Mythos Muttersprache – Podiumsdiskussion
„Sie sprechen aber gut Deutsch!“
„In welcher Sprache träumst Du?“
„Meine Mama sagt, das ist so richtig.“
Hinter solchen Sätzen stehen Ideen über Sprache, die wir mit dem Begriff Muttersprache (oder neutraler Erstsprache) fassen. In der Betrachtung von Sprache spielt deren muttersprachliche Beherrschung immer eine ganz zentrale Rolle, sowohl aus der sprachwissenschaftlichen Perspektive als auch im alltäglichen Nachdenken über sprachliche Phänomene.
In der Linguistik werden ganze Theoriegebäude auf der muttersprachlichen Intuition über die ‚Grammatikalität‘ sprachlicher Phänomene aufgebaut. Aber auch laienlinguistisch zählt die muttersprachliche Kompetenz in einer Sprache als anzustrebendes optimales Niveau, das zu erreichen allerdings, so die landläufige Meinung, in einer Fremdsprache nahezu unmöglich ist. Die Sprache, die wir als erste Sprache lernen, die wir – so der Mythos – mit der Muttermilch aufsaugen, diese Muttersprache scheint etwas Besonderes zu sein. Daher bewundern wir Schriftsteller:innen, die in einer ‚Fremdsprache‘ schreiben, daher übersetzen Übersetzer:innen in der Regel aus der Fremdsprache in ihre Muttersprache, daher erwarten wir von Sprachdozent:innen, dass sie die zu erlernende Sprache als ‚native speaker‘ sprechen (oder doch wenigstens ‚near-native‘).
Das Begriffspaar Muttersprache – Fremdsprache(n) bestimmt unser Denken über Sprache, wobei die Muttersprache nur allzu oft ideologisch aufgeladen und überhöht wird. Sie wird dann gesehen als die Sprache, in der man denkt und träumt und fühlt, und sie wird gleichgesetzt mit der nationalen Landessprache, wodurch (nationale) Identität und eine Identifikation mit dem ‚Vaterland‘ hergestellt werden soll. Im europäischen Kontext wird dabei oft sehr leicht und leichtfertig davon ausgegangen, dass es um genau eine Sprache geht, was aber keineswegs selbstverständlich ist. Von Migrant:innen erwarten wir, dass sie sich diese Sprache aneignen, nicht ohne aber an jeder passenden und unpassenden Stelle darauf hinzuweisen, dass sie das muttersprachliche Niveau nicht erreicht haben und auch nie erreichen werden; oft mit dem vergifteten Kompliment, dass er/sie „aber (schon) gut Deutsch spricht“. Sprache kann durchaus auch ein Mittel zur Ausgrenzung sein.
Über diese und andere Aspekte des ‚Mythos Muttersprache‘ möchten wir am 10.11.2021 diskutieren mit:
Olga Grjasnowa (Schriftstellerin)
Friederike Lüpke (Afrikanistin, Universität Helsinki)
Katarina Niewiedzial (Beauftragte des Berliner Senats für Partizipation, Integration und Migration)
Moderation:Matthias Hüning & Horst Simon (Freie Universität Berlin)
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