht und stark ist. In diesem Zusammenhang spielt die Sprache auch eine ganz große Rolle. Ich finde es ganz toll gemacht ist, ist auf deutsch und teilweise auch auf türkisch geschrieben und das ist liest sich ganz natürlich, selbst wenn man es nicht versteht. Weil wenn die Protagonisten mit ihrer Mutter spricht die Türkin ist gebürtig. Dann ist es eigentlich ganz klar, dass sie Türkisch miteinander sprechen, wie sie es gewohnt sind und nicht Deutsch. Und ich fand es so toll zu sehen oder faszinierend in diesem Buch, wie natürlich das alles kuratiert ist und zusammenwirkt.
Ich fand es wirklich sehr zeitgemäß, ich fand es für die Literaturwelt eigentlich auch ein sehr wichtiges neues Buch und würde es sehr, sehr empfehlen.
Anna: Für diesen Podcast haben wir eine Projektförderung des Berliner Senats für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt erhalten.
Wenn ihr helfen wollt, die verschiedenen Formate von poco.lit. nachhaltiger und unabhängiger zu machen, könnt ihr unsere Arbeit über Steady unterstützen. Alle Informationen findet ihr in den Shownotes. Vielen Dank fürs Zuhören. Schaut bis zur nächsten Folge gerne mal auf www.pocolit.com vorbei. Wir freuen uns auch, auf Instagram von euch zu hören. Aber jetzt erstmal – bis zum nächste Mal!