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Magazin: macht.sprache.

Sonderfolge: Macht Sprache – Ein Manifest für mehr Gerechtigkeit vorgestellt von Anna von Rath

In dieser Sonderfolge stellt Anna von Rath das Buch “Macht Sprache: Ein Manifest für mehr Gerechtigkeit”, das sie mit Lucy Gasser geschrieben hat vor. Das Buch erscheint am 26.09.2024 im Ullstein Verlag und die Autorinnen möchten damite einen Beitrag zu einer produktiveren Diskussionskultur über diskriminierungskritische Sprachstrategien leisten. In dieser Folge stellt Anna das Buch vor, indem sie Auszüge aus dem Vorwort vorliest und einiges zur Entstehungsgeschichte und zur Motivation hinter dem Buch erzählt. 

Am Schluss gibt sie 2 Buch- und 1 Netflix-Empfehlung. 

Shownotes

Transcript

Anna: Hallo und herzlich Willkommen zu einer besonderen Folge vom poco.lit. Podcast. Ich bin Anna von Rath, eine der Gründerinnen von poco.lit. und ich bin heute alleine hier. In der letzten Folge hatten wir es ja schon angekündigt: Meine Co-Gründerin Lucy Gasser und ich haben ein Buch geschrieben:

„Macht Sprache – Ein Manifest für mehr Gerechtigkeit“ erscheint am 26.9. im Ullstein Verlag.

Heute möchte ich euch ein bisschen über dieses Buch erzählen, worum es geht und wie es dazu kam, dass wir es geschrieben haben. Der Titel verrät schon einiges:

  • Es geht um Macht
  • Es geht um Sprache
  • Es geht um das, was wir mit Sprache machen können
  • Und zwar dann, wenn wir uns für mehr Gerechtigkeit interessieren. 

Das Manifest im Titel klingt vielleicht ein bisschen großspurig. Aber als wir die erste Idee zu dem Buch hatten, hat uns gerade das Manifest als Genre interessiert. Ein Manifest meint eigentlich nur ein Dokument, das den unzulänglichen Status quo kritisiert und darauf abzielt, Veränderung in der Welt herbeizuführen.Und in dem Buch setzten wir uns mit der Art und Weise auseinander, wie wir Sprache für genau so etwas nutzen können. 

In der heutigen Folge nehme ich mir das Vorwort zum Buch vor und gehe Stück für Stück durch. Ich lese euch ein paar Passagen vor und gebe euch noch ein paar zusätzliche Informationen dazu und erzähle, was wir uns dabei gedacht haben.

Wer unsere Projekte poco.lit. oder macht.sprache. ein bisschen kennt, kann sich vielleicht schon vorstellen, in welche Richtung das Buch geht. Aber für viele Leser*innen werden Lucy und ich und unsere Arbeit völlig unbekannt sein. Deshalb haben wir uns überlegt, mit zwei Szenen zu beginnen, die direkt vermitteln, um was genau es uns geht. Ich lese sie mal vor: 

Szene 1: 

Wir sitzen mit der Familie am Tisch und essen. Eins der Kinder hat die neueste Ausgabe von Jim Knopf und die Wilde 13 geschenkt bekommen. 

„Kein N-Wort mehr auf Lummerland“, freut sich ein*e Cousin*e.

Ich möchte gerade ergänzen, dass stereotype Beschreibungen insgesamt reduziert wurden, als einige Verwandte rufen: „Da hat die Sprachpolizei mal wieder durchgegriffen.“ Und: „Das ist doch Zensur!“

Plötzlich reden alle durcheinander. 

Die Stimmung kippt. 

Ich versuche, die Argumente für sprachliche Anpassungen in Kinderbüchern in meinem Kopf zu sortieren und mich konstruktiv ins Gespräch einzubringen. Doch immer wieder fällt mir irgendwer ins Wort. Und ich falle ihnen ins Wort. Wir werden laut, reden aufeinander ein und aneinander vorbei, bis meine Eltern den Nachtisch holen und das Thema gewechselt wird. 

Eine gewisse Unzufriedenheit bleibt in der Luft.

Szene 2:

Das Meeting beginnt und ein Mann hält einen ausführlichen Monolog.

Wie er spricht, trägt dazu bei, dass er ernst genommen wird. Der Bariton seiner Stimme, seine Worte und sein Akzent werden geschätzt und als richtig empfunden. 

Was er sagt, ist gar nicht so wichtig. Wie er es sagt, ist ausschlaggebend. Seine Selbstsicherheit lässt die Zuhörenden nicken.

Was er sagt, ergibt eigentlich keinen Sinn. Es ist Quatsch. 

Ich sollte darauf hinweisen. Aber wie? 

Wenn ich spreche, fallen mir nicht immer sofort die richtigen Worte ein, und deshalb werde ich für inkompetent gehalten. Ich lächle, um meine Kritik abzumildern, was mir als Schwäche ausgelegt wird. Meine Stimme ist ein Sopran, der als schrill gilt. Ich beende meinen Satz mit einem Fragezeichen, um in den Dialog zu gehen, aber meine Intention wird als Unsicherheit gedeutet.

Ich weiß, dass ich nicht ernst genommen werde. 

Am Ende des Meetings kommt der Mann zu demselben Schluss wie ich. Trotzdem denken alle, unser innovativer Plan käme von ihm. Ich werde beauftragt, Dokumente für ihn vorzubereiten, obwohl wir eigentlich gleichrangige Positionen haben.

So beginnen wir das Buch, das wir zu zweit geschrieben haben.

Die Szenarien sind Fiktion, aber wir haben beide schon ungefähr solche Situationen erlebt und können uns vorstellen, dass es zumindest einigen Leser*innen ähnlich gehen könnte. 

Wir wollten mithilfe von diesen Szenarien schon einige Aspekte anreißen, um die es in den folgenden Kapiteln gehen wird: 

  • Sprachveränderungen werden häufig hitzig diskutiert
  • Dabei hören Beteiligte sich manchmal gar nicht richtig zu, sondern geben stattdessen nur ihre vorgefertigte Meinung wieder
  • Das Gespräch geht dann gar nicht wirklich um diskriminierende Sprache, warum sie ein Problem ist und wie Diskriminierung reduziert werden könnte
  • Ehrlich gesagt, ist es manchmal fast gar kein Gespräch, sondern verschiedene Menschen führen Monologe 
  • Sowas kann im familiären Kontext, unter Freund*innen oder auch bei der Arbeit passieren
  • In vielen Situationen spielt das, was gesagt wird, vielleicht sogar eine geringer Rolle als das, wie es gesagt wird

Insgesamt geht es in dem Buch eigentlich nicht um uns selbst – also wir ziehen später kaum Anekdoten oder Beispiele aus unserem eigenen Leben heran, sondern sprechen hauptsächlich über Büchern, Filmen, Comedy, historische Ereignisse, Forschung, Aktivismus, usw. um zu erklären, welche Macht Sprache hat, wie sie diskriminiert und welche Möglichkeiten es gibt, sich diskriminierungskritisch zu verhalten.  Aber im Vorwort wollten wir verdeutlichen, welche Beziehung wir als Autor*innen zu den Themen im Buch haben. 

Im Vorwort versuchen wir also in gewisser Weise uns zu den Themen zu positionieren – zu zeigen, aus welcher Position heraus wir über Sprache und Diskriminierung sprechen. Wir machen das schon an der Stelle, bevor wir in Kapitel 1 ausführlich darauf eingehen, was wir eigentlich genau unter Positionierung verstehen, hoffen aber, dass es auf diese erzählerische Weise gut nachvollziehbar ist.

Und jetzt möchte ich 2 weitere Absätze aus dem Vorwort vorlesen, die sich auf die beschriebenen Szenarien beziehen – also die Diskussion mit der Familie und das Arbeits-Meeting mit dem monologisierenden Mann:

In solchen Situationen kommt es wiederholt dazu, dass uns nicht zugehört wird, wenn wir uns auf eine Art und Weise ausdrücken, die als weiblich verstanden wird. 

Wer ernst genommen werden möchte, muss offenbar bestimmte Kriterien erfüllen, und einige davon haben mit der Wortwahl und der Sprechweise zu tun. 

Diese Kriterien gelten als allgemein bekannt, auch wenn sie selten konkret benannt werden. Sie gelten als universell, auch wenn sie spezifisch sind. Manche dieser Kriterien beziehen sich auf Gender. Andere, wie wir aus eigener Erfahrung wissen, auf Klasse oder Nationalität. 

Wir hatten beide das Privileg einer universitären Ausbildung, aber wir haben die Uni oft als befremdlichen Ort wahrgenommen, weil wir nicht mit den vorausgesetzten Verhaltensweisen inklusive eines bestimmten Vokabulars aufgewachsen sind. 

Wir saßen in Seminarräumen, in denen Kommiliton*innen Begriffe, Konzepte und Namen von Theoretiker*innen erwähnten, die nichts mit den Texten, die wir für die Lehrveranstaltungen lesen sollten, zu tun hatten. Manchmal, aber nicht immer, kam uns ein Name vage bekannt vor, aber wir hätten kein Zitat oder ausformuliertes Argument anbringen können. 

Obwohl wir vorbereitet ins Seminar kamen, schienen viele andere, passendere Voraussetzungen zu haben – oder sie waren zumindest in der Lage, so zu tun. Für eine von uns ist Deutsch eine Zweitsprache, die oft wenig einladend ist. Termine bei Ärzt*innen oder Behörden vermitteln den Eindruck, dass Gesprächspartner* innen auf dich herabschauen, wenn du nicht „korrekt“ Deutsch sprichst. 

Wenn du die bürokratische Sprache nicht verstehst, die dir sagt, was du tun sollst, kann die Annahme entstehen, du seist unfähig, den Instruktionen zu folgen. Manchmal reagieren Leute dann herablassend oder sprechen lauter, damit du sie besser verstehst. Beides ist unangenehm. Beides gibt dir das Gefühl, fehl am Platz zu sein.

Hier haben wir also darüber geschrieben, in welchen Situationen wir Sprache oder bestimmte Sprechweisen als ausschließend empfunden haben. 

Jetzt, wo ich es euch vorgelesen habe, fällt mir auf, dass es oft Situationen waren, in denen uns die Worte gefehlt haben. Also bestimmte Begriffe, die gezeigt hätten, dass wir im Uni-Seminar zu den Wissenden gehören, die sich in diesem Umfeld wie ganz selbstverständlich bewegen. Oder deutsche Wörter, weil Deutsch – nicht für mich, aber für Lucy, meine Co-Autorin – eine Fremdsprache ist. Ich habe ähnliches mit anderen Sprachen erlebt, in den Zeiten, in denen ich im Ausland gelebt habe. Vielleicht kennt ihr auch Situationen, in denen ihr das Gefühl hattet, dass euch die Worte fehlen, um euch selbst zu vermitteln.

Ich finde es auf jeden Fall total unangenehm, in einen Raum zu kommen und mich irgendwie falsch zu fühlen oder nicht gehört zu werden. 

Um so bereichernder war es für mich, z.B. durch die Beschäftigung mit Feminismus ein Vokabular zu bekommen, dass mir geholfen hat, manche dieser Situationen zu benennen. Das klingt vielleicht übertrieben, aber ich habe schon oft gedacht, Feminismus hat mich in gewisser Weise gerettet, unter anderem weil er mir eine Sprache gegeben hat, der mich die Welt und bestimmte Erfahrungen, die ich in ihr mache, besser verstehen lässt. 

Deshalb schreiben wir im Vorwort von „Macht Sprache: Ein Manifest für mehr Gerechtigkeit“ Folgendes – ich lese wieder vor:

In anderen Situationen erlebten wir Sprache als wirksames Werkzeug, mit dem wir diskriminierende Strukturen benennen können. 

Dafür danken wir den Denker*innen, die uns mit nützlichem Vokabular und Konzepten ausgestattet haben. 

Einen Begriff für etwas zu haben kann ermöglichen, ein Erlebnis nicht mehr als Einzelfall, Ausnahme oder unglücklichen Zufall zu verstehen, sondern als Teil von größeren Strukturen. 

Ein Beispiel dafür wäre „Manspreading“, um zu beschreiben, dass Männer manchmal überproportional viel Raum einnehmen – wenn sie viel Redezeit für sich beanspruchen, so wie in dem zuvor beschriebenen Meeting, oder physisch, wenn sie breitbeinig in einer U-Bahn sitzen und ohne Rücksicht auf die Person neben ihnen mehr als einen Sitzplatz vereinnahmen. 

Manspreading ist in einer patriarchalen Gesellschaft keine Seltenheit. 

Bevor das Phänomen benannt wurde, wirkte es auf diejenigen, denen auf diese Weise Raum genommen wurde, vielleicht wie ein schwammiges Gefühl. Vielleicht stellten sie sich selbst und das Gefühl infrage. 

Jetzt, wo Manspreading einen Namen hat, kann ein Gespräch darüber entstehen, wie unterschiedlich sich Menschen verschiedener Geschlechter im öffentlichen Raum bewegen (können).

Schon bevor ich das Wort „Manspreading“ kannte, ist mir oft aufgefallen, dass viele meiner männlichen Freunde oder Verwandten sich im öffentlichen Raum ganz anders bewegen. Dass mein Impuls eher ist, mich kleiner zu machen, nicht im Weg zu sein, darauf zu achten, dass alle genug Platz und genug Redezeit bekommen oder dass ich versuche, Leute aktiv mit ins Gespräch reinzuziehen. 

Als ich den Begriff „Manspreading“ kennenlernte, war das wie eine kleine Erleuchtung für mich. Genau wie „Mansplaining“ oder „Mental Load“.

Witzig eigentlich, dass mir gerade als erstes lauter englischsprachige Beispiele eingefallen sind. Es gibt ja viel Kritik daran, dass Englisch so viel Einfluss auf die Deutsche Sprache nimmt. Wir haben im Buch ein ganzes Kapitel dazu, warum es trotzdem in manchen Situationen nützlich sein kann, Begriffe aus anderen Sprachen zu übernehmen – zumindest vorerst. Das lest ihr dann vielleicht…. 

Auf jeden Fall haben unsere persönlichen Erfahrungen mit Sprache dazu geführt, dass wir uns bewusster mit Sprache und ihrer Macht auseinandersetzen wollten. 

Dabei wurde uns aber schnell klar, dass unsere eigenen Perspektiven begrenzt sind. Meine unterscheidet sich von Lucys, wir sind in verschiedenen Ländern – auf unterschiedlichen Kontinenten – aufgewachsen, die je eigene Geschichten haben, was unsere Perspektive auf die Welt prägt. Was wir mögen, wie und wo wir arbeiten, mit wem wir Beziehungen führen oder zusammenleben – all diese Dinge unterscheiden sich. 

Aber dennoch ist es so, dass unsere Biografien, wie eigen und speziell sie auch sein mögen, sich in größere historische Zusammenhänge und Machtgefüge einfügen. 

Auch die Begrenztheit unserer Perspektive sprechen wir direkt im Vorwort an:

Die Perspektive, die wir in diesem Buch auf Fragen rund um Diskriminierungskritik teilen, ist durch unsere Positionierungen eingeschränkt. 

Daraus leiten wir die Verpflichtung ab, über unsere eigenen Positionierungen hinauszudenken, uns auf weitere Perspektiven einzulassen und von ihnen zu lernen. 

Dabei werden wir unweigerlich Fehler machen. 

Als weiße Frauen nehmen wir die Kritik am weißen Feminismus von feministischen Denkerinnen wie Sara Ahmed, bell hooks und Chandra Mohanty ernst, dass es Schaden anrichten kann, Diskriminierung nur unter den Aspekten zu betrachten, die uns persönlich betreffen. 

Deshalb bemühen wir uns, intersektional zu denken und Diskriminierungsformen mit in unsere Überlegungen einzubeziehen, von denen wir selbst nicht direkt betroffen sind. Aber wie sehr wir uns auch anstrengen, werden wir die Kluft, die zwischen angelesenem Wissen und gelebten Erfahrungen existiert, nicht überbrücken können. 

Unsere Bemühungen stellen einen fortlaufenden Prozess dar, der nie vollständig abgeschlossen sein wird. Das Lernen geht weiter.

Wir hoffen, mit diesem Buch einen Beitrag zu einer produktiven Diskussionskultur über diskriminierungskritische Sprache zu leisten. 

Die Arbeit, auf diskriminierende Strukturen aufmerksam zu machen, sollte nicht nur den Menschen aufgebürdet werden, die am meisten unter ihnen leiden. 

Nur weil wir Frauen sind, wollen wir nicht immer die Männer in unserem Umfeld über Sexismus aufklären müssen. 

Nur weil eine Person mit einem Rollstuhl unterwegs ist, muss nicht sie es sein, die das Verkehrsunternehmen darauf aufmerksam macht, dass die Straßenbahn nicht barrierefrei ist. 

Diese Arbeit können alle Mitglieder einer Gesellschaft leisten, wenn sie diese gerechter gestalten möchten.

Also, uns ist es wichtig, in dem Buch klar zu machen, dass wir selbst Lernende sind und versuchen mit einer gewissen Demut an die Themen heranzugehen. Wir versuchen uns als Lernende an dem Prozess zu beteiligen, Gespräche über Sprache und Diskriminierung produktiver zu machen. 

Wir hoffen, das gelingt uns zumindest ein bisschen. Aber das werdet ihr, falls ihr das Buch lest, uns sicherlich rückmelden können. 

Im Vorwort gehen wir auch noch darauf ein, wie die Arbeit an poco.lit. und macht.sprache. in gewisser Weise ein Auslöser für das Buch war. 

Das bilinguale Online-Magazin poco.lit. haben wir 2019 gegründet. Wir wollten gerne die Sichtbarkeit von postkolonialen Themen und postkolonialer Literatur in Deutschland und darüber hinaus vergrößern. 

Seitdem gibt es jede Woche eine Buchrezension, einen Essay oder ein Interview auf poco.lit. und zwar immer auf Deutsch und auf Englisch. Und dieser Podcast ist in gewisser Weise eine Weiterführung des Online-Magazins.

Unser Interesse für diese Art von Literatur entspringt einer Liebe für das Geschichtenerzählen, aber auch persönlichen oder familiären Verbindungen mit verschiedenen (post-)kolonialen Kontexten wie Deutschland, Kanada, Indien oder Südafrika.

Ich habe zum Beispiel Familie in Kanada und habe eine Zeit lang dort bei meinen Verwandten gewohnt. Mir ist damals aufgefallen, dass die meisten meiner Mitschüler*innen an der High School Vorfahr*innen aus England, Schottland, Irland, Deutschland oder Polen hatten. Auf mich und meine Verwandten traf das auch zu. Ich habe mich darüber gewundert. Aber ich habe erst, als ich später in Deutschland englische Literatur- und Kulturwissenschaften studiert habe, den Begriff „Siedlungskolonialismus“ kennengelernt. Damit sind europäische Kolonialist*innen gemeint, die Land in Besitz nahmen, um dort zu bleiben. Die Folgen davon habe ich in Kanada in meinem Alltag wahrgenommen, konnte es aber zunächst nicht benennen.

Und auch über die deutsche Kolonialgeschichte lernte ich erst im Englisch-Studium. Daher die Idee zu poco.lit., um dieses Wissen über koloniale Zusammenhänge bekannter zu machen.

Dadurch, dass wir poco.lit. auf Englisch und Deutsch betreiben, stießen wir immer wieder vor die Herausforderung, sehr kontextspezifische Begriffe übersetzen zu müssen, Begriffe, die mit Rassismus und anderen Formen von Diskriminierung zu tun haben. Wir haben uns immer wieder gefragt, wie wir damit umgehen sollen. Und unsere Gespräche untereinander waren hilfreich. Aber wir wollten, das Gespräch noch erweitern, es um weitere Perspektiven ergänzen. 

Also starteten wir 2021 zusammen mit zwei weiteren Kollegen das Projekt macht.sprache.

Die Web-App bietet einen Raum für den kollaborativen Aufbau von Wissen für eine diskriminierungskritische Übersetzungspraxis zwischen Englisch und Deutsch. 

Nutzer*innen können diskriminierende Begriffe und weniger diskriminierende Alternativen sammeln, diskutieren und bewerten. 

Dieses Wissen fließt in ein digitales Tool, das Textausschnitte auf diskriminierende Wörter überprüft. 

macht.sprache. ist ein Projekt, das dank gelegentlicher Fördermittel existiert und Interessierten frei zur Verfügung steht. 

Das bedeutet, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Wissensständen und Fachkenntnissen austauschen können, die darüber hinaus jeweils eigene Erfahrungen mit verschiedenen Arten von Diskriminierung gemacht haben.

Als wir macht.sprache. starteten, begannen wir auch gezielt Diskussionsveranstaltungen und Workshops mit verschiedenen Expert*innen durchzuführen, die irgendwie mit Sprache arbeiten und dies bewusst aus unterschiedlichen Positionierungen tun. Wir haben zum Beispiel Veranstaltungen mit Lann Honrscheidt, Seyda Kurt, Mirjam Nünning, Michaela Dudley, Khairani Barokka usw. durchgeführt. Viele der Personen, mit denen wir bei unseren Veranstaltungen sprechen konnten, zitieren wir im Buch. Wir konnten durch sie so viel lernen! Ihr könnt teilweise auch Aufnahmen der Veranstaltungen auf unserem Youtube Kanal finden. 

Und jetzt lese ich euch noch den Schluss des Vorworts vor: 

Unser bescheidener Beitrag in diesem Buch besteht in erster Linie darin, das Wissen unserer Recherchen und Gespräche zusammenzutragen und zu kuratieren. Wir haben zwar einen akademischen Hintergrund, dieses Buch entspringt jedoch unseren Erfahrungen aus der Praxis, und wir versuchen, möglichst zugänglich und praxisorientiert zu schreiben (ob uns das gelingt, ist eine andere Frage).

Und dann lasse ich ein paar Zeilen aus. 

Das Buch dürfte für diejenigen am nützlichsten sein, die in Bezug auf Sprache und Diskriminierung viele offene Fragen haben. Wir schreiben für diejenigen, die uns um Ressourcen gebeten haben, und auch für diejenigen, die den polarisierenden Stil, in dem sprachliche Diskriminierung manchmal öffentlich diskutiert wird, befremdlich finden. Wir möchten zu einer produktiveren und differenzierteren Diskussionskultur über den Sprachwandel beitragen, damit sich mehr Menschen eingeladen fühlen, sich an ihr zu beteiligen.

Damit endet das Vorwort und dann geht’s richtig los. 

Im ersten Teil gehen wir in 3 Kapiteln, auf Positionierung, Privilegien und Macht ein, also auf unser grundsätzliches Verständnis von Sprache  und Diskriminierung und die größeren Strukturen.

In Teil 2 legen wir die Grundprinzipien dar, die als Handlungsmaßstäbe für das Streben nach einer diskriminierungskritischen Sprachpraxis dienen können. Da geht es um die politischen Dimensionen sprachlicher Entscheidungen, um Demut und um den Umgang mit verletzender Sprache.

Teil 3 stellt dan konkrete Handlungsoptionen vor, die für eine diskriminierungskritische Sprachpraxis nützlich sein können. In dem Teil gibt es unter anderem Kapitel zu verschiedenen Schreibweisen, zu Metaphern, zur kontextspezifität von Sprache und zu Humor und weiteren Aspekten.

So viel als kleine Einführung in das Buch „Macht Sprache: Ein Manifest für mehr Gerechtigkeit“. Vielleicht ist es ja für einige von euch interessant? 

Es erscheint am 26.9. und ihr könnt es in der Buchhandlung eurer Wahl vorbestellen.

Normalerweise würden an dieser Stelle Buchempfehlungen einer Berliner Buchhandlung folgen. Aber heute nutze ich die Gelegenheit, um euch Bücher und Shows zu empfehlen, die wir im Buch erwähnen.

  1. Intersektionalität als kritische Sozialtheorie von Patricia Hill Collins

Full disclosure: Ich habe dieses Buch gemeinsam mit Daphne Nechyba und Echo Foidl ins Deutsche übersetzt. Und alle, die mich in der Zeit getroffen haben, wissen, wie begeistert ich von dem Buch bin und wie oft ich in der Zeit gesagt habe: „Also Patricia Hill Collins sagt, das und das…“

Es ist ein wissenschaftliches Buch, keins, das sich mal eben so weg liest. Auch beim übersetzen habe ich manchmal einen ganzen Tag für eine einzige Seite gebraucht… 

Aber wenn ihr Kapazitäten für eine Auseinandersetzung mit dem Buch habt, würde ich sagen, lohnt es sich bestimmt. 

Collins schaut sich Intersektionalität als analytisches Forschungswerkzeug und als kritische Praxis an. Sie blickt zurück auf die Anfänge, wann und warum Intersektionalität eingeführt wurde und wie schnell und weit sich die Idee der Intersektionalität verbreitet hat. Sie erklärt, dass die Verbreitung einerseits total super ist, aber dann die Gefahr besteht, dass sich die Ideen hinter diesem Konzept verwässern. Daher ist es Collins ein Anliegen, die Konturen dieses Konzepts zu schärfen, damit Intersektionalität weiterhin relevant bleibt. 

  • Blutbuch von Kim de l’horizon

Im Macht Sprache Buch sprechen wir darüber, dass einige Menschen genderinklusive Schreibweisen kritisieren, weil sie Texte verunstalten würden. 

Wir erwähnen dann, dass die Belletristik – also die schöne Literatur – vielleicht ermöglichen kann, Schönheit zu erkennen und auch neu zu definieren. 

Und an der Stelle kommt Kim de l’Horizons Blutbuch ins Spiel. Dieser autofiktionale Roman hat 2022 den Deutschen und den Schweizer Buchpreis erhalten, einerseits, weil es so eine unglaublich spannende Familiengeschichte ist, aber andererseits auch gerade weil Blutbuch mit bestehenden sprachlichen Genderkonventionen bricht.

Also große Leseempfehlung!

  • Die Comedy Show Nanette Hannah Gadsby

Ich habe sie auf Netflix gesehen.

Hannah Gadsby ist eine australische Komödiantin. 

In der mehrfach preisgekrönten Comedyshow spricht Gadsby verschiedene Formen heteropatriarchaler Gewalt an – und schafft es, das mit ziemlich leichter Hand zu tun.  

Gadsby weist wiederholt darauf hin, sie müsse mit ihrer bisherigen Art von Comedy aufhören. Und das macht ihre Show zu etwas Besonderem. 

Sie erklärt, dass sie, die als Lesbe extrem schmerzhafte Erfahrungen von Ausschluss und Abwertung gemacht hat, bisher in ihren Witzen vor allem mit Selbstabwertung gearbeitet habe: „Ich habe mich selbst schlechtgemacht, um die Erlaubnis zu bekommen, zu sprechen.“

Sich selbst dem Verständnis der Mehrheitsgesellschaft entsprechend lächerlich zu machen, schien für den Moment auf der Bühne zu einer fragilen Akzeptanz zu führen. 

Doch nun führt Gadsby ihrem Publikum vor, wie perfide diese Art von Comedy war: Sie macht zwar weiterhin Witze und Pointen, scheint aber bewusst dafür zu sorgen, dass ihrem Publikum das Lachen immer wieder im Hals stecken bleibt, indem sie ihre Geschichten weiter ausschmückt, damit ihr Schmerz kein Witz bleibt, sondern als solcher nachvollziehbar wird. 

Sie macht, das, weil Geschichten ihrer Ansicht nach eine heilende Wirkung haben. Gadsby erklärt: „Lachen ist nicht unsere Medizin. Geschichten sind unser Heilmittel. Lachen ist nur der Honig, der die bittere Medizin süßt.“

Das waren meine 3 Empfehlungen für heute. 

Jetzt möchte ich euch noch einladen zum poco.lit Community Event am 28.9. im Satellit in Berlin. Wir machen ein klein bisschen Programm, aber hauptsächlich freuen wir uns, euch mal persönlich zu treffen. Alle Infos findet ihr auf pocolit.com.

Außerdem noch der kurze Hinweis, dass ihr helfen könnt, die verschiedenen Formate von poco.lit. nachhaltiger und unabhängiger zu machen: Ihr könnt unsere Arbeit über Steady unterstützen.

Vielen Dank fürs Zuhören, macht’s gut und bis zum nächsten Mal.

02: Die Macht der Mehrsprachigkeit: Ein Gespräch mit Olga Grjasnowa

Die übliche Sprachpraxis ist heutzutage sehr vielfältig: Weltweite wirtschaftliche Verflechtungen, politisch-räumliche Neukonfigurationen, zunehmende Mobilität und Migration und auch das Internet führen dazu, dass Mehrsprachigkeit in großen Teilen der Gesellschaft ein Alltagsphänomen geworden ist.

Die Schriftstellerin Olga Grjasnowa erzählt uns in dieser Folge, welche Sprachen sie im Alltag spricht und wie das Weltgeschehen sich auf ihre Sprachwahl auswirkt. Sie spricht davon, wie in Deutschland die Einsprachigkeit zum Ideal wurde und was daran problematisch ist. Und zum Schluss geht es auch noch um ihre und unsere Wünsche für einen gerechteren Umgang mit der vielerorts wachsenden Alltäglichkeit der Mehrsprachigkeit.

Nach dem Gespräch bekommt ihr außerdem noch einen Lesetipp!

Shownotes

Transcript

Anna: Herzlich willkommen zur zweiten Folge vom poco.lit. Podcast. Ich bin Anna von Rath und ich bin eine der Gründerinnen von poco.lit. In der heutigen Folge soll es um Mehrsprachigkeit gehen. Das ist ein überaus relevantes Thema, weil die übliche Sprachpraxis heutzutage so vielfältig ist. Es gibt die weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen, dann politisch-räumliche Neukonfigurationen, zunehmende Mobilität und Migration und auch das Internet und all das führt dazu, dass Mehrsprachigkeit in großen Teilen der Gesellschaft ein Alltagsphänomen geworden ist. Meine Kollegin Susi Peter hatte die Gelegenheit, mit Olga Grjasnowa über Mehrsprachigkeit zu sprechen. 

Olga selbst ist in Baku in Aserbaidschan geboren und mit 11 Jahren nach Deutschland gekommen. Einige werden sie als Schriftstellerin kennen. Sie hat 2012 ihren ersten Roman „Der Russe ist eine der Birken liebt“ veröffentlicht und 2021 hat sie das Sachbuch „Die Macht der Mehrsprachigkeit: Über Herkunft und Vielfalt“ im Duden Verlag veröffentlicht. 

Und jetzt hören wir mal in den ersten Teil des Gesprächs rein, in dem Susi und Olga über den persönlichen Sprachgebrauch und auch die emotionalen Verbindungen mit Sprache sprechen. 

Susi: Ich freu mich voll, dass du dir die Zeit dafür nimmst. Vielen, vielen Dank. 

Olga: Danke dir!

Susi: Ja, also die erste Frage, die wir uns schon mal so gestellt haben. Erstmal sind wir große Fans von deinem Buch „Die Macht der Mehrsprachigkeit“. Ich finde, du beschreibst in dem Buch so schön wie Mehrsprachigkeit bei dir im Alltag aussieht. Wie viele Sprachen sprichst du so am Tag und wie genau sieht das aus? 

Olga: Sehr gute Frage! Ne, das ist es ehrlich gesagt, immer sehr unterschiedlich. Also – mit meinem Mann spreche ich meistens Englisch. Mit den Kindern ist es jetzt eine krude Mischung aus Deutsch und Russisch. Das liegt daran, dass sie am liebsten auf Deutsch antworten, und ich versuche irgendwie mit Russisch durchzukommen, aber manchmal vergesse ich mich selber und rede einfach auf Deutschen weiter. 

Mittlerweile wissen sie auch ganz gut wie sie mich zu manipulieren haben. Wenn ich zu müde bin oder zu gestresst dann lasse ich’s. Sie wissen auch, dass sie mich dann irgendwann mal soweit kriegen, dass ich‘s lasse. Mein Mann spricht zu Hause mit den Kindern arabisch, aber das ist genau dieselbe Geschichte. Wir sind ein bisschen nachlässiger geworden als das wir das jetzt immer so stringend durchziehen, wie es glaube ich immer empfohlen wird. 

Susi: Wechselst du dann auch innerhalb des Satzes die Sprache? Weil ich finde immer Mehrsprachigkeit wird immer so klar gesehen: Man spricht die eine Sprache, man spricht die andere Sprache und die werden in verschiedenen Kontexten benutzt und ich finde, in den seltensten Fällen ist das ja wirklich so. 

Olga: Ja, nee, meine Mutter macht das sogar, dass sie manchmal wirklich mitten im Satz wechselt, aber ich, ich hasse das. Ich weiß nicht, ich mag es überhaupt nicht. Ich finde das irgendwie unästhetisch, wenn es wirklich mit einem Satz passiert. Natürlich gibt es in so manche Begriffe, die ich wahrscheinlich doch ab und zu in einer anderen Sprache verwende, die da überhaupt nicht hingehören. Aber normalerweise nicht mit einem Satz. 

Susi: Ah das ist spannend. Du hast deinem Buch auch so schön beschrieben, ich glaube, es war von deiner Großmutter, wie sie Jiddisch hört und wieder ein Gefühl in ihr aufbringt. Verbindest du verschiedene Sprache mit verschiedenen Gefühlen oder lösen sie verschiedene Gefühle in dir aus?

Olga: Ja, das war sogar meine Mutter. Wir haben ja, glaube ich das, was eigentlich viele Familien haben. Das sich tatsächlich die Muttersprache in mehreren Generationen geändert hat. Man kann Muttersprache sagen kann Erstsprache sagen, aber auf jeden Fall die Sprache in der man sich am besten ausdrücken kann. 

Bei meiner Großmutter war es eben noch Jiddisch, in dem sie aufgewachsen ist, bei meine Mutter Russisch und bei meinen Kindern ist es schon wieder Deutsch. 

Und es kann natürlich sein, dass sich das in den nächsten Generationen noch mal ändern kann. Es ist sogar sehr wahrscheinlich. 

Es ist natürlich ein sehr unterschiedliches Verhältnis zu allen Sprachen. Wobei ich das so sagen muss, dass natürlich mein Verhältnis zur russischen mittlerweile irgendwie auch ein wenig abgekühlt ist. Das Buch ist auch vor dem russischen Angriffskrieg geschrieben worden, und das ist natürlich noch mal eine andere Sache. Ich hadere nicht nur mit dem Krieg, sondern auch einfach in der Sprache an sich. Mir war es immer sehr wichtig, dass die Kinder Russisch lernen. Mir ist es eigentlich immer noch wichtig, und ich hatte eigentlich auch immer eine emotionale Bindung zu Russisch- Nur ist es jetzt auch so dass es wahnsinnig viele Mühe auch im Alltag bedeutet bedeutet, dass die Kinder Russisch lernen, dass sie diese Kurse haben, dass ich ihnen auch nochmal auf Russisch vorlese. Jetzt, wo eigentlich klar ist, dass die Kinder eigentlich das Land in dem nächsten Jahrzehnt höchstwahrscheinlich nicht besuchen können, stellt sich natürlich noch die Frage: Wozu? Also früher konnte man nicht nur sagen Russisch ist eine emotionale Sprache, sondern dass es natürlich ebenso eine Zukunft gibt. Das ist jetzt schon fast weggebrochen. Es ist natürlich klar, dass Russisch nicht verschwinden wird, aber es gibt jetzt tatsächlich eine Barriere. 

Dieses emotionale Verhältnis zu Russisch wechselt auch immer wieder. 

Aber das ist jetzt, ehrlich gesagt, nicht mehr so überzeugt wie zu dem Zeitpunkt, als ich das Buch eigentlich geschrieben habe. Also ich frage mich oft, ob sich die Mühe lohnt. Also jetzt, abgesehen von dem ganzen Ideologie, was natürlich Russisch mitbringt. Es ist eine koloniale Sprache, sehr viele Menschen sind russische Muttersprachler:innen, weil sie dazu gezwungen wurden im Familienkontext, aber es ist eine recht komplizierte Geschichte. 

Anna: Bei den Punkten, die Olga und Susi im Gespräch gemacht haben, finde ich mich auf jeden Fall auch wieder. Ich merke immer, dass Mehrsprachigkeit nicht bedeutet, dass ich verschiedene Sprachen perfekt spreche und die dann nebeneinander existieren, sondern dass sich die Sprachen vermische und das ich für manche Situationen bestimmte Begriffe wähle oder Begriffe aus einer meiner anderen Sprachen irgendwie besser passen würden. Und je nachdem, mit wem ich spreche, drücke ich mich auch anders aus und mische auch mal mehr fremdsprachliche Begriffe rein oder weniger. 

Und genau, wie Olga gesagt hat: Das Weltgeschehen spielt auf jeden Fall auch eine große Rolle darin, wie wir Sprachen wahrnehmen und wie wir sie bewerten. 

Das führt auch zum nächsten Punkt, in dem es dann in dem Gespräch geht. Nämlich, dass Sprache nicht nur was Privates und Persönliches ist, sondern eben auch politische Dimensionen hat. Das ist das, was Olga letztendlich auch motiviert hat „Die Macht der Mehrsprachigkeit“ zu schreiben. Im Folgenden geht sie dabei dann auf ihre Tätigkeit als Schriftstellerin ein und spricht auch über ihre Erfahrungen damit, wie in Schulen mit Sprache umgegangen wird. 

Susi:  Also du scheint sich ja allgemein, wahrscheinlich auch aus deiner Familiengeschichte heraus, sehr für Mehrsprachigkeit zu interessieren. Wie kam es dazu, dass du das Buch geschrieben hast?

Olga: Eigentlich, kann noch nicht mal wirklich sagen, dass ich mich wirklich für die Mehrsprachigkeit interessiere, das ist es überhaupt nicht. Also eigentlich kam es, ehrlich gesagt, aus der Not heraus dazu. Das hat mit meiner eigenen Biografie sehr viel zu tun, weil es sich, als ich angefangen habe Bücher zu veröffentlichen und auch schon bedenkt das ich einen Sprachwechsel vollzogen habe in der Schule. Mir wurde sehr oft gesagt, ich würde nicht wie eine Muttersprachlerin schreiben und dann den nachgefragt habe, ob man es konkret machen kann, dann hieß es: Ich schicke ihnen eine E-Mail. Ich habe keine einzige E -Mail bekommen. Da war immer dieses Misstrauen gegenüber meiner Sprache, mal habe ich mit einem Akzent gesprochen, dann wiederum nicht. Also je weiter südlicher ich mich befand, dann gab’s doch keinen Akzent, dann waren die Vokale mal zu kurz, dann war es in Ordnung. Es war immer irgendwas, aber natürlich erst das die Leute wussten, dass mein Name anders klingt. Wenn sie diese Info nicht haten, dann war das halt nicht. Als mein erstes Buch ich glaube 2012 herauskam, gab es noch diese riesengroße Debatte um „Migrationliteratur“ und das ist halt immer so ein bisschen das andere, was man angeblich an der Sprache festmachen kann, was natürlich vollkommener Quatsch ist. 

Susi: Ja, das fand ich so spannend. In dem Buch schreibst du über den Begriff „Migrationsliteratur“. Hast du deine Veränderungen in den letzten Jahren wahrgenommen. Also ich meine, dieser Begriff ist furchtbar. Wird er weniger verwendet? 

Olga: Ich denke schon. Also der Begriff der Migrationsliteratur ist eigentlich kaum noch vorhanden oder ich habe nicht das Gefühl, dass das jetzt tatsächlich noch ausdiskutiert wird. Manchmal gibt es noch die Begrifflichkeit transnationaler Literatur, aber so langsam, nimmt das ab. Mittlerweile gibt es so viele Schreibende in unterschiedlichsten Herkünften, dass es nicht mehr festzumachen ist.

Susi: Immerhin eine schöne Entwicklung. Warum glaubst du ist Mehrsprachigkeit so wichtig? Also du hast gesagt es ist aus der Not heraus geboren, das Buch. Aber du bringst sehr, sehr viele unterschiedliche Sichtweisen mit ein in deinem Buch. Warum glaubst du, dass Mehrsprachigkeit so wichtig ist?

Olga: Weil glaube ich, dass es etwas ist, dass unsere Gesellschaft prägt und wir haben zum einen den politischen Diskurs mit Mehrsprachigkeit, vorallem unsere Mehrsprachigkeit in den Schulen und nur in den Schulen. Sehr oft hängt es auch mit der ganzen Debatte umd die Leitkultur zusammen und das ist immer ein hochpolitischer Diskurs, aber kein linguistischer. Und das hat halt nichts mit der Wissenschaft zu tun, sondern sind einfach irgendwelche Befindlichkeiten, sie auch nichts in der Realität zu tun haben. 

Vor allem die CDU neigt dazu, mit Mehrsprachigkeit Wahlkampf zu machen. Also praktisch, wenn man überhaupt keine Ideen mehr hat, was die Schulpolitik angeht, kann man immer noch sagen: Die mehrsprachigen Kinder sind schuld daran. Man könnte eigentlich über Lehrermangel sprechen, ob es nicht mal an der Zeit wäre noch in der Lehrer:innen-Ausbildung was zu machen. Die Konzepte gibt es seit den 60ern und 70ern. Es ist alles da in der Wissenschaft. Es ist überhaupt kein Streitpunkt, aber wozu ne? Wenn halt Wahlkampf ist.

Das ist halt, was mich immer so aufregt. Es ist eine vollkommene Ignoranz und da wird die Mehrsprachigkeit immer mit Parallelgesellschaft gleichgesetzt. Mit allen schrecklichsten Entwicklungen und im Prinzip bin ja ich das. Es ist genau meine Biografie. Mit 11 in die deutsche Sprache sozusagen eingewandert. Ich bin genau das Kind von dem immer gewarnt wurde. Das als das Negativbeispiel per se angeprangert wird. Und es hat überhaupt nichts mit den Bildungsstandards zu tun, nichts mit der Herkunft und seitdem ich selber unterrichte, bin ich mir dem eigentlich noch sicherer. 

Tatsächlich muss man einfach Voraussetzungen in den Schulen schaffen. Das heißt den Lehrpersonen Lehrmittel in die Hand gehen, die Zeit, die Ausstattung und vor allem Personal, dann stellt sich das Problem anders dar. Das Bezeichnende ist diese Diskussionen führen wir um die Schulen, aber sobald es um die Universitäten geht, wo Mehrsprachigkeit an der Tagesordnung ist, verschwindet die Diskussion. 

Da ist auf einmal alles in Ordnung. Es gibt in jeder noch so kleinsten deutschen Fachhochschule ein Sprachenzentrum, wo man alles auf den unterschiedlichsten Niveau sprechen lernen kann, wo das gar kein Problem ist. Veranstaltungen an jeder Kunsthochschule, wenn man Deutsch hatte, wird englisch gesprochen. 

Sachen, die sich auf einmal sehr schnell klären lassen und das ist eben nicht zu einem Politikum hochstilisiert wurde, wird die Probleme vielleicht gar nicht kleiner sind. 

Aber es sind komplett unterschiedliche Umgehensweisen und dann gibt es natürlich noch jetzt die ganzen bilingualen und trilingualen Kindergärten und Schulen, die tatsächlich eine Art Parallelgesellschaft bilden, weil es oft sehr schwerste ist da reinzukommen oder eben sehr teuer. 

Und anscheinend ist da Mehrsprachigkeit willkommen, in anderen Kontexten nicht, was natürlich nur eine Aussage über die soziale Klasse bedeutet. Es eigentlich eine Art 

Klassenkampf um die Mehrsprachigkeit und richtige und die falsche.

Susi: Ja, das ist ja auch etwas, was du in deinem Buch erwähnst. Ich würde es schon fast Label nennen: Kind nichtdeutscher Herkunft. Etwas, dem ich mir nicht bewusst war und etwas, was du auch sehr, sehr deutlich machst in deinem Buch ist, wie unterschiedlich Sprachen gewertet werden. Du hattest das ha gerade gesagt, dass die CDU gerne Wahlkampf mit der Idee der Einsprachigkeit macht. Ich fand es total spannend in deinem Buch: Du beginnst mit einem Zitat aus der Bibel, in dem es im Grunde darum geht, wie die Vielfalt der Sprachen entsteht. War das eine bewusste Entscheidung ein Bibelzitat zu nehmen?  Ich finde das so spannend, weil ja gerade von konservativen Stimmen so eine wahnsinnige Kritik an Mehrsprachigkeit kommt.

Olga: Weil es so einfach ist. Ich glaube ich höre auch mit einem anderen Zitat auf aus einem Roman von Sigrid Nunez wo es genau um dieses Zitat geht. Ich habe das Buch auch nicht zu Hand.

Susi: Ich habs zur Hand. Es ist aus dem Roman „What are you going through?“ 

„Vielleicht hatte Gott noch einen anderen Plan. Vielleicht gab er nicht nur den einzelnen Völkern unterschiedliche Sprachen, sondern jedem Menschen eine eigene Sprache gleich einem eigenen Fingerabdruck.“

Olga: Genau und darum geht es mir, dass selbst wenn wir dieselbe Sprache sprechen, ist noch lange keine Garantie dafür, dass wir einander verstehenden. Deswegen Mehrsprachigkeit hin oder her, überhaupt irgendjemanden zu verstehen ist, eine ungeheure Leistung. Egal auf welche Sprache. Oder sich selber zu verstehen. 

Anna: in diesem kurzen Ausschnitt aus dem Gespräch, war jetzt es schon so viel drin. Also einerseits ging es um die Zuschreibungen Migrationsliteratur zu verfassen, und da möchte ich ganz kurz aus Olgas Buch noch vorlesen, wie sie dort eigentlich Migrationsliteratur definiert. Sie schreibt in „Die Macht der Mehrsprachigkeit“: Migrationsliteratur ist stets eine Literatur, die anders ist, die nicht dazu gehört. Sie ist nicht ganz deutsch. Alle, wirklich ausnahmslos alle Autor:innen, die einen für die Mehrheitsgesellschaft seltsam klingenden Namen haben und die entweder selbst oder deren Eltern nicht in Deutschland geboren worden sind, werden unter diesem unsäglichen Begriff zusammengefasst.“

Genau, sie sagt ja auch es gab in der Hinsicht schon in den letzten Jahren ein bisschen Veränderungen, dass der Begriff Migrationsliteratur gar nicht mehr so häufig verwendet wird. Aber trotzdem ist Einsprachigkeit auch noch was, womit vor allem konservative Politiker:innen Wahlkampf machen.

Susi: Es geht nicht, dass auf den Schulhöfen andere Sprachen als Deutsch gesprochen werden. Das sagte der beispielweise der ehemalige CDU-Generalsekretär Mario Czaja Januar 2023 im Interview mit der Welt.

Anna: Wir hören aus diesen Begriffen der sogenannten Migrationsliteratur oder diesem verbreiteten Wunsch, unter manchen Menschen zumindest, dass es eine Einsprachigkeit in Deutschland geben sollte, dass Mehrsprachigkeit häufig abgewertet wird. Zumindest eine bestimmte Art von Mehrsprachigkeit, weil das da schon sehr spannend ist, das zum Beispiel zwischen Expat und Migrant oder Migrantin unterschieden werden kann. Also verschiedene Sprachen werden unterschiedlich bewertet. Wenn es jetzt englischsprachige Expat sind also zum Beispiel Menschen, die für eine gewisse Zeit im Ausland arbeiten, dann verdrehen Leute vielleicht manchmal die Augen. Aber Englisch ist neben Deutsch dennoch weit aus akzeptierter als zum Beispiel Türkisch oder Arabisch und denjenigen die Stadt als Expat als Mirgrant:innen oder als Geflüchtete bezeichnet werden, schlägt deutlich mehr Unverständnis entgegen. Hier zeigt sich dann, dass das Thema Sprache zu einer Stellvertreter Debatte für Race und Klasse wird. Englisch wird er mit den sogenannten Expat sowie mit Weißsein und genügend finanziellen Mitteln nach Lust und Laune  die Welt zu reisen verbunden. Auch wenn Englisch in vielen afrikanischen und asiatischen Ländern offizielle Landessprache ist, wird es von einem Großteil der Deutschen zunächst mit den USA oder mit Großbritannien verbunden. Regionen, die als mehrheitlich weiß und wohlhabend gelten. Türkisch, Arabisch oder auch Farsi, Urdu und so weiter rufen hingegen eher eine Assoziation mit Migration und Flucht hervor. Und sie werden mit nichtweißen Menschen in Verbindung gebracht und mit Menschen, die wenig Geld haben, und dementsprechend werden diejenigen, die diese Sprachen sprechen, oft abgewertet. 

Wenn es jetzt aber uns Deutsch sprechen geht, dann scheint es oft auch wichtig, ein bestimmtes Deutsch zu sprechen, und das ist das, worauf Olga und Susi in ihrem Gespräch als nächstes eingehen, auf das Standarddeutsch, das in Anführungsstrichen richtige Deutsch. Und Olga erklärt so ein bisschen, wie es zu dieser Standardisierung kam 

Susi: Wo glaubst du oder wie kam es in Deutschland Zu der Standardisierung des Deutschen? Das, so dieser Fokus auf die Einsprachigkeit kam.

Olga: Es war eine Entwicklung der Zeit. Im Mittelalter war die Lingua Franca Latein. kranke Dateien. Und dann hatte der Hochadel Französisch miteinander gesprochen. 

Das ist auch die Sprache der Diplomatie. Eine gewisse Mehrsprachigkeit gehörte natürlich in der Bildungselite immer dazu vor dem Adel. Einfach durch die Verwandtschaftsverhältnisse, durch den Besitz, durch die Verwaltung der Ländereien war das immer gegeben. Es war jetzt nichts Neues. Aber natürlich kamen irgendwann die Nationalstaaten auf. Es brauchte etwas, um die Staatsgebilde zu verwalten und dann war es die Idee der im Imagined Communities. Was verbindet überhaupt? was kann Menschen verbinden? Da bietet sich natürlich Sprache an. Das Deutsche wurde nach und nach standardisiert, aber auch genauso wie das Französische und das Italienische, sogar noch viel später als das Deutsche. Das war natürlich viel einfacher für die Verwaltung und damit war das auch viel einfacher die nationalistische Idee zu vermitteln. Wenn es so viele regionale Unterschiede gibt zwischen Nordeutschland und Bayern. Was ist es überhaupt was diesen Staat zusammenfügen kann? Und wenn es nichts anderes gibt, kann man immer noch auf die Sprache zurückgreifen. 

Susi: Das ist was, was ich auch spannend fand was du im Buch erwähnst. Das die Standardisierung der Sprachen auch so die Norm geworden ist, dass wir zum Beispiel Standard British English lernen oder Standard American English, aber halt nicht das indische Englisch und im Deutschen ist es ja ähnlich sind, das wie du gerade schon gesagt hast Dialekte verschwunden sind.

Olga: Oder immer mehr verschwinden. Und das natürlich auch gleich zwei Sachen. Sprache ist nicht nur die Frage der sozialen Klasse, es sind auch oft rassitsische Komponenten dabei. Wessen Englisch oder wessen Französisch ist das Richtige? Die

Kolonialgeschichte ist einfach anders in Deutschland als in den USA. Nicht weniger grausam, aber nicht so weit verbreitet wie das Portugiesische oder das Spanische oder das Französische das Englische. Und im Prinzip ist die Normsprache, die wir lernen weltweit immer die der Kolonialmächte nicht unbedingt die der der Mehrheit des Sprecher:innen. 

Susi: Was wir im Grunde auch schon gesagt hast. In Deutschland wirkt es schon so, als wenn mit aller Macht die Einsprachigkeit hochgehalten werden soll. Es ist Teil des Wahlprogramms der AfD. Was denkst du, welche Macht hat Mehrsprachigkeit? 

Olga: Bei der AfD ist es sogar ganz lustig. Sie ist eine der hier wenigen Partei, die tatsächlich das Wahlprogramm in mehreren Sprachen veröffentlicht hat. Es gibt auch ein Wahlprogramm auf Russisch. Es gibt Infostände mit russischen Spezialitäten, was trotzdem natürlich unter der Leitkultur fällt. Wenn man sich das ganze mal anschaut ist das eine herrlich heuchlerische Debatte. Es ist einfach, wenn man für die Einsprachigkeit plädiert, es ist extrem einfach. Alle Probleme werden dabei ausgeblendet. Es geht hier nicht darum, dass man irgendwie versucht, das Leben einfacher zu machen oder einfach zu gestalten. Natürlich ist es gut, wenn man in Deutschland wohnt und Deutsch spricht und je besser das Deutsch, desto einfacher ist es für jeden. Das ist steht für mich überhaupt nicht zur Debatte. Aber, wenn man sich tatsächlich anschaut welches Deutsch in den Behörden gesprochen wird, ist es nicht unbedingt das Deutsch, was man mit einer Mittleren Reife versteht. Oder es ist halt einfach tatsächlich ein Deutsch, was von juristischen Begriffen geprägt ist und geprägt sein muss und juristische Begriffe sind nicht unbedingt die leicht verständlichsten. Oder wenn man schon alleine beim Finanzamt die Steuererklärung abgeben muss.  Es ist auch nicht gerade leicht verständlich, sondern hochkomplex, unabhängig von den Sprachkenntnissen. Also ein Staatsgebilde basiert nicht nur auf Sprache, sondern vor allem auf Normen und Gesetzen. 

Wenn man sich erst mal sagt: Klar, alle müssen Deutsch sprechen, dann ist alles gut. Es ist nicht dafür da, tatsächlich zu sagen, alles wird gut. Sondern um zu zeigen, dass sich nichts ändern soll in Deutschland. Das die Bevölkerung tatsächlich in Anführungsstrichen deutsch bleiben muss. Es ist ein Ausschlusskriterium. Man muss nicht mehr sagen wir wollen keine Ausländer, sondern man sagt einfach alle müssen deutsch sprechen. 

Es geht einfach nur darum, Enkes den Menschen die einen wählen könnten, zu signalisieren, dass man gegen Migration und  Zuwanderung ist, glaube ich. 

Susi: Ich würde Dir auf jeden Fall zustimmen, ohne Frage. 

Anna: In diesem Abschnitt haben wir gelernt, dass die Idee, dass in einem Land ausschließlich eine Sprache gesprochen werden sollte, der Zeit entspringt, in der sich in Europa die ersten Nationalstaaten bildeten. Eine einheitliche Sprache sollte das Gemeinschaftsgefühl in diesen jungen Nationen fördern und als Code dienen, der das Volk verbindet. Also Einsprachigkeit vereinfachte auf jeden Fall die Verständigung und es war auch wichtig, dafür Gesetze zu formulieren und Grenzen zu ziehen. Aber unter anderem deshalb wird auch heute noch von Zuwandernden erwartet, dass sie Deutsch lernen. Wer die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten möchte, muss Deutschkenntnisse nachweisen. Und die Einsprachigkeit ist auf diese Weise immer noch Teil der deutschen Leitkultur. In diesem Sinne ist die deutsche Sprache eines der Instrumente, mit denen eine Gesellschaft Neuankommenden sagt: Passt euch an uns an. Und diese Norm, der Einsprachigkeit schafft Ausschluss. Und deshalb stellt sich natürlich die Frage. Was wäre den wünschenswerter, wie könnten Dinge verändert werden? Und auch dazu hören wir noch mal in das Gespräch zwischen Susi und Olga. 

Susi: Wie würdest du sagen, würde man in einer idealen Welt mit Sprache und Mehrsprachigkeit umgehen? 

Olga: Ich glaube, es ist halt immer eine extreme lokale Frage und es ist immer so individuell zu verstehen.

Natürlich wäre das gut, wenn man versucht auch gesamtgesellschaftlich möglichst eine Grundlage zu schaffen, dass die Menschen in der Lage sind, einander zu verstehen. Man einen Weg findet damit im Bildungssystem umzugehen, im alltäglichen Leben, einfach die Barrierefreiheit abzubauen.  Das gilt genauso wie für die gesprochene Sprache, geschriebene Sprache als auch für die Gebärdensprache oder eine leichte Sprache

Susi: Gerade was leichte Sprache angeht, ist in den letzten Jahren auch wirklich viel passiert, aber was würdest du dir gerade im Bildungssystem in Deutschland wünschen? 

Olga: Das dir Didaktik verbessert wird. Bei jeder einzelnen Sprache. Dass das mehr in den Fokus rückt. Das Deutsch nicht unbedingt die Erstsprache sein muss, aber trotzdem ganz gut beherrscht sein kann, dass es nichts Naturgegebenes ist. Und das man einfach tatsächlich von diesem Ideal der Muttersprache abrückt und das ganze sachlicher betrachtet. 

Ich glaube, was mich immer am meisten entsetzt, dass sie immer gleich mit Familie und meine Mutter gleichgesetzt wird, wo bei es eigentlich nur grammatikalische Strukturen sind. Nichts weiter.  Ich glaube, wir haben gerade eh eine Krise im Bildungssystem. Was ich mir so wünschen würde ist  tatsächlich das die Debatte um die Schulen so sachlich wird wie die um die Universitäten. Die es halt einfach nicht gibt. Also weshalb werden in der höheren Bildung andere Kriterien eingesetzt als in der Hochschule. Es geht er in beiden Fällen um Didaktik – nichts weiter. Dass man sich vielleicht einfach nur darauf beschränken würde.

Susi: Das, finde ich, ist ein schöner Wunsch.

Olga:  Vielleicht noch ein Nachtrag, wenn ich darf  zu der Frage nach den Wünschen und der Mehrsprachigkeit und Gesellschaft.

Susi: Klar, immer!

Olga: Mein Lieblingsbeispiel ist ja auch die Berliner Schulpolitik. Es gab es diesen unsäglichen Bildartikel, wo es eine Rektorin war, von einer Neuköllner Grundschule, die sich so aufgeregt hat und meinte das es kaum noch Kinder gibt, die zu Hause deutsch sprechen. Was ja vielleicht sogar stimmt und dem man vielleicht auch einfach nur Rechnung tragen könnte im Lehrplan. Und sie dann ganz groß, verkündete: Wir sind arabisiert. Aber Jahre später war sie die Verantwortliche für die Schulpolitik und Franziska Giffey war dann ein paar Jahre später unsere Schulsenatorin. Das sind gruselige Entwicklungen, die eigentlich so nicht passieren dürfen und vor allem nicht in einer Stadt wie Berlin und da frag ich mich auch schon, was für Signale das senden soll. 

Susi: Da gab es ja die Idee, dass Kinder auf dem Schulhof nicht ihre Erstsprache sprechen dürfen, sondern Deutsch sprechen müssen. Ich finde, wer diese Idee hat, hat noch nie woanders gelebt und musste den ganzen Tag nicht in der Erstsprache sprechen. Und wie anstrengend das ist und wie froh man ist, wenn man einfach mal kurz in seine Sprache wechseln kann. 

Olga: Und das ist halt einfach eine alte rassistische Praxis, die genauso in den Britischen Kolonien oder auch in Großbritannien gegenüber der walisischen bevölkerung benutzt wurde. Das ist ja auch keine revolutionär neue Idee.

Anna: Olga hat verschiedene Wünsche, die das Schulsystem betreffen und dass dort anders mit Sprache umgegangen werden sollte und Susi hat noch mal erwähnt, dass Sprache auch eine Art Wohlfühlort sein kann ich möchte am Ende noch mal betonen, wie wertvoll mehrsprachig sein kann. Ein Aspekt, der mir dazu einfällt, ist das, wie ich vorhin schon gesagt habe, bestimmte Dinge in bestimmten Sprachen vielleicht besser auszudrücken sind. Und mir fällt es zum Beispiel oft auf, wenn es  genderfreie Schreibweisen geht. Also wir haben im Deutschen mittlerweile auch schon häufig die Verwendung des englisch en Pronomen they, aber könnte zum Beispiel auch das türkische Pronomen o genommen werden. 

Das nutzt zum Beispiel, Nadire Biskins in ihrem Beitrag ‚Borderline‘ im Sammelband Flexen. Flâneusen* schreiben Städte. Genau, sie verwendet dieses genderneutrale Pronomen und erzielt somit ein Effekt der Geschlechterfluidität, der in diesem kreativen und lyrischen Text total passend ist. 

Kübra Gümüsay macht in ihrem Buch „Sprache und Sein“ total stark, dass bestimmte Begriffe, wenn sie übersetzt werden würden, manchmal ganze Sätze brauchen würden und das ist deshalb gar nicht so schlecht wäre, diese Begriffe vielleicht einfach einfließen zu lassen, so wie sie sind. Dazu lese ich kurz ein kleines Zitat aus ihrem Buch „Sprache und Sein“ vor. 

„Manchmal will ich doch im Türkischen sagen. Ich will meinen immer wiederkehrendes Fernweh erklären. Oder die Schadenfreude. Für jeden dieser Begriffe brauche ich in der Übersetzung ganze Sätze, bis mein Gegenüber ansatzweise versteht, was ich gedacht, gemeint oder gefühlt haben könnte. So leben manche Gefühle nur in bestimmten Sprachen. Sprache öffnet uns die Welt und grenzt sie ein, im gleichen Moment.“

Buchempfehlung

Anna: Auch in dieser Folge gibt es wieder eine Buchempfehlung von einer Berliner Buchhandlung. Und zwar Uslar und Rai in Prenzlauer Berg. Ihr findet den Laden auf der Schönhäuser Allee 43. Es ist ein wirklich schöner Laden, in dem ihr eine tolle Buchauswahl findet und wo auch immer wieder ganz schöne Veranstaltungen stattfinden. Also behaltet Uslar & Rai im Auge! Aber jetzt erst mal zu der Empfehlung von Jo.

Jo: Ein Buch, das sich in diesem Zusammenhang sehr empfehlen kann, wie ich finde sehr zeitgemäß ist “Yeni Yeşerenler” von Duygu Ağal. Es handelt von heranwachsenden jungen Menschen, die in Deutschland groß werden, Kinder sind von migrantischen Familien, es handelt von queerem erstarken. Überhaupt von Emanzipation und von dem sich finden in einer Welt, in der man häufig in Kategorien denkt. Was nichts positives ist und abgestempelt wird entweder als die Migrantin oder die Lesbe oder oder die Frau. Und es handelte genau davon, wie man groß wird, wie man sich findet, wie man für sich einsteht und stark ist. In diesem Zusammenhang spielt die Sprache auch eine ganz große Rolle. Ich finde es ganz toll gemacht ist, ist auf deutsch und teilweise auch auf türkisch geschrieben und das ist liest sich ganz natürlich, selbst wenn man es nicht versteht. Weil wenn die Protagonisten mit ihrer Mutter spricht die Türkin ist gebürtig. Dann ist es eigentlich ganz klar, dass sie Türkisch miteinander sprechen, wie sie es gewohnt sind und nicht Deutsch. Und ich fand es so toll zu sehen oder faszinierend in diesem Buch, wie natürlich das alles kuratiert ist und zusammenwirkt. 

Ich fand es wirklich sehr zeitgemäß, ich fand es für die Literaturwelt eigentlich auch ein sehr wichtiges neues Buch und würde es sehr, sehr empfehlen. 

Anna: Für diesen Podcast haben wir eine Projektförderung des Berliner Senats für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt erhalten.

Wenn ihr helfen wollt, die verschiedenen Formate von poco.lit. nachhaltiger und unabhängiger zu machen, könnt ihr unsere Arbeit über Steady unterstützen. Alle Informationen findet ihr in den Shownotes. Vielen Dank fürs Zuhören. Schaut bis zur nächsten Folge gerne mal auf www.pocolit.com vorbei. Wir freuen uns auch, auf Instagram von euch zu hören. Aber jetzt erstmal – bis zum nächste Mal!

We are publishing a book: Macht Sprache. Ein Manifest für mehr Gerechtigkeit

Anna von Rath and Lucy Gasser co-founded poco.lit. and macht.sprache. These projects involved a lot of research, conversations with experts, workshops and inputs for different target audiences. Many of the discussions and learnings can soon be found in their book Macht Sprache. Ein Manifest für mehr Gerechtigkeit. The book will be published on September 26, 2024.

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Author meets Translator: A conversation with Sharon Dodua Otoo and Jon Cho Polizzi

We could introduce Sharon Dodua Otoo by way of the many prestigious accolades she has received, but really her work speaks for itself. At poco.lit. we’ve been fans of her work for a long time and are delighted to present a conversation between her and her talented translator Jon Cho Polizzi as part of our event series “author meets translator”. We’ll be talking about the novel Adas Raum (Ada’s Room/Ada’s Realm), about humour, Berliner Schnauze, and doing politics in language and literature. Join us!

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